#69 Tom & Mirko: Papa und Mama

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Tom

Ein schulpflichtiges Kind im Haushalt, welches jeden Morgen pünktlich zur Schule muss hat durchaus unerwartete Nebenwirkungen. Überraschend häufig schaffe ich es bereits bei den 8:15 Uhr-Vorlesungen pünktlich anwesend zu sein.
So auch heute und ein überraschter Blick von Marco streift mich: "Neuer Ehrgeiz oder bist du krank?"
"Dir auch einen guten Morgen!" erwidere ich spöttisch, "ich habe halt ein Kind im Haus!"
"Hat man das nicht im Ohr?" entgegnet er ironisch. "Für wie alt hälst du mich denn?" gebe ich mit gespielter Empörung zurück.
"Nein, Mirko hatte sein Coming-Out bei seinen Eltern und jetzt wohnt er erstmal bei mir" erzähle ich. "Dann ist es wohl nicht so toll gelaufen?" erkundigt sich Marco.
"Schwule sind abartig, sein Sohn ist nicht abartig, ergo ist er entweder nicht schwul oder nicht mehr sein Sohn und überhaupt: 'nicht unter seinem Dach!'" fasse ich das Drama kurz zusammen. "Ich hoffe aber, dass die nach einiger Zeit zur Vernunft kommen, weil sonst muss ich leider das Jugendamt involvieren, denn ich kann mich ja nicht einfach selbst in loco parentis setzen." Marco nickt verstehend und meint dann: "Ja, pass bloß auf, dass die dir nicht noch mit 225 StGB* kommen."
"Ich hoffe dafür sind die nicht helle genug" erwidere ich, dann sehen wir uns gezwungen unter dem mahnenden Blick des Dozenten zu verstummen.

Als ich nach 8 Stunden in der Uni gegen 16.30 Uhr wieder daheim anlange und gerade von meinem Auto zur Haustür laufe, werde ich plötzlich unsanft an der Schulter herumgerissen.
"Du bist also dieser Lucas, der meinen Sohn zu einem Perversen gemacht hat?" knurrt mich eine Stimme an die wohl bedrohlich klingen möchte, "gib mir meinen Sohn zurück, du Schwuchtel!"
Mirkos Vater, ich muss zugeben, ich bin überrascht,  so schnell habe ich nicht mit ihm gerechnet.

Mit Nachdruck nehme ich seine Hand von meiner Schulter und signalisiere ihm mit Blicken, dass er mich besser nicht noch einmal anfässt.
"Herr Folkerts, vermute ich?" und begrüsse ihn mit der knappest möglichen Andeutung eines Nicken. Mein Gegenüber schaut nun wie jemand der gerade gegen eine Wand gelaufen ist.
"Keran" stelle ich mich vor, dann fahre ich betont freundlich fort: "Da muss ich sie leider enttäuschen, aber mein Vorname lautet Thomas und nicht Lucas." Mit Freude sehe ich die Verwirrung die sich im Gesicht von Mirkos Vater breit macht.
"Im übrigen habe ich nicht feststellen können, dass Ihr Sohn pervers ist. Was das zurückgeben angeht, wenn Mirko zu Ihnen zurückmöchte stehe ich dem nicht im Wege. Aber Sie werden wohl kaum erwarten, dass ich Ihren Sohn fessele und gegen seinen Willen bei Ihnen abliefere."
"Mirko ist mein Sohn und ich werde es nicht erlauben, dass er bei so einer Schwuchtel wie dir..." brüllt der ältere Herr mit wutrotem Gesicht nun los, aber ich unterbreche ihn mit schneidender Stimme: "Ich kann mich wirklich nicht erinnern, dass ich Ihnen das Du angeboten habe Herr Folkerts! Und was Ihre Beleidigungen meiner Person gegenüber angehen nur zwei Dinge: Wenn Sie diese fortsetzen, sehe ich mich gezwungen von meinem Notwehrrecht Gebrauch zu machen und Sie daran zu hindern und weiterhin, gehen Sie bitte davon aus, dass ich mir die besseren Anwälte leisten kann und werde, ich bin mir sicher, Sie wollen ihre Ersparnisse nicht dafür aufbrauchen!"
Jetzt ist der Wutkopf vor mir verwirrt: "Notwehr? Hä? Ich hab doch garnichts getan?" Mit besonders viel Arroganz in meiner Stimme belehre ich ihn von oben herab: "Nun, um mich Ihres Sprachgebrauches zu befleissigen, wenn Sie mich weiter anpöbeln, habe ich das Recht Ihnen das Maul zu stopfen und das mache ich wenn nötig auch."
Man kann förmlich zusehen wie die Neuronen und Neuroglia in seinem Hirn zu neuen Höchstleistungen ansetzen.
"Sie sind also garnicht sein Freund?" fragt er nun. "Nein, der bin ich nicht, ich bin nur ein Freund" erwidere ich. "Und was macht er dann bei Ihnen?" hakt er nach.
"Nun, es hat sich ergeben, dass ich in den letzten Monaten irgendwie Ihren Job übernommen habe und irgendwo musste er ja hin, nachdem er laut Ihnen ja jetzt nicht mehr Ihr Sohn ist." erkäre ich mit herablassender Stimme.
"Meinen Job?" er kann mir offensichtlich nicht folgen.
"Wäre es nicht Ihr Job gewesen zu merken, dass Ihr Sohn in der Schule täglich auf übelste Zusammengeschlagen wurde?  Wäre es nicht Ihr Job gewesen dem Direktor der Schule deswegen einzuheizen? Wäre es nicht Ihr Job gewesen Ihrem Kind das Gefühl zu geben, dass er es Wert ist, das man ihn liebt und respektiert?" Herausfordernd schaue ich ihn an. "Gut, nicht nur Ihr Job, natürlich auch der Ihrer Frau!"
Die Wut scheint aus ihm zu entweichen wie die Luft aus einem leckem Ballon. Plötzlich wirkt er mehr bedrückt und geschockt und mit erstaunlich kleinlauter Stimme fragt er: "Kann ich ihn sehen?" Ich reagiere nicht sofort, weswegen er nochmals wiederholt: "Kann ich Mirko sehen?"
"Ich gehe hoch und frage ihn, ob er Sie sehen will." meine Stimme duldet keinen Widerspruch.

Wer nach den Sternen greift.... (zensierte Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt