Celeste
Ezra VineDean
»Hallöchen.«, erklang es in dem Moment, in dem ich die Tür hinter mir geschlossen habe. Ich wusste bereits, dass er da sein würde, warum mich seine Stimme auch kein Stück überraschte. Ich spürte seinen Blick in meinen Rücken, eine Stumme Aufforderung ihn anzusehen, ihm meine Aufmerksamkeit zu geben. Ohne mich nach ihm umzublicken, legte ich meine Schlüssel in den Korb neben dem Obstkorb, streifte mir meine Jacke von den Schultern, »Wenn du nur deine eigene Wohnung hättest, wo du uneingeladen auftauchen könntest.«, seufzte ich und hörte wie Lancelot von meiner Treppe aufstand. »Oh, warte..!«, raunte ich sarkastisch und drehte mich endlich zu ihm um.
Lancelot lehnte sich grinsend gegen den Türrahmen meiner Küche und verschränkte seine Arme. Oktober war hier und plötzlich war es schon zwei Monate her, seit jenem Abend an dem ich ihn kennenlernte. Zwei Monate in dem er seinen Vorschlag Freunde zu werden, etwas ernster genommen hatte, als ich dachte. So ernst, dass ich mich mittlerweile gar nicht mehr darüber beschwerte, dass er sich still und heimlich wie ein Gespenst in meine Wohnung schlich. »Wir wissen doch beide, dass du an meiner Seite kleben würdest, würde ich dich nicht zu erst finden.«, höhnte er und ich verspannte augenblicklich. Ich ging nicht auf seine Worte ein, so wie immer wenn er solchen Anspielungen machte. Lance legte den Kopf schief, deutete auf die Tüte in meiner Hand, »Wo warst du?«
»In einem Stripclub.« entgegnete ich trocken, da sowohl der Geruch nach Sojasoße und Reis, sowie auch das Logo des chinesischen Restaurants seine Frage bereits beantwortet hatten. Lancelot stieß sich von der Tür ab, umrundete meine Theke, »Ah, Freunde von mir besucht?« Ich schnaubte und stellte die Tüte zwischen uns, »Soll dir schöne Grüße ausrichten.«Er entgegnete nichts mehr. Seine Aufmerksamkeit auf der Tüte erstarrt, als wäre er ein Hai der seine Beute im Visier hatte. Seufzend nahm ich seufzend einen Pappkarton heraus und schob ihn schweigen zu ihm herüber. Seine Augen weiteten sich, als wäre er nach all der Zeit immer noch überrascht, »Nummer 24?« Ich nickte stumm und als könnte es nicht schnell genug gehen, öffnete er die Box, inhalierte den Dampf den er damit frei lies. »Ohne Sojasprossen.«, stellte er flüsternd fest und ich zog meine Boxen hervor, versuchte zu ignorieren, wie sehr er sich freute.
Es war erschrecken wie schnell ich mich daran gewöhnt hatte, dass ich die Bestellung von dem Mann wusste, der besser auf der anderen Seite der Wand geblieben wäre. Es war nicht meine Aufgabe ihn durch zu füttern, oder überhaupt mit ihm zu reden. Ich war mir sicher Moreau hatte genug Freunde und bestimmt genug Geld um sich das gesamte Restaurant zu kaufen. Ich musterte ihn. Naja, vielleicht das Halbe. Deswegen war ich mir auch so sicher gewesen, dass er meine Existenz als nicht mehr ansehen würde, als einen beiläufigen Nachbarn. Doch er war hier. Und das nicht nur Heute.
Wie einer Straßenkatze, der man einen Moment lang Güte gezeigt hatte, stand er immer wieder vor meiner Tür. Er war, als wären wir seit Jahren Freunde, die über Gott und die Welt sprachen und sich etwas vom Chinesen bestellten. Und ich wusste beim besten Willen nicht wieso.
Wieso ich ihn nicht einfach herausschmiss, oder warum er immer wieder pünktlich in meiner Wohnung erschien. Doch irgendwann - zwischen dem Moment in dem ich mich mehr hinterfragte, wie er in meine Wohnung kam, und dem Moment in dem ich seine Bestellung ohne zu fragen wusste, schien ich es akzeptiert zu haben. Ihn akzeptiert zu haben. Als ich Lance zum ersten Mal begegnet war, war ich besorgt gewesen, dass jemand wie Lancelot Moreau meinen Frieden stören könnte. Denn das war alles, was ich jemals wollte. Meine beschissene Ruhe.
Ich beobachtete, wie er sich auf einen der Barhocker schwang und ein paar Gabeln herausholte, nur um sie über die Theke schlittern zu lassen, wie der Barkeeper ein Glas Whiskey in einem Western. Ich beobachtete wie seine Augen aufleuchteten, als er sich seine Nummer 24 hinein schaufelte, als hätte er bereits den ganzen Tag darauf gewartet. Als wäre es das beste Essen dieser Welt.
Er liebte diese Nudeln. Das war eine der wenigen Dinge, die ich über ihn selbst wusste. Ich starrte hinab auf mein Essen. Wir fragten uns nie über einander aus. Es schien eine unaugsesprochne Regel, dass wir dem anderen nie erzählten, was in unserem Leben vor sich ging. Nichts persönliches - nur über dumme Fernsehserien, oder Diskussionen was eine gute Pizza ausmachte, die Bedeutung von Schicksal und Gott, - Dinge, die einem alles über eine Person sagten, im selben Moment, in dem sie ihn auch einen Fremden bleiben ließen.
Lance schien damit einverstanden. Er redete nicht gern über seine Familie. Oder sich selbst. Oder generell über irgendwas Relevantes. Und ich tat es ihm gleich.
Vielleicht war es auch einer der Gründe, warum ich mich nicht mehr gehen Moreau wehrte - wenn ich das jemals überhaupt getan hatte. Es schien, als würde er auch seine Ruhe suchen. Ich spießte meine Gabel in mein Essen.
Und irgendwas sagte mir, dass er ihn wohl mehr vermisste als ich ahnte. Den verdammten Frieden.
•••
»Ich weiß echt nicht, warum du sie mich nicht wenigstens Mal halten lässt?«, brummte er, halb versunken in dem Gartenstuhl neben mir. Schnaubend pustete ich auf die Linse, versuchte einen Fussel zu entfernen. Ich würde die Kamera in meinem Händen niemals jemand anderen anvertrauen, egal wer es war. »Du würdest sie fallen lassen.«, raunte ich und streckte die Beine rekelnd von mir. Die Sonne ging gerade unter und ich wollte eigentlich nur den Ausblick von meinem Balkon festhalten, doch mein Film schien bereits voll. Wie ein beleidigtes Kind verschränkte er die Arme, »Ich würde sie in den Armen halten, wie Maria Jesus. Wie Rose Jack auf dieser Tür. Wie-«
»Ja ja.«, lachte ich, doch er war noch nicht fertig. Lance lehnte sich theatralisch zu mir hinüber. »Wie ein Streichholz in einem Meer aus Benzin. Wie-«
»Ich würde sie dir nicht mal geben,« beendete ich sein Gebrabbel entschieden, »wenn sie dir das Leben retten würde.« Ich wandte meine Aufmerksamkeit von dem Objektiv zu dem Mann, der mittlerweile praktisch halb auf meiner Seite hing.Er hatte sein Kinn auf seine Handfläche gestützt, seine Augen gefüllt mit dem Licht der Abenddämmerung und diesem verdammten Blitzen. »Nicht mal, wenn ich sterbend in deinen Armen liegen würde?« Er griff sich an sein Herz, als hätte Shakespeares Geist höchst persönlich von ihm Besitz ergriffen, rutschte röchelnd vom Stuhl, »Hab Mitleid mit mir, Dean Darling.« Seine Hand streifte meine Jeans auf seinem Weg zu Boden, reckte sich gen Himmel. »I-ich will noch noch nicht ... gehen!«, er schloss die Augen, nahm seinen letzten gespielten dramatischen Atemzug. Ich spürte das Adrenalin in meinen Adern. Wandte den Blick ab, atmete durch. Ich wusste, dass er nur Spaß machte. So wie immer. Meine Hände waren klamm. Aber... Ich presste meine Augen zusammen. Blutige Hände krallten sich in meine Uniform. Ein zittriger Atemzug. Das Geräusch von sich nähernden Helikoptern und das wissen das es zu spät war. Zu spät. Zu - »Dean?«
Seine kühle Hand riss mich aus meiner Trance und auf die Beine. Ausatmend fuhr ich mir die Haare nach hinten, hielt meinen Blick auf dem Horizont. »Tu-« erneut musste ich tief Luft holen. »Tu sowas einfach nicht, okay?« Ich drehte mich wieder herum, sah zu ihm hinab zum Boden. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht...« Seine Augen waren groß und gefüllt mit etwas, dass sich nur mit Sorge beschreiben ließ. Das und ... Verständnis? Ein Ausdruck, der in den Zügen von Lancelot Moreau genauso fehl am Platz wirkte, wie Schnee am Strand.
Ich versuchte zu lächeln, doch es war nur ein müdes Schmunzeln. »Komm schon, lass uns-« Ein Scheppern ließ mich verstummen. Ich und Lance teilten uns einen erstaunten Blick, bevor wir beide zum Rand des Balkons eilten. Das Scheppern kam aus seiner Wohnung. Doch er war hier bei mir. Also wer...? Ein erneutes Krachen. Dort drüben war jemand. Ich nahm Haltung an, spähte über die Reling zu seiner Wohnung. »Du bleibst hier.«, befahl ich leise, als Lancelot ebenfalls hinüber späte. Entsetzt sah er zu mir auf, »Was? Nein!« Ich schob mich an ihm vorbei ins Innere meine Wohnung, griff unter das Brett meines untersten Regals, und zog den Revolver hervor. »Eine verfickte Waffe?«, hörte ich ihn hinter mir entsetzt, als ich wieder hinaus trat, und auf seine Wohnung zusteuerte.
Es waren wahrscheinlich nur ein paar Kids, die in die falsche Wohnung einbrachen. Aber man wusste ja nie. »Dean. Was zur Hölle-?« Lance zog an meinem Shirt, wollte mich aufhalten. Eindringlich sah ich ihn an, wollte ihm befehlen rein zu gehen, doch ich wusste dass das sinnlos war. Dennoch. »Bleib. Hier.«
Im nächsten Atemzug schwang ich mich bereits über die Reling.
DU LIEST GERADE
Not your Friend! [BxB]
Roman d'amour[Teil 2 der Not-Your-Reihe] Die Welt weiß über Lancelot Moreau nicht viel mehr, als seinen Nachnamen und die Fehler, die er begangen hat. Im Schatten seiner Brüder und hinter dem Reichtum seiner Eltern verborgen, scheint er einzig die Rolle der Entt...