06| Small Talk

1.2K 125 5
                                    

Creep
Radiohead

Lancelot

»Es war auf jeden Fall schön, Sie wieder zu sehen.« presste ich zwischen einem höflichen Grinsen hervor. Die ältere Dame mir gegenüber - irgend eine reiche Erbin, deren Name ich bereits wieder vergessen hatte- lächelte mich an, als wäre ich einer ihrer unzähligen Enkel. Seit gefühlten Stunden, führte ich nun Small Talk und ich wollte nichts sehnlicher, als mich aus dem nächsten Fenster zu stürzen. »Wissen Sie, ich verstehe gar nicht, was alle meinen. Ich finde, Sie können stolz auf sich sein!« Verwirrt legte ich den Kopf schief. Das Letzte, was ich vollbracht hatte, auf das man mit Stolz reagieren konnte, waren die nicht verbannten Nudeln letzte Woche. Doch darüber würde jemand wie sie kaum Bescheid wissen. »Was meinen Sie?« Fürsorglich nahm sie meine Hand in ihre und tätschelte diese.

»Sie sind so ein reizender junger Mann. Es war bestimmt nicht leicht Ihre Sucht zu überwinden. Was war es noch? Kokain? Oder war es Heroin? All die Jahre in Rehabilitation....« sie schüttelte fast schon erschüttert ihren Kopf. Mein Magen zog sich zusammen. Ah...

»Und nun sehen Sie sich an! Ich verstehe nicht, warum so viele meinen, dass Sie-«
»Entschuldigung Sie mich für einen Moment, Ma'am.« atmete ich und zog meine Hand aus ihrem Griff. »Es war schön mit ihnen zu plaudern.« Bevor sie mich noch weiter zu quatschen konnte, drehte ich mich gerade Wegs um. Ich musste hier raus. Und zwar schnell.

Ich sah bereits den Ausgang, als mich eine Hand am Arm packte. »Hier geblieben.« Gwaine hatte meinen Plan durchschaut. Nachdem er mich vom Balkon hier hinein geschleppt hatte, war er mir praktisch an der Seite geklebt, wie ein penetranter Wachhund. Genervt wirbelte ich zu ihm zurück. »Was bekommst du eigentlich von Dad für diese überaus nervige Loyalität? Einen Sticker? Mehr Trauma?« Gwaine schnalzte mit der Zunge, ließ mich los. »Ich tue das hier für dich, Lancelot.«
»Was? Ein Arschloch sein? Ich verzichte-!« Ich wollte erneut zur Tür, doch er packte erneut meinen Ellbogen. Ein kehliger Laut entkam mir.

Ich wollte ihn gerade hier in der Mitte des Raums zusammen fluchen, als jemand zu uns heran schritt. »Wenn haben wir denn da? Die Moreaus!« Gwaines Gesicht zierte binnen Millisekunden ein perfektes Lächeln, als er sich zu der Dame hinter uns drehte. Grummelnd wandte ich mich ebenfalls um, nur um inne zu halten. Ein eisiger Schauer fuhr mit über den Rücken, als ich ihren Augen begegnete. Nein.

»Misses Callaghan!« begrüßte Gwaine sie erfreut, während sich eine unsichtbare Hand um meine Kehle schlang, mir langsam die Luft nahm. Sie konnte nicht hier sein. Sie war weg. Und das schon lange. Callaghan hatte ihre braunen Haare nach hinten gebunden, enthüllte damit ihre Spitzen Gesichtszüge. Sie war älter geworden. »Wie geht es Ihnen?«

»Ich wollte Sie gerade das selbe fragen!« lachte sie höflich, ohne den Blick von mir abzuwenden. Etwas kroch über meine Haut, sickerte bis tief in meine Knochen: es war fordernd und eisig. Wie kalte schlanke Finger, die ihre Spuren auf mir hinter ließen. Ranken aus Eis. Ein erbarmungsloser Griff, blanke Kälte. Ich konnte mich atmen. Ich sah ihn ihre braunen Augen und war mir sicher, dass ich nie wieder Luft holen konnte. Was wollte sie hier? Warum-?

Gwaine warf mir einen fragenden Blick zu, als ich nicht reagierte, ließ sich aber davon nicht, aus seinem perfektioniertem Small Talk bringen. »Wir ich höre, heiratet Ihr Sohn bald? Gratulation!« Kathrine Callaghan wandte sich endlich meinem Bruder zu, und die kalten Ranken zeigten ein wenig Gnade. Ich fuhr mit über den Hals, schnappte kaum merklich nach Luft. »Ich kann die Glückwünsche nur erwidern. Wie ich höre, haben Sie, so wie ihr Bruder, vor kurzem den Bund der Ehe geschlossen. Es ist eine Schande, dass ich die Einladung nicht annehmen konnte.«
»Machen Sie sich darüber keinen Kopf. Schließlich gibt es ja noch einen unverheirateten Moreau unter uns.« Meine Finger krallten sich in den Stoff meines Hemdes, versucht den Stoff fort zu reißen. Ich konnte nicht atmen. Ich konnte nicht-

»Es ist schön Sie wieder zu sehen, Lancelot. Es ist lange her.« raunte sie und ich zwang mich nicht ihrem Blick auszuweichen. Ich war kein Teenager mehr. Ich war nicht schwach. Ich war nicht- Ich rang mir ein Lächeln ab, versuchte den kalten Griff um meine Kehle zu ignorieren. »In der Tat.«, es klang wie ein Krächzen. Sie legte den Kopf schief, ließ ihren Blick über mich wandern. Meine Haut gefror, schien jeden Moment zu zerspringen. Als würde sich etwas tief in meine Glieder schneiden, spürte ich sie wieder. Schlanke Finger. Überall. Als wären sie immer da gewesen. Ich hatte es nur vergessen. »Das letzte Mal, als ich Sie gesehen habe, waren Sie in keiner guten Verfassung.«, meinte sie, doch ich hörte sie kaum. Ihre Stimme klang wie ein Dröhnen in meinen Ohren. »Ich hoffe, es geht Ihnen besser.«

Mein Blick flirrte zu den Fenstern. Luft. Ich brauchte Luft. Ich musste hier raus. Weg. So schnell wie möglich. Ich- »Sagen Sie, tanzen Sie noch, Lancelot? Sie waren so ein Talent!« Bei dem Wort Talent, zuckte ich sichtlich zusammen. Die Ranken schienen mich endgültig umschlungen zu haben. Sie würden mich mit sich ziehen. Hinab, wo immer das Gefühl auch enden würde. Sie würden mich ersticken. Ich war mir sicher. Gwaine legte mir besorgt eine Hand auf der Schulter.

Warme Finger mischten sich zu den kalten Griffen. Eine überwältigende Übelkeit, schlug über mir zusammen. Ich wich zurück. Vor ihm. Vor ihr. »Lance?« Gwaines Gesicht war ein besorgter Umriss in dem Nebel meines Blicks. Ich presste mir eine Hand über den Mund, holte zittrig Luft. »E-Entschuldigung. Ich muss- Ich muss-« Ich prallte gegen seine Schulter auf meinem Fluchtweg, brachte eine erneute Welle über mich. Ich blinzelte rapide, versuchte ruhig zu atmen, als ich umdrehte und durch die Menge rannte.

Raus hier. Weg hier. Immer wieder krachte ich gegen Gäste, murmelte Entschuldigungen. Mit jeder Berührung, wurde es unerträglicher. Sie schnitten mir das Blut ab, meine Lungen. Die Ranken aus Eis, die schlanken Finger. Ich presste die Augen zusammen, kämpfte gegen die Übelkeit. Ich taumelte die letzten Schritte mit geschlossenen Augen hinaus, bevor ich endlich die Luft spürte.

Ich keuchte. Zerrte an meinem Hemd, riss mir die Ketten vom Hals. Klirrend landeten sie am Boden. Ich schwankte. »Fuck.« Ich hatte nicht damit gerechnet, sie wieder zu sehen. Kathrine war vor Jahren aus New York weg gezogen. Sie sollte am anderen Ende des Landes sein! Ich hätte damit rechnen müssen, dass sie wegen der Hochzeit ihres Sohnes zurück kommen würde.

Doch das hatte ich nicht.

Ich übergab mich in einen Rosenbusch.

Not your Friend! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt