55| Bekannte Stimmen

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when the party's over
Billie Eilish

Lancelot

Nicht viele Dinge hatten mich jemals so fühlen lassen. Als wäre für ein paar Momente alles perfekt. Ich vergrub meinen Kopf an seiner Brust, atmete tief ein. Dean roch nach Regen und frischer Wäsche. Die Kälte war verflogen und ich war mir sicher, ich würde für immer in dieser Holzhütte bleiben können. Ich blinzelte durch die Dunkelheit, starrte auf seine Haut. Er schlief bereits tief und fest, hatte seine Arme fest um mich geschlungen. Ich hingegen konnte nichtmal an Schlaf denken, nutzte stattdessen die Gelegenheit in zu betrachten. Mir seine Züge einzuprägen. Die Art wie seine Wimpern seine Haut berührten, den Schwung seiner Lippen, seiner Kieferpartie. Ich lächelte.

Es war so warm hier. Als wäre die Welt so weit entfernt. Alles wäre endlich alles gut.

Gerade als ich meine Augen schloss, wurde die Ruhe von einem grellen Klingeln gestört. Es war ein Handy. Suchend sah ich mich um. Meins lag noch im Wagen, also musste das hier Dean gehörten. Das Display erhellte die Wand an seinem Nachtisch, als es weiter klingelte. Mit gerunzelter Stirn rollte ich mich auf den Rücken, blinzelte zu der Uhr an der Wand. Es war fünf Uhr morgens! Wer zur Hölle, ruft so früh an? Ich späte zu Dean, doch seine Atmung war tief. Nichts, nicht mal dieser Lärm, schien ihn zu stören. Ich wartete bis das Klingeln verstummte, und kuschelte mich wieder an ihn. Wer auch immer keinen Anstand hatte, konnte bis morgen warten.

Doch die Stille hielt nur wenige Minuten, bevor es erneut düdelte. Genervt fuhr ich mir über die Stirn. Ernsthaft? Vorsichtig schüttelte ich Dean an seiner Schulter, »Dean.« Murrend zog er mich näher, schien aber nicht wirklich wach zu werden. »Jemand ruft dich an.« Ein erneutes Schütteln. »Hm?«
»Dein Handy klingelt.«, klärte ich ihn auf und setzte mich ein Stück auf, entzog mich damit seinem Griff. Dean zog stattdessen sein Kissen an sich, vergrub sein Gesicht darin, »Ist Mom.«, murmelte er schläfrig. »Hab' ihr vergessen zu schreiben, dass wir nicht zurückkommen.« Nun war ich endgültig wach. Perplex blinzelte ich zu ihm hinab. War das sein ernst? Draußen ging die Welt unter und Min-hee hatte keine Ahnung was passiert war, oder wieso wir nicht zurück gekommen sind? Himmel, die arme Frau, dachte wahrscheinlich wir würden in irgendeinem Strauch krepieren! Ich musste gestehen, ich hatte die letzten Stunden auch andere Dinge im Kopf gehabt, aber das schlechte Gewissen zerrte nun deutlich an mir. Für Dean hingegen, schienen die Sorgen seiner Mutter ein entfernter Gedanke.

Ich schüttelte ihn erneut, als das Klingeln keine Anstalten machte, in naher Zukunft aufzuhören. Min-hee kam wahrscheinlich fast um vor Sorge. Dean drehte sich nur auf die anderer Seite und weg von meinem Weckversuch. Seufzend gab ich auf. Mit verzogener Stirn, sah ich zu dem Handy, »Ich sag ihr kurz Bescheid, okay?« Dean brummte, doch ich hatte keine Ahnung ob er meine Worte überhaupt verstanden hatte. Als ich mich aus den Decken befreite, schlief er bereits wieder tief und fest, sein Kopf nur ein Haufen wirrer Haare, die aus den Kissen hervorlugten. Ich tapste zu seinem Handy, schnappte es mir und schlüpfte lautlos aus dem Schlafzimmer. Das Wohnzimmer lag dämmrig vor mir, das Kaminfeuer nun eine glimmernde Glut. Seufzend schlich ich in die Küche, während ich hastig abnahm, um das nervige Klingeln endlich zu beenden, und klemmte mir den Hörer zwischen Schulter und Wange.

Ich setzte bereits zu einer entschuldigenden Erklärung an, als mir eine tiefe Stimme entgegen kam, »Hallo?«

Ich hielt inne, starrte in die Dunkelheit vor mir. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Die Worte auf meinen Lippen zerfielen zu einem tauben Gefühl. Was? »Dean? Kannst du mich hören?« Kaum merklich schnappte ich nach Luft, erstickte den Laut augenblicklich mit meiner Hand. Dean? Wieso kannte diese Stimme diesen Namen? Wieso ruft er ihn an? Die Welt schwankte ein Stück, aber vielleicht war es auch nur ich. Meine Hände krallten sich in die Küchen platte, als ich das Handy von meinem Ohr nahm, auf die Nummer hinab starrte. Was um Himmels Willen passierte hier?

Das hier war nicht Min-hees Stimme. Nicht ihre besorgten Worte. Ich hatte nicht realisiert, dass die Nummer nicht eingespeichert war. Aber auch so, wusste ich wer dort dran war. Zitternd presste ich das Handy zurück an mein Ohr. »-früh anrufen, aber du hast dich lange nicht mehr gemeldet. Ist alles in Ordnung? Dean?« Tausend Dinge lagen mir auf den Lippen - Fragen, Forderungen, Beleidigungen - doch es war, als hätte ich schlichtweg vergessen zu sprechen. Die Ruhe der Nacht, der Frieden der letzen Stunden - einfach alles, schien binnen einer Sekunde brutal von mir gezerrt worden zu sein. Als würde ich fallen. Tief und endlos. In ein Loch aus tausend Fragen. In etwas wirres, schreckliches. Etwas das nicht sein konnte. »Hallo?«

Es stand außer Frage, wer Dean um fünf Uhr morgens anrufte. Es war eine Stimm,  die mir genauso bekannt war, wie meine eigene. Es war die Stimme, die mich bereits tausendmal belehrt hatte, die Stimme die mir Gute Nacht Geschichten vorgelesen und mich Jahre später verflucht hatte.

Es war die Stimme meines großen Bruders. Gwaine Moreau.

Mein Bruder, der Dean Jeong niemals begegnet war. Abgesehen von kurzen Augenblicken, auf dem Gang oder auf Partys. Doch sie hatten niemals miteinander geredet. Es gab keinen Grund, warum er seine Nummer haben sollte. Warum er ihn mit Vornamen ansprach. Sie kannten sich nicht. Das dachte ich jedenfalls.

Meine Brust hob sich schneller und schneller, bis ich nach Luft japste. Meine Hände wurden klamm. Bevor ich irgendwas hervor bringen konnte, legte ich auf. Als wäre es etwas obszönes und nicht ein einfaches Smartphone starrte ich auf das Gerät hinab. Ich konnte nicht atmen. Das machte keinen Sinn. Das machte alles keinen Sinn.

Doch im selbem Moment tat es das. In dem Moment in dem mir die Erkenntnis die Kehle hinab sackte wie ein glühendes Stück kohle, machte auf einmal alles einen Sinn.

Warum Dean nie über Computer sprach, wo er sich doch angeblich beruflich damit beschäftigte.

Warum er sich eine Wohnung neben mir leisten konnte, wo er doch wegen finanziellen Problemen nach New York gekommen war.

Warum er ausgerechnet wenige Tage nach der Razzia neben mir eingezogen war.

Warum er ständig an meiner Seite war. Mich begleitete, wohin auch immer ich ging.

Warum er so sicher war, dass niemals etwas zwischen uns passieren könnte.

Mein Blick schnellte zum Schlafzimmer, dort wo Dean immer noch tief und fest schlief. Meine Hand ballte sich um sein Handy, als sich der brennende Verrat tief in meine Brust krallte. Etwas zerstörte, von dem ich dachte, dass es unsterblich wäre.

Dean Jeong war nicht mein Freund.

Er war mein beschissener Bodyguard.

Not your Friend! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt