46| Eine warme Mahlzeit

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Every Breath You Take
The Police

Lancelot

Deans Mom wohnte am Rand einer Kleinstadt in Illinois. Es war die Art von Stadt, in der es gerade mal einen Lebensmittel gab und man kaum Leute auf den Straßen sah. Als wir endlich unser Ziel erreichten, hatten wir so viele Highways hinter uns gebracht, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob sich die Welt nicht vorwärts bewegen würde, sollte ich endlich diesen Wagen verlassen. Wir kamen vor dem unscheinbaren Haus zum stehen und Dean würgte den Motor ab. Ich spähte durch die Windschutzscheibe auf das Gebäude vor uns.

Versunken in Ranken und Büschen reckte sich uns das kleine Bungalow entgegen, als würde jeden Moment eine Kräuterhexe ihren Kopf aus einem der Fenster stecken. Das war es also. Der Ort wo er aufgewachsen war. Gemütlich. Dean stieg aus, doch ich gestattete mir einen zweiten Blick. Das Haus grenzte an einen Wald am Rande der Stadt. So weit von dem Rest der Menschheit entfernt, dass man hier problemlos eine Leiche verscharren könnte.

Mit ächzenden Beinen schwang ich mich aus dem Wagen und folgte Dean, der bereits auf die Tür zuschritt. Mit verdächtig verspannten Schultern, hob er seine Hand, klopfte. Ich und Rory warfen uns einen knappen Blick zu. Ich wusste nichts über Misses Jeong, was diese ganze Erfahrung aufregend machte. Aufregender als eine Flucht sowieso schon war.

Man hörte tapsende Schritte, das Klirren eines Schlüssel bevor die Tür geöffnet wurde. Dahinter wartete auf uns eine kleine koreanische Dame, die blinzelnd zu uns hinauf spähte. »Annyeonghaseyo, eomma.(Hallo, Mama)«, raunte Dean und verbeugte sich knapp. Sie nahm seine Hände in ihre und musterte sein Gesicht. Bevor ich eine Begrüßung sagen konnte, zog sie das Gesicht ihres Sohnes zu sich hinab, wie um einen besseren Blick zu bekommen. Drehte es von Seite zur Seite. Skeptisch runzelte sie die Stirn, schnalzte mit der Zunge »Du bist dünner geworden. Isst du nicht genug?«

Dean sah knapp zu uns hinter, bevor ich seufzend aus ihrem festen Griff zog, »Ich esse genug, Mom. Können wir das nachher-«
»Kommt rein. Kommt rein. Ich habe gerade gekocht.«, winkte sie ihn ab und hielt uns die Tür auf. Bevor Dean etwas erwidern konnte, schlüpfte ich aus meinen Schuhen und durch die Tür. »Anyoung hashimnikka, jeongssi. (Hallo, Frau Jeong - Höflichkeitsform)« begrüßte ich sie und spürte augenblicklich nicht nur Deans überraschten Blick in meinem Nacken. Frau Jeong sah knapp an mir hinab - zu meinem knappen Shirt, über meine Tattoos und zurück zu meinem standhaften Grinsen. Ich hatte eigentlich nie Schwierigkeiten damit, Leute dazu bekommen, mich zu mögen. Wusste immer wie ich meinen Charme zu spielen hatte. Doch als die ältere Dame mich ausgehend musterte, spürte ich wie meine Muskeln unruhig spannten. Erst als sich ihr Gesicht mit einem breiten freundlichen Grinsen verformte, atmete ich wieder ein. »Du musst Lancelot sein.« stellte sie fest und sah an mir vorbei zu ihrem Sohn, »Ich habe schon viel von dir gehört.« Ah?

Das war nie gut. Fragend sah ich zu Dean, dich dieser wich nur meinem Blick aus. Was zur Hölle hatte er seiner Mutter von mir erzählt?

Miss Jeong wandte sich zu Rory, begrüßte sie, während ich weiter in das Haus trat. Doch bevor ich das Wohnzimmer betrat, packte mich Dean sanft am Arm, »Du kannst koreanisch?« flüsterte er und ich schüttelte ihn schnaubend ab. Ich konnte gerade mal Hallo sagen und hatte dabei schon die Aussprache bei jedem zweiten Buchstaben verhauen. Ich würde ihm nicht sagen, dass ich die Begrüßung vor ein paar Stunden gegoogelt hatte, allein um seine Reaktion zu sehen. Stattdessen sah ich zu ihm hoch, »Ich habe meine halbe Kindheit in Konferenzräumen verbracht. Ich kann auf so ziemlich jeder Sprache der östlichen Hemisphäre Hallo sagen.«

Ohne weiter auf ihn zu achten, betrat ich den gemütlichen hölzernen Raum, der sowohl Küche als auch Wohnzimmer zu sein schien. Auch hier standen unzählige Pflanzen die sich an den Fenstern und um die altmodischen Möbel tummelten. Bucher stapelten sich nur auf vielen Regalen sondern auch in kleinen Türmen auf dem Boden. Ich drehte mich einmal im Kreis, ließ alles auf mich wirken. So sah also ein Zuhause aus. Ein Geruch nach gebratenen Zwiebeln hing in der Luft. Miss Jeong folgte uns, teilte uns mit, platz zu nehmen. Aurora stand ein wenig überfordert in der Diele, wie als wäre sie nicht sicher, ob sie das Wohnzimmer betreten dürfte. Grinsend nickte ich zum Tisch.

Zögerlich setzen wir uns an den Esstisch.

•••

Ich hatte nach all den Automaten-Snacks ganz vergessen, wie richtiges Essen schmeckte. Miss Jeong hatte den Tisch binnen Sekunden mit verschiedenen Töpfen gefüllt, jeder davon verlockender als der andere. »Dean hat mir bereits gesagt, warum ihr hier seid.« lächelte die Frau und wischte sich ihre Hände an einem Handtuch ab, sah aufmunternd zu Rory. »Ihr könnt so lange hier bleiben wie ihr wollt.« Aurora presste die Lippen zusammen, knetete unruhig ihre Hände, »Wir wollen Ihnen wirklich keine Umstände machen, Misses Jeong.«

Ich nickte zustimmend. Obwohl wir nicht wirklich einen Plan B hatten.

Fast schon beleidigt, stemmte sie ihre Hände in die Hüften, »Nennt mich ruhig Min-hee.« Ihr Blick fiel auf Dean, »Und ich muss euch eher danken. Ich sehe diesen undankbaren Klotz so selten, seitdem er unbedingt in die große Stadt ziehen musste.« Der undankbare Klotz seufzte schwer,»Mom.«

»Ja ja, schon gut.« schimpfte sie und setze sich zu uns. Keiner machte Anstalten zu essen. Erst jetzt schien jedem von uns erst wirklich klar zu werden, in was für einer Situarion wir steckten. Eine ernüchternde schwere schlich sich in den Dampf der Gerichte.  Wir waren tagelang gefahren, waren vor einer Hochzeit geflohen nur um irgendwo im nirgendwo, an einem Esstisch zu sitzen. Unser altes Leben Meilen weit entfernten. Ich hatte mich die letzten Tage nicht gefragt, wie es ab jetzt weiter gehen würde, doch nun war ich seltsam aufgeschmissen. »Was schaut ihr denn so verloren? Esst! Esst!« forderte Min-hee uns auf und ich riss mich aus meiner Starre. Ich glaube fürs erste, reichte es erst mal etwas zu essen.

•••

Min-hee war eine Grundschullehrerin für Englisch. Das erzählte sie uns, während wir uns unsere Teller voll schaufelten wie wilde Tiere. Sie war nun kurz vor der Rente, dachte aber gar nicht daran aufzuhören, klärte uns Dean auf. Das erklärte auch ihren strengen Blick und den sanften Ton ihrer Stimme. Zudem ließ sie auch meine Fantasien von einem kleinen Dean platzen, welcher über diese Holzboden flitzte, als sie uns erzählte, dass sie erst vor ein paar Jahren hier her gezogen war. Um genauer gesagt, seit dem ihr Ehemann gestorben war. Deans Vater. Dies war also nicht der Ort, wo er aufgewachsen war.

»Das war hervorragend, Min-hee.« seufzte Rory, als sie ihr Besteck beiseite legte und sich voll nach hinten sinken ließ. Zu frieden summend, umkreiste Min-hee denn Tisch. »Nimmt euch so viel ihr wollt. Ihr seid alle so schrecklich dünn.« Ihr Finger wanderte fast schon anklagend über uns. Ich kicherte. Dean warf mir einen entschuldigen Blick über das Kimchi hinweg. »Ich glaube ich habe noch nie so etwas gutes gegessenen.« gestand ich und lehnte mich ebenfalls zurück. »Lasst das nicht eure Mütter hören.« tadelte sie uns. »Das Essen einer Mutter ist immer das Beste.«

Ich schnaubte,»Meine Mutter hat nie für uns gekocht.« Ich stützte meinen Kopf auf meine Handfläche. »Aber wir hatten mal eine Köchin, die konnte das beste...!« Ich verstummte als ich die Stimmung bemerkte, die ich gerade ruiniert hatte. Räuspernd strich ich mir über das Kinn. Wir hatten früher nie wirklich Familienessen. Dad war meist im Büro, Mom auf der anderen Seite der Welt. Aber das war auch okay. Ich hatte es nie wirklich vermisst. Rory tippte einen Rhythmus auf die Tischplatte, »Meine Mutter hat früher immer für mich Milchreis gekocht bevor sie starb!«, rief sie in die Runde, in einem vergeblichen Versuch die Stimmung zu retten. »Das war... « begann sie zögernd. »Das war köstlich.« Stille.

Min-hee nickte, seufzte schwer, »Nun ja, hier bekommt ihr so viel ihr wollt.«

Not your Friend! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt