#78 Tom & João: Schwachstelle

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Tom

In meinem Kopf herrscht ein seltsames Druckgefühl, es ist kein Kopfschmerz, aber angenehm ist es auch nicht, mein Mund fühlt sich trocken an. Und ich kann meine Arme nicht bewegen. Ich reiße meine Augen auf, während mich ein flaues Gefühl von Panik durchzieht, aber ich sehe nichts! Ich bin im Dunkeln, es ist stockfinster, Schwärze überall. Es ist auch absolut still, außer dem Geräusch meines Atem und das Rauschen meines Blutes höre ich nichts.
Ich scheine in stehender Position sorgfältig an irgendetwas festgebunden zu sein. Zumindest fühlt es sich so an, als wären Seile über oder um meine Schultern, meine Brust, meine Taille, meine Oberschenkel, Schienbeine, meine Fußgelenke, Handgelenke, Oberarme und meine Stirn geführt, die mich an eine Art Leiter oder so etwas ähnliches in meinem Rücken fixieren. Offenbar wurde das ganze so geschickt gemacht, dass ich einerseits nicht zusammensacken kann, andererseits aber außer meinen Fingern auch nicht wirklich etwas bewegen kann.
Es ist kühl in diesem Dunkel, was auch daran liegen mag, dass ich gefühlt außer der Seile nicht am Körper habe.
Mühsam kämpfe ich gegen den Versuch der Panik mich zu übernehmen an. Jetzt ganz ruhig bleiben, es hilft nichts wenn du hier jetzt hysterisch wirst, denke nach, was ist das Letzte an das du dich erinnerst?
Ich versuche mein sich wie vernebelt anfühlendes Gehirn zu sortieren.
Woran erinnere ich mich? Blonde Bitch hat mit meinem Freund gezüngelt, bin weggerannt, Milton getroffen, haben rumgealbert, der Badboy war da, wollte mir sein Auto zeigen...
...wollte mir sein Auto zeigen. Und dann? Denk' nach, verdammt denk' nach...
Aber so sehr ich mich auch bemühe, in meinen Erinnerungen klafft ein Loch, ein großes, dunkles, schwarzes Loch.

Darüber hinaus, entsteht gerade ein weiteres, zunehmend drängenderes Problem, ich müsste so langsam mal Wasser lassen.
Ich raffe meinen Mut zusammen und rufe ein noch zaghaftes "Hallo?" in die Dunkelheit. Es hallt ein wenig, aber sonst passiert nichts.
So oder so weicht meine Panik langsam ein wenig der Wut. Mit deutlich kräftigerer Stimme schreie ich "Hallo!" in die Dunkelheit. Wieder vergebends, es passiert nichts.
Und das macht mich jetzt richtig sauer. "Fuck damn, if this is supposed to be a prank, it's starting to not be funny now!" brülle ich mit vor Wut verzerrter Stimme.
Und dieses Mal höre ich Geräusche. Ein Tür öffnet ich und im hineinfallenden Lichtstrahl erkenne ich die Silhouette eines Mannes.
"Shut up!" herrscht mich eine Stimme an.
"Das ist jetzt nicht mehr witzig" gifte ich zurück, "außerdem müsste ich mal pissen!"
"Kannst du nicht im Stehen pinkeln oder was?" höhnt die Stimme und mit einem Knall schließt sich die Tür und ich bleibe im Dunkeln zurück.
Das ist jetzt nicht deren Ernst oder? Soll ich mich jetzt einfach so erleichtern und dann im Dunkeln gefesselt in meiner eigenen Pisse stehen?
"Komm sofort zurück du Wichser!" brülle ich mit vor Wut heiserer Stimme. Aber es kommt keiner.
Dabei muss ich jetzt echt dringend. Es wird mir also nichts anderes übrig bleiben als mir selbst auf die Füsse...
Und da kommt ein altbekanntes, aber lange nicht vermisstes Gefühl wieder in mir hoch. Das Gefühl von Demütigung. Mit ihm schwindet meine Wut und was bleibt ist die Angst...

João

"Geht das nicht schneller?" drängele ich.
"Noch schneller können wir da nicht durchschauen, sonst übersehen wir am Ende was" erklärt Ricardo, der mit dem Chef der Security die Aufzeichnungen der Sicherheitskameras durchsieht.
Mein Blick fällt zurück auf die Nachricht, die von Toms Smartphone kam.
Eigentlich ist es nur ein Bild mit der Unterschrift 'A vingança é doce. Ele não é doce?'
Das was das Bild zeigt ist für meine Augen allerdings alles andere als süß.
Es zeigt einen bewußtlosen Tom, den man nach allen Regeln der Bondagekunst aufrecht an eine Sprossenwand gefesselt hat. Nackt, mit ausgebreiteten Armen. Seile laufen unter seinen Armen und über die Schultern, von den Schulter kreuzweise über die Brust, quer über die Brust unterhalb seiner Nippel, um seine Taille, seine Oberarme, seine Oberschenkel, seine Schienbeine, Fußgelenke und Handgelenke jeweils nach hinten an die Stangen der Sprossenwand.
Außerdem, ich weiß sehr genau, wer immer das gemacht hat und was immer er mit Tom vor hat, das hat eigentlich nichts mit Tom zu tun, das gilt mir. Überdies fallen mir im Moment leider sehr viele Menschen ein die aus mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen einen Groll auf mich haben. Und das ist nicht geeignet mich zu beruhigen im Moment, eher im Gegenteil, ich habe Angst.
"Wir haben es!" ruft Ricardo plötzlich aufgeregt und ich schaue sofort zu ihm hinüber.
"Das..." sagt er mit belegter Stimme, "wird dir nicht gefallen..."
"Was wird mir nicht gefallen?" frage ich argwöhnisch.
"Wir haben Tom gefunden. Er ist mit Felipe weggefahren. Milton war auch dabei" erklärt Rico und traut sich nicht mich anzuschauen, "schau selbst!"
Ich schaue selbst und sehe aus drei Perspektiven wie Felipe seine dämliche Aristokratenkarre durch das Tor fährt, irgendeinen Boy neben sich und Tom mit Milton auf der Rückbank.

Wer nach den Sternen greift.... (zensierte Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt