Whoa, whoa, whoa.

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15. Februar 2036
p.o.v Kenny

Es war schon spät abends, als die Türe aufflog und Free sich auf das Sofa warf. Er begrüßte mich nicht, ließ sich einfach fallen und griff unter den Couchtisch, um sich einen Joint bauen zu können.

„Ich weiß, dass ich nicht deine liebste Person bin, aber bekomme ich nicht mal mehr ein "Hallo"? Das tut weh Free." Sein Blick richtete sich auf mich und er funkelte mich wütend an. „Es dreht sich nicht immer alles um dich, West! Ich hab' gerade andere Probleme." Ich merkte, dass er aufgewühlt war, ich hatte ihn früher oft so gesehen. Meistens, nachdem er sich mit seinem Vater gestritten hatte.

„Du hattest also Streit mit deinem Vater." Free konzentrierte sich auf seinen Joint und es dauerte eine ganze Weile, bis er mir antwortete. „Ich werde für 'ne Weile hier wohnen." Ich nickte. „Okay. Brauchst du irgendetwas?" „Darum kümmere ich mich später. Gerade zählt nur, dass ich aus diesem Dreckshaus raus bin."

Er zündete sich den Joint an und schaute mich endlich an. „Ja, ich habe mich mit meinem Vater gestritten. Sehr. Ich hab ihm endlich Alles, das ich dachte, ins Gesicht gesagt. Ich glaube, ihm geht's jetzt ziemlich scheiße. Aber ganz ehrlich - es könnte mich nicht weniger interessieren. Er hat es sich so ausgesucht." Ich schaute meinen früheren besten Freund mitleidig an. „Menschen bereuen immer erst, wenn es bereits zu spät ist."

Niemand hatte diese Lektion härter lernen müssen als ich. Free nickte. „Danke, dass ich hierbleiben kann." „Du hast die Scheiße hier mit aufgebaut, ich würde dir nie verbieten, hierher zu kommen. Es tut mir ehrlich leid, was vorgefallen ist." Free winkte ab. "Das ist dein Problem mit Neha. Wenn sie dir endgültig verziehen hat, kann auch ich dir ohne schlechtes Gewissen verzeihen. Davor bin ich einfach nur dankbar, dass du trotzdem für mich da bist."

Ich nickte. „Scheiß darauf, ob du mir vergeben hast oder nicht. Du wirst immer mein Bruder sein. Wir haben zu viel Scheiße durchgemacht, um einfach nur noch Fremde zu sein." Free lächelte mich an. „Danke, man." Wir verstummten.

Ich hatte das Gefühl, dass Free mit seinen Gedanken jetzt alleine sein wollte. Er wollte zwar nicht alleine sein, aber sprechen wollte er auch nicht.

Knapp eine Stunde, nachdem Free reingestürmt war, öffnete sich die Türe erneut und Bear betrat den Raum. Free schaute ihn fragend an, die Beiden führten eins ihrer „Ich brauche keine Worte, um mit dir zu sprechen" Gespräche.

Bear seufzte schließlich. „Ich habe meinem Vater gerade ins Gesicht gesagt, dass ich ihn hasse und nein, ich werde nicht weiter darüber reden. Gebt mir einfach etwas Alkohol und lasst mich in Ruhe." Ich nickte stumm und reichte ihm ein Bier. Er öffnete es mit einem lauten "plopp!"  „Ich werde wohl 'ne Weile hier wohnen." „Okay."

Insgeheim machte es mich glücklich, dass Free und Bear hier wohnen wollten. Genau dafür hatten wir das Human-Logic erschaffen. Als Rückzugsort, wenn bei einem Zuhause alles den Bach runterging.

Ungefähr drei Bier später kam Neha hinzu und damit waren wir dann vollständig. „Ich habe euch Zeug mitgebracht." Sie reichte Bear und Free jeweils eine große Tasche. „Da sind hauptsächlich Klamotten drin und noch andere Sachen, die ihr eventuell gebrauchen könntet."

Free lächelte. „Du denkst echt an alles." Neha grinste. „Irgendwer hier muss es ja tun." Ich schaute auf die dritte Tasche, die noch neben der Türe stand. „Was ist mit der?" Neha biss sich auf die Lippe. „Das ist meine." „Whoa, whoa, whoa."
Bear richtete sich auf und Freddie schaute Neha schockiert an. „Es war niemals die Rede davon, dass du auch hier bleibst."

Neha zog die Stirn zusammen. „Das soll heißen, ihr könnt einfach so abhauen und ich muss in diesem Haus bleiben? Keine Chance! Liam und Louis sind zerstört und ich kann meinem Vater gerade auch nicht sehen." Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Er wollte die Wahrheit wissen, also habe ich sie ihm erzählt. War unschön." Ich hasste es, sie so kaputt zu sehen.

Ihr Vater bedeutete ihr mehr, als sie zugeben würde und ich kann mir nicht mal annährend vorstellen, wie sie sich gerade fühlen muss. Ich klopfte still auf den Platz neben mir auf dem Sofa. „Setze dich erst einmal und komm' runter." Bear und Free nickten. Neha schiefte und nahm neben mir Platz. Ich breitete meine Arme aus. Als wir noch zusammen waren, hatte ihr nichts so viel Trost gespendet, wie eine Umarmung.

Ich sagte nichts zu meiner Geste, sondern wartete nur ab. Ich wollte Neha nicht belästigen oder sie dazu auffordern, sich bei mir Trost zu suchen. Ich wollte nur, dass sie wusste und spürte, dass ich für sie da war. Sie zögerte eine Sekunde, doch dann rutschte sie näher zu mir und kuschelte sich an mich. Ich strich ihr sanft über die Haare. „Ich bin da, wenn du reden willst."

Neha hob ihren Kopf und schaute mich mit glänzenden, traurigen Augen an. „Bitte sprich nicht. Ich will nur, dass du mich hältst." „Okay."
Das konnte ich tun. Wir blieben stumm, Bear nippte an seinem Bier und starrte Löcher in die Luft. Ich konnte die Emotionen in seinem Gesicht nicht ganz zuordnen. Es sah aus wie eine Mischung aus Wut, Trauer und Erleichterung.
Free hingegen sah einfach nur erschöpft aus und lag bekifft in der Ecke der Couch.

Wir saßen lange so da. Jeder versunken in seinen eigenen Gedanken. Erst, als ich sicher war, dass Neha eingeschlafen war, löste ich mich vorsichtig von ihr. Bear war der Einzige, der noch wach war und warf mir einen fragenden Blick zu. „Ich mache eure Zimmer fertig." Er nickte und ich merkte, wie seine Augen wieder den Fokus verloren und er zurück in seine Gedankenwelt versank.

Auf der ersten Etage gab es exakt drei Zimmer, in welchen praktisch nichts außer Betten stand. Das  Human Logic hatte also sechs richtige Betten, es war eigentlich nicht ausgelegt, um darin zu wohnen. Die Zimmer waren nur dafür gedacht gewesen, um seinen Rausch auszuschlafen oder ein kurzes Nickerchen zu machen. Nicht, um dauerhaft hier zu sein.

Ich öffnete das erste Zimmer und warf Free und Bears Taschen auf das Bett, holte neue Bettbezüge aus dem Schrank und legte sie dazu.
Die Beiden konnten ihr Bett selbst beziehen. Nehas Bett hingegen bezog ich und stellte sogar noch einen Lufterfrischer auf. Als ich zurück in das Zimmer kam, war auch Bear eingeschlafen.

Ich lächelte die Drei an und breitete eine Decke über Bear und Free aus. Keine Chance, dass ich die Beiden in ihre Betten tragen würde.
Neha nahm ich hoch und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Zeit, sie in ein richtiges Bett zu bringen. Ich lächelte bei dem Anblick in meinen Armen. Schlafend war sie noch schöner. Sie wirkte ruhig und entspannt. Die Traurigkeit von vorher war wie ausgelöscht und wieder einmal hasste ich mich dafür, sie so verletzt zu haben.

Jeden Tag aufs Neue bereute ich, was ich ihr angetan hatte und ich wusste, dass es vermutlich dumm war - aber ich hatte immer noch die Hoffnung, dass sie mir eines Tages verzeihen konnte.

Zwar ignorierte sie mich nicht mehr und unterhielt sich auch wieder normal mit mir, aber ich konnte es in ihren Augen sehen. Sie hatte mir noch lange nicht verziehen und ich wusste auch nicht, ob es je dazu kommen würde.

„Gute Nacht, Neachen", murmelte ich und deckte sie zu.

I'll wait for you (L.S)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt