- 46 - Kein zweites Mal

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Yamada Aya

Die ganze Autofahrt über dachte ich nach. Sie hätten es nicht erfahren dürfen. Nicht so. Nicht jetzt.

Wie ein Feigling hatte ich mich an Kuroo geklammert, um keinen von ihnen in die Augen sehen zu müssen. Selbst draußen auf der Bank schaute ich Kuroo nicht mal an und verbarg mein Gesicht.
Erst im Auto traute ich mich, und was ich sah, überraschte mich. In diesem Moment sah ich weder Abscheu noch Ärger oder ähnliches. Kuroo zog kein Gesicht wie einige meiner ehemaligen Klassenkameraden.
Liebevoll. Sanft. Sorgenvoll.
Ihn jetzt an meiner Seite zu haben, wäre schön gewesen. Da hätte ich mich nicht so ... einsam ... gefühlt.

Egoistisch...

Allerdings machte die Wut in seinem Blick, als wir wegfuhren, mir ein wenig Angst.
War er doch sauer auf mich?
Weil ich nichts gesagt hatte?
Weil ich es zugelassen hatte?

Das Hammerkonzert im Schädel wurde stärker, je mehr ich nachdachte. Der Schwindel nahm zu. Wir sind noch nicht mal im Krankenhaus angekommen und ich bekam nur noch die Hälfte mit.

Sie fuhren mich mit einem Rollstuhl in die Notaufnahme, wo sie mich in einen Raum brachten. Mutter und Alexander entdeckte ich nirgends in diesem sterilen, kahlen Kasten, der meinem Zimmer somit sehr ähnelte. Sie warteten wohl draußen.

"Aya? Ich darf Sie doch Aya nennen, oder?" Eine Frauenstimme erklang. Wo kam sie plötzlich her? Sie leuchtete mir erst ins rechte und dann ins linke Auge.
Ein summendes "Ja" verließ meine Lippen.

Sie stellte allerlei Fragen und untersuchte dabei meinen Kopf.
Ich erwähnte auch, dass ich den morgen bereits mit Kopfschmerzen aufgewacht war und deswegen auch schon Schmerztabletten genommen hatte. Daraufhin leuchtete sie mir nochmals in die Augen.
"Gut. Um sicherzugehen, machen wir noch ein Kopf-CT. Darf ich Sie noch auf weitere Verletzungen untersuchen? Ihr Bruder meinte draußen, dass Sie auch unglücklich gestürzt seien."

Dieser Wicht!

Langsam nickte ich.
"Könnten Sie dafür bitte Ihre Jacke und das Shirt ausziehen?" Die Frau Doktor nahm ihr Stethoskop zur Hand, während ich mich zögerlich der Jacke und dem Shirt entledigte. Mittlerweile tat jede Bewegung wieder weh.

Die Ärztin verzog keine Miene. Sie untersuchte meine Lunge - die Membran kühlte gleichzeitig meine Haut - indem ich tief ein und ausatmen sollte. Sie schaute sich die Hämatome ebenfalls an. Zum Glück gab es die ärztliche Schweigepflicht.

"Was ist passiert?", fragte sie als sie meinen Rücken abtastete.
"Nur eine kleine Auseinandersetzung. Mehr nicht", murmelte ich.
"Sieht die andere Person genauso lädiert aus?"
"Leider nicht", murrte ich. Ich hätte ihm gern den Schädel eingeschlagen.
"Ich säubere die Wunde am Rücken und die Kratzer an Ihrer Taille." Sie holte etwas. "Wie kam es zu dieser Auseinandersetzung?", fragte sie beiläufig.
"Nur eine kleine Diskussion unter Schülern, die ausgeartet ist."
"Eine Diskussion, wo die eine Partei kein 'Nein' akzeptiert hat?", fragte sie vorsichtig, während sie kurz auf die Knutschflecke schielte.
War das so offensichtlich? Kaum merklich nickte ich und meine Augen begannen zu brennen.
"Aya, wenn Sie-"
"Nein!", unterbrach ich sie sofort. "Ich-" Schnell wischte ich die Tränen fort. "Ich kann das nicht nochmal..." Diese Erniedrigungen durch die Verhöre. Untersuchungen. Schilderungen. Vermutungen. Vorwürfe. Mich dem allen nochmal zu stellen, ertrug ich keinesfalls. Damit hatte Alexander recht, obwohl es bei weitem nicht so schlimm war wie letztes Jahr.
Die Ärztin seufzte und begann die Wunden zu säubern, was ein wenig brannte.

"Das war's. Bis auf eine Gehirnerschütterung ist so weit alles in Ordnung. Es dauert einige Wochen, bis die Blutergüsse verschwunden sind. Die Schürfwunden sollten sich nicht entzünden, denn diese sind nur oberflächlich, aber trotzdem schön sauber halten. Die Schwellung im Gesicht und die Kopfschmerzen werden Sie bestimmt noch einige Tage begleiten. Ein blaues Auge muss nicht sein, aber es ist möglich. Zur Sicherheit möchte ich Sie eine Nacht zur Beobachtung hier behalten, Aya. Auch wenn das CT in Ordnung sein sollte, es könnten immer noch Nachblutungen auftreten."
Während sie mich mit diesen Informationen überschüttete, zog ich mich wieder an.
"Ich gebe Ihrer Mutter Bescheid, dass Sie die Nacht noch hier bleiben." Und schon war sie draußen.

*

Auf meinem Krankenzimmer angekommen, schickte die Schwester mich sofort ins Bett. Mutter war schnell nach Hause gefahren, um mir Sachen für die eine Nacht zu holen. Alexander saß nun neben mir und wartete geduldig.
"Kannst du meinem Team schreiben?", bat ich ihn leise mit geschlossenen Augen und gab ihm das Handy. Irgendwie war ich zu diesem Zeitpunkt sehr lichtempfindlich.
"Klar", flüsterte der Kleine, der in einem Stuhl neben meinem Bett saß.
"Schreib bitte nur, dass ich die nächsten Tage nicht in die Schule kommen kann", murmelte ich.
"Wieso das? Sie sind deine Freunde. Haben sie nicht ein Recht darauf zu erfahren, dass du im Krankenhaus liegst?" Erzürnung war in seiner Stimme.
"Sie sollen sich nicht un-"
"Nicht unnötig Sorgen machen. Bla bla bla. Für sowas ist es zu spät. Wenn du deren Gesichter vorhin gesehen hättest, dann hätte auf jedem in Fettbuchstaben dieses Wort auf deren Stirn gestanden."
Seufzend wandte ich den Blick ab. "Mach, was du willst..."

Aya - 18.08
Hey, Leute! Ich habe eine Gehirnerschütterung und muss die nächsten Tage das Bett hüten.

Lev - 18.09
Gehirnerschütterung?!

Yamamoto - 18.09
Können wir dich besuchen kommen?

Kai - 18.11
Werd schnell wieder gesund. Gute Besserung 😊

Yaku - 18.12
Gute Besserung! Komm schnell wieder auf die Beine.

Weitere Genesungswünsche trudelten ein. Alexander las mir alle Nachrichten vor und antwortete auch.
"Soll ich ihnen sagen, dass ich alles mit lesen kann und für dich schreibe?" Alexander kicherte.
"Ach, nein. Sie können es sich bestimmt schon denken", nuschelte ich.

"Soll ich Samuel schreiben?", fragte mein kleiner Bruder. Ich verneinte. Stattdessen fragte ich, ob Kuroo geschrieben hätte, hatte er aber leider nicht, weder privat noch in der Gruppe. Das verletzte mich schon irgendwie.

Er ist sauer auf mich.

An seiner Stelle wäre ich es auch gewesen. Diese brodelnde Wut. Ihm hätte ich es direkt erzählen sollen. Gestern schon. Vielleicht hätte ich es auch getan, wenn er geblieben wäre. Aber wäre er wütend gewesen, hätte er mich dann so angeschaut? Mit Sorge und noch mehr, wovon ich beim Gedanken daran schon eine Gänsehaut bekam? Irgendwie wünschte ich, dass er mich öfter genauso ansieht.

Auf die Frage, ob mein Bruder Kuroo schreiben sollte, verneinte ich wiederum. "Schreib Kaede bitte, dass sie mir die kommende Woche die Hausaufgaben schicken muss. Lev wird das bestimmt verpeilen." Die Hausaufgaben erledigte ich zwar dann nicht direkt, aber am Ende der Woche alles auf einmal zu bekommen, war demotivierend.
"Wird erledigt." Eifrig tippte Alexander auf dem Display herum. Keine fünf Minuten später antwortete sie sogar. "Sie macht es gern für dich und wünscht dir ebenfalls gute Besserung", fasste Alexander kurz zusammen.

Es klopfte an der Tür und Mutter kam mit meiner Tasche herein. "Ich hab das Nötigste zusammengepackt. Die Besuchszeit ist auch eigentlich schon vorbei." Sie regte sich darüber auf, dass sie fast gar nicht mehr ins Gebäude gekommen wäre, hätte sie nicht erwähnt, dass ihre Tochter noch Sachen bräuchte, weil sie gerade erst aufgenommen worden war und sonst nichts hätte.
Mutter räumte die Tasche weitestgehend aus. "So, Mausi. Wir müssen jetzt los. Ich hole dich morgen ab, ja?" Sie verabschiedete sich, indem sie einen Kuss auf meine Stirn drückte. "Schlaf gut."

"Wir sehen uns morgen", sagte Alexander und stand vom Stuhl auf. Bevor er die Zimmertür schloss, sagte er noch: "Mach dir wegen Kuroo keine Sorgen. Er meldet sich bestimmt noch." Ich antwortete nicht darauf, sondern drehte mich nur auf die Seite.

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Habe ich eventuell etwas zuuuuu viel Grey's Anatomy gesehen? Ja.
Würde ich nochmal alle Staffel durchschauen? Vielleicht. 😂
Die Marke 850 ist geknackt! Vielen Dank, Leudies!

Liebste Grüße
Eure Taschiii ♡

Kuroo x OC - Das Versprechen - Haikyu!! [laufend]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt