02| Verlobte und andere Rollen

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Destroy Myself Just For You
Montell Fish

Aurora

Ich hatte das Gefühl, als würde ich mich jeden Moment übergeben. Ich war nicht bereit: für diesen Abend, für diese Verkündung und schon gar nicht für dieses verdammte Kleid! Meine Hände zuckten über den dunkelblauen Stoff. Einmal, zweimal. Doch es fühlte sich einfach nicht richtig an. Viermal, fünfmal. Als wäre es nicht für mich bestimmt. Als würde selbst der Stoff merken, dass ich ein Hochstapler war. »Sie sehen bezaubernd aus, Miss Mahelona.«, flüsterte Miriam. Ich zwang mich um ihretwillen ein Lächeln abzuringen, sah mich erneut im Spiegel an. »Meinst du wirklich?«

Sie hatte versucht mir meine Haare hochzustecken, doch einige Strähnen schienen einfach nicht zu gehorchen und fielen mir schwer über die Schultern. Normalerweise machte ich es immer selbst, da ich die einzige war, die mit meiner Art von Locken klar zu kommen schien, aber Miriam hatte aufgrund des Anlasses darauf bestanden, mich zurecht zu machen. Es fühlte sich seltsam an, herausgeputzt zu werden wie eine Puppe. Deswegen hatte ich mir vorgestellt, ich wäre eine adlige Dame des Hofes, die vor hunderten von Jahren gelebt hatte und für einen grandiosen Ball herausgeputzt wurde. Die Angst war nicht ganz so schlimm, schlüpfte man in die Rolle eines anderen. Es machte auch den heutigen Abend nicht ganz so Furcht einflößend.

Doch als ich mich im Spiegel betrachtete - dunkle Locken, die mein Gesicht fast zu verschlucken schienen, braune Haut, von Nervosität zerkauten Lippen- war es einfach nur ich. Keine Rolle, kein Held, kein Charakter in einem Buch. Nur Aurora Mahelona, herausputzt zu einer ordentlichen jungen Frau, wie es sich für unsere Familie und der zukünftigen Misses Callaghan gehörte. Kaum merklich japste ich nach Luft.

Ich pustete mir eine Strähne aus der Stirn und wandte den Blick ab, während Miriam weiter an mir herum zupfte. Sie arbeitete schon lange für unsere Familie. Vielleicht lag es daran, dass sie nur ein paar Jahre älter war als ich, oder an den Butterbroten die sie mir zusteckte, wenn mein Vater mich mal wieder ohne Abendbrot ins Bett geschickt hatte, aber sie war mir über die Jahre sehr ans Herz gewachsen. Deswegen hoffte ich auch, dass sie mich decken würde, würde ich eine plötzliche unheilbare Krankheit vortäuschen. »Kann ich nicht einfach-?«
»Nein,« entgegnete sie entschieden, als hätte sie mich bereits durchschaut. »Sie wissen genauso gut wie ich, dass Sie sich Heute nicht hinter ihren Büchern verstecken können, Miss.« Sie strich mir ein paar Fusel vom Stoff, während ich schwer seufzte. Es war nicht so, dass ich mich versteckte. Sie waren schlichtweg interessanter als die Geschäftspartner meines Vaters.

Einen plötzlichen Geistesblitz habend, drehte ich mich zu ihr um, »Geh du an meiner Stelle! Wir können einfach so tun, als wärst du ich und dann-« Es war eine absolute absurde Idee, aber sie klang in meinen Ohren um einiges besser, als auf dieses Dinner zu gehen um meinen neuen Status als Verlobte bekannt zu geben. Miriam nickte schnaubend den Kopf, »Das hier ist nicht eine ihrer Geschichten.«
»Aber-« Sie drehte mich ruckartig wieder zurück zum Spiegel, stütze ihr Kinn auf meine Schulter. »Sie schaffen das.«

Stimmt, wenn das hier eine meiner Geschichten wäre, dann wäre es Miriam, die an meiner Stelle dort raus gehen würde. Mit ihren blonden Haaren, bleichen Haut und den schlanken Zügen, sah sie aus wie Cinderellas Reinkarnation! Sie war die Art von Person in der sich ein Prinz sofort verlieben würde, die Art von Mensch, die den Raum heller machte, würde sie ihn betreten. Ein fesselndes Lächeln. Jemand der in den Mittelpunkt solcher Geschichten gehörte.

Sorgfältig zupfte sie ein letztes Mal an dem Stoff, schien endlich zufrieden mit meinem Äußeren und sah mich über den Spiegel hin weg an, »Mister Callaghan wird sich Hals über Kopf nochmal in Sie verlieben.«, beharrte sie, während mein Hals trocken wurde. Liebe. Jeder dachte, dass diese Verlobung nicht mehr war, als ein Weg für meinen Vater Callaghan auf seine Seite zu ziehen. Der letzte Ausweg um unser Vermögen zu retten. Doch niemand sprach es aus. Das Kichern aus der hinteren Ecke der Ankleide, zog meine Aufmerksamkeit auf die Dienstmädchen, ihre Köpfe zusammen gesteckt, die mich mittlerweile ganz unverhohlen musterten. Jedenfalls sagte es niemand laut.

Ihre Blicke waren deutlich. Sie dachten wahrscheinlich, dass, weil ich bald nicht mehr Teil dieses Hauses war, sie ihre Abneigung nicht mehr ganz so sehr verstecken müssten. Es war klar, was sie von mir dachten: eine verzogene Frau, die kaum aus dem Haus kam. Ein stumpfes, nichts-sagendes Mädchen, das ihrer Familie nur durch eine Verlobung helfen konnte. Die Verlobte des wohl begehrtesten Junggesellen New Yorks, die ihn nur dank den Kontakten und Reichtum ihres Vaters an ihrer Seite halten konnte, da sie sonst nichts zu bieten hatte.

Aber sie lagen falsch. Sie alle. Wenn sie die Wahrheit wissen würden, dann- »Hey!«, Miriam wirbelte zu den tuschelnden Mädchen herum, starrte sie erbost an. »Habt ihr nicht was zu tun? Ihr werdet nicht dafür bezahlt dumm da zu stehen!« Das Geplapper verstummte sofort, eingeschüchterte Blicke wurden ausgetauscht, bevor sie sich kleinlaut verabschiedeten und mich und Miriam allein lassen. Erleichtert atmete ich aus. Ich versuchte es nicht an mich heran zu lassen, doch das war manchmal schwerer als es mir lieb war. Kopfschüttelnd drehte sich Miriam wieder zu mir um, »Hören Sie nicht auf die, Miss.«, zuversichtlich lächelte sie mir zu. »Sie sind nur eifersüchtig.«

Gerade als ich etwas erwidern wollte, klopfte es an der Tür. »Aurora?«, ich kannte die Stimme die durch das dicke Holz drang. Ich rieb mir eine Spur atemlos über meine Brust, während mich meine Freundin, kichernd wie ein Schulmädchen, Richtung Tür schob. »Los! Los!«

Mit einem nervösen Atemzug, öffnete ich die Tür. Aaron Callaghan wartete vor der Tür auf mich. Er trug einen Anzug, sowie ein bezauberndes Lächeln. »Hi.«, begrüßte er mich, als ich auf den Gang trat. Es gab eine Sache, die die tuschelnden Dienstmädchen nicht wussten. Eine Sache, die die ganze Welt nicht wusste. »Hi.«, hauchte ich zurück.

Er reichte mir seine Hand, die ich zögerlich ergriff. Vielleicht war diese Verlobung nur ein Mittel zum Zweck. Vielleicht war es wirklich der einzige Weg, wie ich meiner Familie helfen konnte. Aber es gab wirklich schlimmere Schicksale als mit Aaron Callaghan verlobt zu sein. Sein Blick wanderte kurz in den Raum hinter mich, bevor er mich - tatsächlich mich - anlächelte, auf eine Art und Weise, die den meisten jungen Damen das Herz schneller schlagen ließ. »Können wir los?«

Zögerlich nickte ich und atmete tief ein, erinnerte mich an die Hand in meiner. Ich hatte Heute Abend eine neue Rolle zu spielen.

Heute war ich niemand anderes als Aurora Callaghan.

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