71| Ein kalter frischer Wind

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love is embarrassing
Olivia Rodrigo

Lancelot

»Wisst ihr, am Anfang war es ja noch auszuhalten, aber jetzt ist es nur noch Folter.« Ich versuchte ein verschlammtes Blatt von meiner Krücke zu schütteln, während kalter Herbstwind an uns zerrte. Es war mittlerweile Mitte November und es waren drei Wochen seit Gewaines Besuch vergangen. Drei Wochen, in dem mich meine liebreizende Familie praktisch täglich zu endlosen Übungen und Trainingseinheiten zwang, als wäre ich ein Hüftpatient auf Reha. »Stell dich nicht so an.« kicherte Darcy, mein heutiger Folterknecht. »Ist doch nur ein bisschen Wind.« Ich hatte mich bei ihr untergeharkt, während ich mich mit meinem anderen Arm auf eine Krücke stütze. Ich hatte mittlerweile den Rollstuhl hinter mir lassen können, was vor allem daran lag, dass Darcy ihn him und wieder versteckte, so dass mir gar nichts anderes übrig geblieben war, als zu den Krücken zu greifen. Doch auch die brauchte ich kaum noch.

Wir schlenderten durch den Central Park, versuchten dem Schlamm des Herbstes aus dem Weg zu gehen. Dean ging zwei Schritte hinter uns, hielt seinen Abstand, als wäre er nicht Teil dieses Spaziergangs sondern lediglich ein weiterer Passant. Oder ein Bodyguard. Er machte das immer so, und ließ mich damit fühlen, als wäre ich ein wichtiger Politiker, oder so was. Er müsste nur noch sein Sweatshirt gegen einen Anzug tauschen und sich einen Knopf im Ohr zulegen und das Bild wäre perfekt. Es nervte mich tierisch.

»N' bisschen? Es fühlt sich an als hätte Väterchen Frost seine Hände auf meinen Weichteilen wie ein perverser Onkel.« Lachend stieß sie mit ihrer gegen meine Schulter, ließ mich ein wenig schwanken, »Lance!« Schnaubend gab ich den Schubser zurück, sah hinauf zu den Baumkronen, fragte mich, wann ich wieder zurück ins Warme durfte. »Das ist nun wirklich nicht mehr nötig.« versuchte ich es. Darcy ging nun fast jeden Nachmittag mit mir durch diesen Park. Als die Blätter ihre Farben vorführten, machte mir das auch noch nichts aus, doch seitdem man den Winter immer mehr in der Luft riechen konnte und die Luft mittlerweile auf der Haut stach, wünschte ich, sie würde einen anderen Weg finden, mich zu quälen. Grinsend lehnte sie ihren Kopf gegen meine Schulter, »Hm genau; wenn ich dich nicht hier raus schleifen würde, dann würdest du den ganzen Tag in diesem Zimmer verschmoren.« Korrekt. Doch ich verzog anklagend die Stirn, »Bei dir klingt es so als wäre ich ein Köter, mit dem du Gassi gehen musst.«
»Nun-« Schnaubend drückte ich ihren Kopf auf die andere Seite, weg von mir. Kichernd strich sie sich ihre Haare von der Schulter, bevor sie wieder ernst wurde, »Aber jetzt mal ernsthaft. Wieso triffst du dich nicht mit ein paar Freunden? Kommst mal wieder ein bisschen raus?« Ich hob die Augenbrauen, »Willst du mich etwa loswerden, Teufelchen?« Darcy zog eine empörte Schnute, »Niemals, ich-«
»Lancelot?« Ein Passant war vor uns stehen geblieben, unterbrach unser Gespräch. Überrascht sah ich den Mann an, der meinen Namen kannte, »Nicholas?«

Ein Lächeln legte sich auf Nicholas Browns Gesicht. Er trug einen Anzug, einen Aktenkoffer und hielt sein Handy noch in seiner Hand, als wären wir es gewesen, die ihn mitten aus seinem geschäftlichen Telefonat gerissen hatten. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit ... seit Silvester. Mein Blut gefror. Ah. Er trat auf mich zu und ich spürte Darcy's fragenden Blick auf meiner Seite. »Es ist schön dich zu sehen!« er klopfte mir fast schon aufmunternd auf die Schulter, spähte zu meiner Krücke, »Ich hab gehört was passiert ist. Es ist gut zu sehen, dass es dir wieder besser geht.« Ich spürte wie Dean näher trat, spürte die Wärme seines Körpers in meinem Rücken. Ich rang mir ein höfliches Lächeln ab, »Ja, du weißt ja, wie das ist. Ich bin nicht so schnell klein zu kriegen.« Sein Lächeln wurde breiter, bevor sein Blink hinter mich wanderte. Ich sah es in seinem Gesicht, als er ihn erkannte. Natürlich erkannte er ihn. Meine Lungen ächzten.

»Oh, dich kenne ich auch noch? Die Silvesterparty, richtig?«Ich sah über meine Schulter zu Dean, dessen Blick kühl auf Nick lag, der knapp nickte. Erinnerte er sich gerade an ihre Nacht? Entsinnt er sich Nicks Berührungen auf einer Haut? Meine Zähne knirschten. Nicholas verstaute seine Hände in seinen Taschen, legte kaum merklich seinen Kopf schief, »Ich wollte mich nochmal für die Nacht damals bedank-« Oh Gott. »Nicht der Rede wert.« raunte Dean, bevor er seinen Satz beenden konnte. Nick nickte abgewiesen, bevor er sich wieder zu mir wandte. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, »Hey, Lance. Es ist gut das ich dich hier wieder treffe. Ich und ein paar Leute schmeißen heute Abend eine Party. Nichts großes, du weißt ja, wie es läuft.« Ich hob meine Augenbrauen. Oh ja, ich wusste wie das lief. Dean verlagerte hinter mir sein Gewicht. Starrte zu mir hinab, doch ich sah stur zu Nick. Dessen Hand wie beiläufig über mein Hemd wanderte, gedankenverloren an einem Knopf zupfte, »Komm doch vorbei, wenn du Lust hast.« Ich sah auf seine Hand hinab, bevor ich genauso wie er den Kopf schief legte. Eine Stimme in meinem Kopf schrie mir was entgegen, doch ich ignorierte sie vollkommen. Stattdessen fokussierte ich mich nur auf das Gefühl von Deans Blick in meinem Nacken, auf Nicks Lächeln, »Ich denk' drüber nach.« Sein Gesicht erhellte sich, »Es würde mich wirklich freuen, dich zu sehen. Wir müssen viel aufholen.« Er trat seinen Rückzug an, aber nicht bevor er noch mal dem Mann hinter mir zunickte, »Dean

Wir beobachteten, wie Nicholas Brown seinem Weg nach ging, bevor Darcy an meinem Ärmel zerrte,  »Wer war das denn?« Ich stieß die Luft aus meinen Lungen, »Ein alter Freund.« Ich sah nicht mehr zurück zu Dean, sondern schlenderte einfach weiter mit Darcy den Schotter hinab. Ich konnte die Fragen der Beiden förmlich durch die kühle Luft flirren spüren, doch meine Nichte war die erste die die Stille brach.

»Du willst doch nicht wirklich hingehen, oder?« Es war wahrscheinlich keine gute Idee. Meine Beine hielten mich gerade erst wieder aufrecht. Ich war gerade wieder ich selbst. Aber das Gefühl meiner Fingernägel in meinen Handflächen, war wie eine stechende Herausforderung. Vielleicht war es keine so dumme Idee. Eine Party, wieder unter Läute kommen... Leute treffe, die mich nicht behandelten wie eine Mutter. Wie beiläufig zuckte ich mit den Schultern, »Wie war das noch? Hast nicht du gerade vorgeschlagen, dass ich mal wieder raus komme?« Darcy nickte, »Touché.« Auch wenn sie das Thema sein lassen wollte, sah ich in ihrem zerknautschten Gesicht, dass ihr der Gedanke nicht gerade zu gefallen schien. Ihre Stirn lag in tiefen Falten. Und ich konnte mir gar nicht vorstellen, welcher missbilligender Ausdruck gerade auf Deans Gesicht liegen musste. Aber ich hatte es nicht vor herauszufinden, weigerte mich ihn anzusehen.

Aber Darcy hatte Recht. Wenn sich was ändern sollte, wäre ich der erste, der etwas tun musste. Ich konnte nicht den Rest meines Lebens einen verschlammten Weg hinab humpeln. Seufzend klopfte ich ihr auf ihren eingeharkten Unterarm.

»Komm schon, Sweetheart. Gehen wir zurück. Mir ist kalt.«

Not your Friend! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt