48| Der Richtige Weg

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Vertigo
Griff

Lancelot

Ich fand Rory auf der Terrasse. Sie saß auf dem knarzen Holz und ließ ihren Blick in den Tannen des angrenzenden Waldes hängen. Sie schien mich nicht zu hören, als ich zu ihr hinaus trat, doch als ich ihr sachte die Decke um die Schultern legte, sah sie zu mir hoch. »Oh... danke.« Nickend ließ ich mich neben sie sinken, ließ meine Beine über dem Gras baumeln. Eine Weile schwiegen wir, während die Abenddämmerung über uns hinweg zog. Es war Herbst und die Luft roch nach Rauch. Nach einer Weile, in der mein Kopf sich genauso schwer anfühlte, wie meine Brust, ließ ich mich zur Seite sacken, bis ich gegen sie lehnte und schloss die Augen. »Lance?«
»Hm?«
»Geht es dir gut?«

Blinzelnd drehte ich meinen Kopf, spähte zu ihr auf. Was für eine seltsame Frage. Sie war diejenige, die ihr Verlobten hatte stehen lassen und sie fragte das ausgerechnet mich? »Mir geht es immer gut, Sweetheart.« Rory presste die Lippen zusammen, sah wieder in die Baumkronen. Ich atmete tief durch. Manchmal hatte ich das Gefühl ich vergaß es. Das Atmen. Erst wenn ich dann das ächzten meiner Lungen spürte, erinnerte ich mich daran, dass ich dem Menschlichen immer noch etwas schuldete. Doch nur selten schien der Atemzug das Brennen zu löschen. Als würde ich für die Ewigkeit nach Luft schnappen.

»Denkst du, er wird mich hier finden?« wisperte sie in die Dunkelheit. Ich spähte zu ihr hinauf. Es gab mehrere Personen, die sie meinen konnte, doch ich der Blick in ihren Augen, schloss alle andere aus. »Dein Vater ist reich, nicht allwissend.« Sie war mit nichts außer ihrem Kleid am Leib davon gerannt, weshalb sie nicht mal ein Smartphone vorweisen konnte, dass man ausfindig machen konnte. Ich dachte an mein Handy, dass nun seit Tagen ausgeschaltet in einer Plastiktüte verkümmerte. Ich wusste, dass wenn ich es anschalten würde, sofort sehr viele wütende Nachrichten auf mich warten würden. Und ich hatte noch nicht den Moment gefunden mich dem zu stellen.

Rorys Schulter - mein Kissen - hob sich, als sie tief einatmete, »Irgendwann wird er mich finden. Ich kann nicht für immer weg laufen.« Ich hob meinen Kopf, richtete mich wieder auf, »Können würdest du schon. Ich meine, die ganze Welt steht dir offen.« Ich deutete auf den Horizont vor uns, der durch dichtes Unterholz verschleiert wurde. Rory schnaubte erschöpft, »Mein Vater ist ein sehr hartnäckiger Mann. Er macht keine Verluste.« Ihr Blick - schwer und traurig- fand meinen. »Und ich bin seine größte Investition.«

Ich zwang mich, mir meinen Hass für den alten Knacker nicht ansehen zu lassen. Es gab wenige Menschen, die ich abgrundtief hasste. Auroras Vater war einer von ihnen. Aber ich hatte nicht wirklich ein Recht auf diesen Hass. Die Ungerechtigkeiten die mein Blut zum kochen brachten, waren nicht an mich gerichtet. Ich stupste mit meiner Schulter gegen ihre, »Für mich siehst du ziemlich menschlich aus.«
»Du weißt, was ich meine.«
»Yeah.« Das tat ich.

Ein Vogel pfiff in weiter ferne. Verspottete uns mit einer fremden Freiheit.

»Was machen wir jetzt, Lance?« raunte sie heißer. »Wir können uns nicht für immer bei Deans Mutter einschließen.«Lachend ließ ich mich zurück fallen, stieß mich auf meinen Händen ab, »Wieso nicht? Ich könnte mich an diesen Ort gewöhnen.«
»Und an das Essen.«, warf sie ein und ich nickte energisch. »Vor allem an das Essen.«

Rory zog sich die Decke enger um die Schultern, »Aber jetzt mal im Ernst. Ihr ... Ihr könnt auch nicht für immer... Ich meine-«
»Mach dir um uns mal keine Gedanken.« seufzte ich, weil ich einfach keine Kraft mehr übrig hatte, um auch nur über Übermorgen nachzudenken. Allein der Gedanke an die anstehende Nacht, verursachte mir Magenschmerzen. »Du musst nicht hier bleiben, weißt du? Du könntest in den nächsten Flieger steigen und diesem ganzen verdreckten Land den Rücken zukehren.« meinte ich. Aurora lachte als hätte ich einen Witz gemacht. Dabei war das gar keine schlechte Idee. Ich hatte schon oft darüber nachgedacht. Aber ich hatte zu viele Anker. Zu viele Dinge die mich festhielten.

»Es ist alles so ... so ungerecht!« stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ließ mich mit der seltenen Wut in ihrer Stimme aufsehen. »Warum muss es ausgerechnet ich sein? Die geht?« Sie wandte sich zu mir und die Frage war tief in ihre Züge geschrieben. Als wäre es ein Mysterium, das sie ein besten Willen nicht lösen konnte. »Ich bin doch nicht diejenige, die was falsch gemacht hat, oder? Also wieso muss ich diejenige sein, die sich so fühlt? Die-die davon läuft! Es sollte mein Vater sein, d-der-!« ihre Worte, überschlugen sich bis sie empört nach Luft schnappte. Still, sah ich sie an.

Ihre dunkeln Locken wehten um ihre Schultern. »Weißt du,« begann ich und musste hinab auf meine Hände sehen, mein Kopf zu schwer um ihn zu heben. »Manchmal ist das Beste, was man tun kann, ein gutes Leben zu führen. Ein anderes Leben.« Ein Glucksen entkam ihr, »Das sagt sich so leicht.« Nun war sie es, die schwer seufzend gegen meine Schulter sackte. Der Herbstwind ließ die Tannen schwanken, während wir sie beobachteten. »Was machen wir hier eigentlich, Lance?« Ein Lächeln entkam mir, »Ich hab' ehrlich gesagt, keine Ahnung.« Ich spürte das Vibrieren ihres Lachens, »Ich dachte, du sagst jetzt etwas dass mich aufmuntert. Sowas wie „Das Richtige." oder das wir auf dem richtigen Weg sind.« Ja, das wären auch gute Antworten gewesen. Ich zuckte lediglich mit den Schultern.

»Hey, denkst du Min-hee hat noch was von diesen Bällchen übrig? Die waren der Wahnsinn.« Ich sah es nicht, doch ich wusste, das Rory gerade grinsend die Augen verdrehte, »Es kann doch nicht sein, dass du noch was essen kannst?«
»Ich kann immer essen.«

Aurora löste sich von mir und ließ sich stattdessen nach hinten sinken, bis ihr Rücken auf dem Holz der Terrasse ruhte. Ich folgte ihr, bis wir beide in den Himmel blickten. »Das wird schon alles, oder?« raunte sie leise. Ich nickte, meine Kehle schrecklich trocken, »Hier wird uns niemand finden.« Das hoffte ich jedenfalls. Ich hörte das Rascheln ihrer Haare, als sie ihren Kopf zu mir wandte, »Danke, übrigens. Das du das hier für mich machst.«
»Nimm dich mal nicht zu wichtig, Schätzchen. Wer sagt das ich dass hier für dich mache?«, grinste ich und wandte ebenfalls meinen Kopf zu ihr. Rory hob skeptisch die Augenbrauen. Ja, okay, sie war der hauptsächliche primär Grund, aber, »Ich hab' auch mal einen Urlaub gebraucht, weißt du? Weg von allem!« Ich hob meinen Arm deutete auf die Umgebung, »Und wo geht das besser als in einem Kaff in Illinois?«

Lachend verstaute sie ihre Hände hinter ihrem Kopf, sah zu den Wolken. Sie zogen viel zu schnell über uns hinweg. »Ich hab' dich vermisst, Lancelot.« Verwirrt verzog ich die Stirn, »Aber ich war doch die ganze Zeit hier?«
»Ich weiß,« lächelte sie.

Kopfschüttelnd schnaubte ich, »Jetzt machst du keinen Sinn, Sweatheart.« Und es war mein Job, keinen Sinn zu ergeben. »Wir sollten schlafen gehen.« seufzte sie und ich kniff stöhnend die Augen zusammen. Schon? »Können wir nicht für immer hier draußen bleiben?«
»Es ist eiskalt! Dann holst du dir den Tod!«
»Wär nicht das erste Mal, dass ich-Ow!« Rory boxte mir in die Seite. Ich rutschte auf dem Holz ein bisschen weiter weg, entkam aber nicht ihrem ermahnend den Blick, »Lancelot.«

Kichernd setzte ich mich wieder auf, »Sorry.« Sie strich sich die Haare aus dem Nacken, als sie mir folgte, ihre Beine in einen Schneidersitz zog, »Ist es wegen Dean?« Natürlich war es wegen Dean. Seufzend legte ich meinen Kopf in den Nacken, »Ist es so offensichtlich?«
»Du siehst aus, als würdest du gleich deine Hinrichtung erwarten!« Ja, das machte Sinn. Eine Nacht neben Dean mit nichts als ein paar Zentimeter Laken zwischen uns, war wie eine neu einzig für mich konzipierte Foltermethode. Ich würde kein Auge zu bekommen.

Erschöpft seufzend sah ich zu ihr hinüber, »Ich bräuchte jetzt dringend einen Drink.«

Not your Friend! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt