01| Tiefe Gewässer

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Cecilia
Simon & Garfunkel

Lancelot

Irgendwo lief Musik. Es war entfernt und dumpf, doch es reichte aus um das Dröhnen in meinem Schädel unmenschlich werden zu lassen. »Lancelot.« Stöhnend und im Halbschlaf drehte ich mich auf die andere Seite, schob meine Hände über meine Ohren. Doch nun war es die Sonne, die mich herausforderte. Unbarmherzig schien sie in mein Gesicht. Hatte ich vergessen dir Vorhänge zu schließen?

Blinzelnd öffnete ich die Augen, stellte mich dem Licht, nur um zu realisieren, dass die Sonne mein geringstes Problem war. Meine Hand schwebte Millimeter über der Wasseroberfläche. Ich blinzelte ein paar Mal, aber das kristallklare Wasser blieb. Nennt mich verrückt, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es in meinem Zimmer keine tiefen Gewässer gab. »Lancelot

Ich hob meinen Blick weiter, sah meine Terrasse, oder was man unter dem ganzen Müll noch von ihr erkannte, ließ meinen Blick über die Pappbecher, bis zu den ausgeknockten Silhouetten wandern, die sich darauf verteilt hatten wie vergessene Barbiepuppen. Doch es war der wütend aussehende Mann, der am Rande meines Pools stand, der mich schlussendlich aus meinem Halbschlaf holte. Grinsend riss ich meine Arme in die Höhe und brachte damit mein „Bett" gewaltig ins Schaukeln, »Percylein!«

Mein Bruder hatte seine Arme in seine Hüften gestemmt, sein Blick eine verkniffene Miene, »Was zur Hölle, machst du da?«, fragte er mich und ich legte verwirrend den Kopf schief, »Hm?«
Er deutete auf mich und ich sah mich zum ersten Mal wirklich um. »Oh,« Ich trieb auf einem aufblasbarem Einhorn in der Mitte meines Pools. Im Wasser um mich herum schwammen ein paar leere Bierflaschen, als wäre es ihr natürliches Habitat, aber es waren wohl eher die nicht ganz jugendfreien Skizzen, die jemand auf meinem Oberkörper hinterlassen hatte, auf die mein Brüderchen hinaus wollte. Lachend strich ich über eines der Kunstwerke. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich hier gelandet war. Doch das musste ich auch nicht, um zu wissen, dass die Party letzte Nacht ein voller Erfolg war.

»Muss ich mir Sorgen machen?«, wollte Percy wissen, während ich eine der Bierflaschen herausfischte, die gerade an mir vorbei schwamm. Sie war bereits leer. Grinsend hob ich die Augenbrauen. Musste er sich Sorgen machen? Nein. Würde er es trotzdem? Natürlich. Percival Moreau war wie eine besorgte Großmutter im Körper eines dreißigjährigen Typen. Ich wette, das er platzen würde, würde er sich mal einen Tag über nichts den Kopf zerreißen. Ohne ihm zu antworten, rollte ich mich gerade Wegs von meinem hohen Ross.

Das Wasser empfing mich und nahm das Dröhnen für einen viel zu kurzen Moment mit sich. Luftblasen stiegen nach oben, durchbrachen die Lichtstahlen, die mich selbst am Grunde des Pools zu finden schienen. Einen Moment verharrte ich, einen Moment lang ... Ich tauchte zum Rand. Percy war bereits in die Hocke gegangen und empfing mich, mit seinem All Zeit zerknautschten Gesicht, »Du siehst aus, wie die Wand einer Raststellentoilette.«

Ich legte meinen Kopf auf meine verschränkten Arme auf den Rand des Pools, sah zu ihm hinauf: »Lieber eine Wand, als eine Kleiderstange für geschmacklose Krawatten.« Ich zog mich aus dem Wasser, während er fast schon bestürzt auf das graue Stück Stoff hinab blickte, das um seinen Hals baumelte: »Sam hat sie mir geschenkt.« Seufzend fuhr ich mir die nassen Strähnen aus der Stirn, begann meinen Weg Richtung Tür. Natürlich hatte er das. »Das ändert nichts an der Tatsache, dass sie aussieht, wie aus Satans Spalte gezogen.«

Bevor ich mich retten konnte, zog mich Percy in einen gnadenlosen Schwitzkasten, »Du elendiger-!« Ich versuchte mich aus seinem Griff zu retten, doch das hatte ich selbst in unserer Kindheit nie geschafft. Aber zu meiner Verteidigung - Percy war ganze 8 Jahre älter als ich. Seine Hand fuhr mit unbarmherzig durch meine Haare, »Gnade!« winselte ich lachend und schubste ihn endgültig von mir fort. Grummelnd und jetzt auch nicht mehr ganz trocken, stapfte er an mir vorbei und betrat mein Wohnzimmer.

Fluchend blieb ich im Eingang stehen, starrte auf das Chaos, das keine Ecke verschont hatte, während Percy unberührt über einen schlafenden Kerl auf dem Fußboden stieg, um in die Küche zu kommen. »Es scheint, als hättet ihr Spaß gehabt.« Ich folgte ihm und schnappte mir einen Orangensaft auf den Kühlschrank. »Ja,« ich schloss die Tür, »Scheint so.« Es sollte eigentlich nur eine kleine Party werden. Irgendjemand hatte Geburtstag. Oder war es ein Jahrestag? Kein Plan. Jedenfalls war es nicht der schlimmste Zustand, in dem meine Wohnung jemals war.

»Warum bist du hier?«, fragte ich meinen Bruder und goss mir mein Glas ein. Percy zupfte einen BH von einem Stuhl um sich darauf zu setzten, »Dad schickt mich um-« Stöhnend fiel ich ihm ins Wort, »Was denn nun schon wieder? Eine Gala? Ein Dinner?« Dieser Mann war nun schon seit vier Jahren in Rente! Konnte er sich nicht einfach irgendwo ein Haus am Strand kaufen und uns endlich mit seinen unzähligen Anforderungen in Ruhe lassen? Percy presste die Lippen zusammen, »Ein Dinner. Mit ein paar alten Geschäftskollegen und Golffreunden.«
»Sag ihm, ich würde lieber einem Baby erklären, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt.«
»Lance, du-« müde fuhr er sich über die Stirn, setzte neu an. »Du weißt, dass das nicht zur Debatte steht.«

Natürlich. Denn am Ende des Tages, ging es ja nur um mich. Jetzt da seine ältesten Söhne beide verheiratet waren und ein erfolgreiches Geschäft leiteten, gab es nur noch eine Sache, die seinem Ruhestand im Wege stand: Mich. Und so lange ich von seinem Reichtum und diesem verdammten Familiennamen profitierte, hatte ich keine andere Wahl.

Und da ich weder eine Karriere anstrebte, noch jemanden an meiner Seite hatte, würde er mich so lange zu solchen Veranstaltungen mitschleppen, bis ich plötzlich einen Sinneswandel hätte, oder tot umfallen würde. Fragt sich nur, was davon zuerst geschieht.

Ich starrte meinen Bruder an, versuchte mir eine Ausrede einfallen zu lassen. Doch da war nichts. Genervt kippte ich mir meinen O-Saft hinter, nur um im nächsten Moment mein Gesicht zu verziehen. Jemand hatte Wodka mit hineingemischt. Verdammt! »Und du hättest nicht anrufen können, um mir das zu sagen?«, fragte ich und versuchte mir den Geschmack von der Zunge zu wischen. Percy seufzte tief. Er war nicht nur deswegen hier. Das hier war einer seiner Kontrollbesuche. Er wollte wissen, ob ich noch lebte, ob ich noch- Ruckartig stellte ich mein Glas zurück auf die Theke. »Du wärst nicht ran gegangen.« raunte er. Ja. Ich sah zu ihm auf. Wahrscheinlich nicht.

Ich drehte mich zum Waschbecken und stellte mein Glas hinein, versuchte klar zu denken. Na schön, einen Abend würde ich überleben. »Ich schätze, du und Sam werdet auch da sein?« Ich spähte über meine Schulter zu ihm zurück. Mein Bruder war schlau genug gewesen, um aus dem Familienunternehmen auszusteigen, weswegen er wahrscheinlich diesem Albtraum von Abend entkommen könnte. Da er jedoch ausgerechnet seinen Nachfolger heiraten musste, war seine Ausrede null und nichtig. »Sam und ich kommen.«
»Und das Teufelchen?«, fragte ich und spähte über meine Schulter zu ihm zurück. Seine Tochter liebte solche Termine, wieso, konnte ich beim besten Willen nicht verstehen. »Darcy ist auf einem Schulball.«

Überrascht drehte ich mich zu ihm um. »Ein Ball, also? Ist sie nicht noch ein Baby?« Percy verzog wehmütig das Gesicht, »Sie ist 16, Lance.« »Sag ich doch. Ein Baby.«
»Wie auch immer.«, er fuhr sich durch die Haare. »Ich lass dich dann mal aufräumen.« Ich schnalzte genervt mit der Zunge. Percival bahnte sich seinen Weg zur Tür.

»Ich schick dir die Details. Sei pünktlich!«

Not your Friend! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt