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WHERE WE ARE
The Lumineers

Dean

Die Sonne brannte durch die Baumkronen auf den Asphalt der Tankstelle. Wir fuhren nun bereits seit Stunden durch endlose Wälder und Highways, so dass ich mich langsam fragte, ob dieser Roadtrip jemals enden würde. Ich lehnte an meinem Wagen, wartete darauf dass sich der Tank füllte. Lance war bereits drinnen. Ich sah ihn durch die großen Scheiben hinweg durch die Regale hüpfen. Es überraschte mich immer wieder, wie ein Mensch mit seinem Vermögen sich über die billigen Snacks einer abgrenzten Tankstelle freuen konnte, wie als wäre es ein versteckter Schatz.

»Ist das eine Canon AE-1?« fragte Aurora und lenkte meinen Blick nach links. Die junge Frau lehnte ein gutes Stück von mir entfernt am Wagen, sah zu meinen Händen, in denen ich das Gerät gedankenlos festhielt. »Kennst du dich mit Fotografie aus?« fragte ich überrascht, da sie aus der Entfernung das Modell erkennen konnte. Rory lächelte schwach, »Kennen ist zu viel gesagt. Ich ... ich habe mich vor ein paar Jahren mal in Fotografie probiert.« Ich hob schweigend die Augenbrauen, als sie sich vom Heck abstieß und sich mir ein paar Schritte näherte. »Ich war nicht wirklich gut darin.« sie zuckte mit den Schultern, als wäre so nun mal das Leben. »Aber wenn man kaum das Haus verlässt, dann gibt es auch nicht viel zu fotografieren.« Ich runzelte die Stirn.

Ich wusste nicht viel über Aurora Mahelona. Aber es war nicht gerade schwer, sich ein Bild darüber zu machen, wie ihr Leben ausgesehen machen musste. Sie war eine junge Frau, die kaum den Blickkontakt halten konnte. Ihre Worte waren sanft und vornehm, aber leise. Ihre Schultern waren kauernd, als hätte sie Angst, dass selbst ein Atemzug von ihr zu viel Platz weg nehmen würde.

Ich hatte mich zu Beginn gefragt, wie eine Freundschaft zwischen jemand so zierlichem wie ihr und jemandem so stürmischen wie Lance entstehen konnte. Es war wie ein Hagelsturm der auf eine Orchidee traf. Nicht gerade viel versprechend. Aber nach dem wir Stunden in einem Wagen verbracht hatten - mit nicht viel mehr als unseren Gesprächen als Unterhaltung, Lotties schrecklichen Song-Einlagen und dem gelegentlichen Boxenstop - verstand ich.

Rory war nicht zierlich. Sie war gütig.

»Du ... du zeichnest.« stellte ich etwas unbeholfen fest, als ich nicht wusste was ich auf ihre Worte erwidern sollte. Es war ein lausiger Versuch sie aufzumuntern. Um zeichnen zu können, musste man nicht um die Welt reisen. Man konnte es in seinem eigenen goldenen Käfig tun. Schmunzelnd sah sie auf ihre Hände hinab, die ein kleines Notizbuch hielten. Sie hatte es sich bei unserem ersten Einkaufstrip nach unserer Flucht gekauft. Ich hatte durch den Rückspiegel öfter beobachtet, wie sie auf der Rückbank dort hinein kritzelte. »Yeah. Ich habe so ziemlich jedes Hobby ausprobiert das es gibt: Häkeln, Fechten, Töpfern ... das war das einzige, was irgendwie länger blieb.«, erklärte sie und zuckte mit den Schultern. »Ich zeichne auch. Hin und wieder.« raunte ich und sah wieder zu den Glasscheiben. Das war übertrieben. Ich hatte seit Jahren keine Zeichnung zu Ende gebracht. »Bist du gut?«
»Absolut nicht.«, gestand ich und brachte sie damit zum Lachen.

Meine Hände konnten nie das einfangen, was mein Kopf visualisierte. Deswegen liebte ich die Kamera. Keine Fantasie, kein Talent, konnte die pure Wahrheit vereiteln, die ein Foto einfangen konnte. Es war die brutale Realität. Wenn man sie zuließ. »Man Vater hat fotografiert. Er liebte die Natur.« erzählte ich und wusste beim besten Willen nicht warum. War es immer noch ein Versuch sie aufzuheitern? Die Stille nicht unangenehm zu machen?

Unruhig verlagerte ich das Gewicht, » Früher hat er mich auf endlose Campingtrips mitten ins Nirgendwo geschleift, nur um stundenlang die perfekte Szenerie einzufangen.« Er liebte die hohen Tannen. Die mächtigen Gipfel der Berge. Er hatte tausende Fotos von ihnen in seinem Büro hängen. Vielleicht, war das der Grund warum er nie eins von mir gemacht hatte. Oder von Mom. Er gatte einfach keinen Platz mehr an seinen Wänden.

»Mein Beileid.« raunte Rory und ich sah verwirrt zu ihr hinüber. »Oh, d-du hast in der Vergangenheit gesprochen, deswegen nahm ich an, dass ... dass er...« unruhig sah sie an mir vorbei. »Tot ist?«
»Yeah.«

Ich stieß mich vom Wagen ab und zog die Zapfpistole aus dem Wagen, drückte sie zurück in die Säule. Das war er. Tot. Ich hörte ihre Schritte hinter mir unruhig über den Asphalt kratzen. »Meine Mom ist auch tot.« Langsam drehte ich mich wieder zu ihr um, sah sie an. »Ich meine damit nicht, dass das vergleichbar ist. Auf keinen Fall! Ich meine, Mom starb als ich noch sehr jung war und ich -bei dir war es dein Vater! Und jeder geht anders mit Verlust um und so- Ich wollte nur sagen, d-dass-« Ihre Wangen nahmen ein panisches Pink an. »Ich meine nur, dass ich dich verstehen kann. Es ist nicht einfach ein Elternteil zu verlieren. U-und Lance hat mir erzählt, dass du auch Einzelkind bist- a-also weißt du auch nicht wie das ist, wenn man den Schmerz mit jemanden teilen kann! I-Ich...«

Lächelnd schüttelte ich den Kopf, während sie schwer schluckte, tief Luft holte. »Ich hatte nie jemanden mit dem ich drüber reden kann, deswegen dachte ich - ich sollte jetzt wirklich aufhören zu reden.« Ich umrundete den Wagen und öffnete meine Fahrertür. »Ich hatte auch nie jemanden, der es verstehen würde.« gestand ich und sah über das Dach zu ihr hinweg. Rory's Schultern entspannten, als sie verstand was ich damit sagen wollte. »Ich bin nur nicht gerade der Rede-Typ, weißt du?« Sie nickte vehement, »Verstehe! Aber falls du dennoch mal -«
»Weiß ich Bescheid.« versicherte ich und schwang mich hinter das Lenkrad.

Aurora schwang sich auf den Rücksitz. Das Gespräch schien beendet und ich würde jetzt liebend gern den Motor starten, um der seltsamen Stille zu entkommen. Jedoch war Lancelot immer noch zwischen billigem Süßkram verschwunden. Seufzend legte ich meine Hände auf das Lenkrad, tippte auf das Leder. »Und was fotografierst du?« Ich sah über den Spiegel zu ihr auf, »Hm?«
»Fotografierst du auch die Natur?«
»Nein.« Ich hatte es eine zeitlang versucht, aber für mich, schien jedes Bild gleich. Das gleiche Grün. Das gleiche Blau des Himmels. Das selbe Desinteresse. »Was dann?«

Mein Tippen wurde schneller. Mein Blick huschte erneut zu den Glasscheiben. Lance stand mittlerweile an der Kasse. Es war nicht so, dass ich nach einem Motiv suchte. Ich hatte keinen expliziten Stil. Kein Konzept. Ich drückte einfach ab. Dann, wenn es sich richtig anfühlte. Ich war kein Künstler. Ich hatte einfach nur angefangen, dass schöne im Leben zu suchen. Um es für eine Sekunde länger festhalten zu können. Es half mir dabei, nicht zu vergessen, dass es in all dem Grau auch noch so was wie Farbe gab. »Menschen.« antwortete ich knapp. Menschlichkeit.

Ich schluckte schwer und sah wieder zu Rory. Gedankenverloren sah sie zu ihren Skizzen hinab. »Hast du schon mal darbet nach gedacht, es zu deinem Leben zu machen?« raunte ich schließlich. »Was? Malen? Künstler werden?« Ich zuckte mit den Schultern, »Wieso nicht?« Sie senkte den Blick, eine Falte zwischen den Augenbrauen, »Es ist schwer davon leben zu können und nicht wirklich lukrativ, zudem-«
»Aber es ist dir wichtig, oder nicht?«
»Aber das heißt nicht, dass ich mein Leben darauf aufbauen muss.«, entgegnete sie und begegne meinem Blick. Nein, das tat es nicht. »Und worauf möchtest du es aufbauen?« Ein verstohlenes Lächeln zierte ihr Gesicht, »Keine Ahnung, aber...« sie strich über den Einband. »Ich habe alle Zeit der Welt um es herauszufinden.«

Mein Blick huschte wieder zu Lance. Er war nun schon eine ganze Weile dort drinnen. Brauchte er Hilfe mit etwas? »Was ist mit dir? Hast du schon mal darüber nachgedacht, es zu deinem Beruf zu machen?« Verwirrt sah ich zu Rory. Was? Fotograf werden? Sofort schoss mir dieser Idiot Sebastian Sinclair in den Kopf und das Angebot meine Fotos in einer seiner dämlichen Galerien ausstellen zu lassen. Nicht, dass ich nicht schon mal drüber nachgedacht habe, aber- »Nein.« ich schüttelte entschieden den Kopf. »Ich denke nicht, dass ich das Recht dazu hätte.« Verwirrt legte sie den Kopf schief, »Recht? Es sind doch deine Werke, oder nicht?«

Waren sie das? Ich hatte nie das Gefühl, dass es mir zustehen würde, etwas Wundervolles als mein zu bezeichnen. Geschweige denn meinen Namen darunter zu setzten.

Ich fing es ein. Ich war ein Beobachter. Ich hatte kein Recht, es an mich zu binden. Bevor ich antworten konnte, wurde die Beifahrertür geöffnet und eine bekannte Gestalt schwang sich neben mich. Zusammen mit einem Berg aus Chipstüten.

Lance grinste uns an, »Hab' ich was verpasst?«

Not your Friend! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt