05| Goldene Fesseln

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She Gets the Flowers
Beth McCarthy

Aurora

»Aaron?« Die Musik schien Welten entfernt, während ich durch die Gänge des Anwesens schritt. Ich hatte bereits den gesamten Saal abgesucht, doch niemand wusste wo er war. Ich öffnete ein paar Türen, rief in die dunklen Räume doch auch dort schien er nicht zu sein. Aaron würde an einem so wichtigen Abend nicht einfach verschwinden. Nicht, wenn unsere beider Familien anwesend waren. Wahrscheinlich fühlte er sich einfach nicht gut. Vielleicht war er krank? Ich beschleunigte meine Schritte, »Aaron!«

Ich schloss gerade eine weitere Tür, als ich ein entferntes Poltern hörte. Horchend blieb ich in der Mitte des Ganges stehen, dachte schon, ich hätte es mir nur eingebildet, als ich es erneut hörte. Es klang wie ein dumpfer Schlag gegen Holz. Mit klopfenden Herzen folgte ich dem Geräusch, bis ich vor der Tür der Bibliothek zum stehen kam.

Es gab Momente im Leben, da fühlte man es. Es war dieses Bauchgefühl, dass einen regelrecht anschrie. Diese Gewissheit, dass etwas nicht richtig zu sein schien. Wenn ich diese Tür nicht geöffnet hätte, wenn ich einfach weiter gegangen wäre, wäre mein Leben wahrscheinlich komplett anders verlaufen. Aber ich war nicht weitergegangen. Nein. Ich öffnete die Tür.

Ich öffnete die Tür naiv genug, wirklich mit einem kranken Aaron zu rechnen. Nein, nicht naiv genug - verzweifelt genug. Irgendwas in meinem Kopf, schien es schon gewusst zu haben. Ich wollte es nur nicht wahrhaben, denn wenn ich es wissen würde, würde es alles zerstören. Doch nach dem Anblick, der sich mir in dem dunklen Raum bot, gab es sowieso kein zurück mehr.

Es war nicht die Kleidung, die von dem Lichtstahl der offenen Tür enthüllt wurde, nicht sein nackter Oberkörper, der jemanden an die Regale zu drücken schien, es waren nicht mal ihre eng umschlungen Körper - es war ihr Stöhnen, das mir das Herz aus der Brust riss. Als wäre ich endgültig zu einem Statisten in meinem eigenen Leben geworden, stand ich wie festgefroren in der Tür, unfähig zu gehen, zu schreien, oder selbst einfach nur wegzuhören. Es war nicht ihre Liebesbekundungen, es war die Art wie er ihren Namen sprach, »Miriam!« Als wäre sie die Antwort. Als wäre ihr Name ein Gebet.

Miriam hatte sich bereits vor Stunden von mir verabschiedet, meinte sie würde sich nicht gut fühlen. Doch wie es schien, ging es ihr besser.

Ich sah sie nicht. Der Rücken meines Verlobten versperrte mir die Sicht auf das Gesicht meiner besten Freundin. Meiner einzigen Freundin. Aber ich musste sie nicht sehen. Ich erkannte ihre feinen Finger, die sich in seinen Rücken krallten. Es waren dieselben, die mir noch vor ein paar Stunden mein Kleid zurecht gezupft haben. Keuchend holte ich Luft, als mich das volle ausmaß der Szene traf, mir die Lungen zerquetschte wie ein Schlag in die Magengrube. Sie hatte darauf bestanden, mich heute zu begleiten - als Unterstützung. Ich war gerührt davon gewesen, dass sie mir an diesem Abend beistehen wollte.

»Oh, Gott... Aaron!« Sie klangen so vertraut, als wäre das hier nicht das erste Mal. Wie lange ging das schon? Wie oft hatte Aaron mich besucht? Wie oft war er in meinem Zuhause gewesen, mit dem Vorwand mich zu sehen, nur um mit ihr anschließend... das zu tun? Und nicht mal jetzt konnten sie die Distanz wahren? Hier? Im Anwesen der Moreaus? Der einzige Ort an dem meine Kindheitserinnerungen nicht ganz so düster schienen? Mir wurde schlecht. Sie schienen mich immer noch nicht zu sehen. Oder vielleicht taten sie es, vielleicht war es ihnen einfach egal.

Ich wusste, dass es keine Liebe war. Ich wusste, dass wir niemals wirklich - »Du bist wunderschön, Miriam.« Ich presste mir eine Hand über den Mund, erstickte mein Schluchzen. Nicht niedlich. Nicht entzückend. Wunderschön.

Ich hätte reingehen sollen. Sie anschreien sollen. Doch stattdessen drehte ich mich um und ging. Ich schloss die Tür hinter mir und ging einfach den Gang zurück. Aaron war nicht krank. Nein, ihm schien es Bestens zu gehen.

Wie in Trance setzte ich einen Fuß vor den anderen, mein absolut Kopf leer. Erst als mich die kühle Abendluft des Gartens empfing, realisierte ich, dass ich nicht zurück zur Gala gegangen war. Meine Beine haben mich gerade Wegs hier her gebracht, als wäre ich nicht in der Lage weiter diese Rolle zu spielen. Ich konnte beim besten Willen nicht weiter so tun, als wäre ich die zukünftige Aurora Callaghan.

Ich starrte, auf die unendlichen Beete von Blumen, auf die Hecken die sich durch die Nacht erstreckten. Kam nicht darum herum mich zu fragen, ob sie es auch Mal in meinem Zimmer getan haben. Ich kniff die Augen zusammen, wünschte - »Aurora!«, jemand packte meinen Arm riss mich herum. Vater starrte erzürnt auf mich herab, aber selbst im Anbetracht seiner Wut war ich schrecklich leer. »Woher zu Hölle warst du?«
»Ich-«
»Du und Aaron seid spurlos verschwunden und jetzt finde ich dich hier total verheult?«

Ich hielt inne. Würde er...? »Was denkst du was das für ein Bild auf uns wirft!« Natürlich nicht. Wieso sollte er sich auch darum kümmern, dass ich hier draußen sichtlich bestürzt stand. Allein der Gedanke war albern. »Bring dein Gesicht in Ordnung und-«
»Er hat mich betrogen.«, meine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern, aber die Worte tatsächlich auszusprechen, zerstörte etwas in mir. Vater verzog sein Gesicht, als hätte er mich nicht verstanden, »Was?«
»Er treibt es mit Miriam.«, spuckte ich hervor und riss mich aus seinem Griff. »Er treibt es mit ihr, während ich-« Etwas lief mir über die Wangen. Ich weinte vor Vater. Panisch rieb ich mir das Nass von den Wangen.

Ich taumelte ein paar Schritte nach hinten, während er sich durch die Haare fuhr. Er wirkte nicht sauer. Nicht wütend. Nur genervt. Und dann realisierte ich etwas, dass so viel schlimmer war als das Hobby meines Verlobten. »Du hast es gewusst.« Dad sah mich stumm an und ich japste nach Luft. Wieso..? Wieso hatte er mir nichts gesagt? Wieso- »Geh wieder hinein, Aurora.«
»Wie lange weißt du es schon? N-nein, dass ist nicht wichtig. Wie lange treiben sie es schon? Hm? Wie lange-!« Vater schmierte mir eine. Erschrocken hielt ich inne, als mein Kopf zur Seite geschleudert wurde. Ich spürte den Schmerz kaum. Oh...

»Geh wieder nach drinnen.«, befahl er mir mit einem gefährlichen Knurren. Meine Augen, sowie meine Wange brannten, als ich meinen Kopf wieder hob, mit meinen Fingerspitzen über meine Haut fuhr. Es war nicht das erste Mal das er mich schlug. Doch hier? In mitten der Blumen? Was wenn es jemand sah? »Aurora.« zischte er. Doch nichts in der Weld konnte mich zurück in diesen elendigen Saal befördern.

Es war mir egal, dass ich meine Rolle nicht spielte. Ich drehte mich um und rannte. Meine Schuhe klackten über den Schotter, als ich mich den Weg entlang stürzte. »Aurora!«, brüllte er mir hinterher. Doch ich blieb nicht stehen. Selbst nicht, als mich die Hecken endlich verschluckten, oder ich einen meiner Schuhe verlor. Ich rannte einfach weiter, selbst als sich die Steine in meine Füße bohrten. Ich eilte durch den Garten, ohne zu wissen wo ich überhaupt hin wollte. Es gab keinen Ort. Keuchend blieb ich stehen. Es gab keinen Ort, wo ich hin konnte. Keinen Ort, an dem mich mein Vater nicht finden würde.

Meine Knie wurden schwerer und ich sackte zusammen. Das Kleid landete im Dreck, als ich auf dem Weg zusammen brach. Schluchzend klammerte ich mich an mich selbst, hielt mich fest. Die Hecken versteckten mich vor den Augen der Welt und ich hatte keine Angst mehr zu weinen. Er würde es nicht sehen. Hier würde es keiner sehen. Denn ich war allein.

Aber immerhin,... es gab schlimmere Schicksale als Aaron Callaghan zu heiraten, nicht wahr?

Not your Friend! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt