Erfolglos wie du siehst

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27. Dezember 2035
p.o.v Bear

"Können wir mit dem Umziehen nicht noch warten", stöhnte ich und verschränkte bockig meine Arme vor der Brust. "Das Haus ist bereits verkauft, bis zum 1.1 müssen wir draußen sein", erklärte meine Mutter mir und räumte weiter irgendwelchen Kram in Kartons.

"Na und? Bis zum ersten sind es noch fünf Tage." Mein Vater warf mir einen genervten Blick zu. "Dieses Haus ist eine verdammte Villa, ich bin mir nicht sicher, ob fünf Tage überhaupt reichen." Ich stöhnte einfach nur laut auf und lief in mein Zimmer. "NIMM MEHR KARTONS MIT", schrie mir meine Mutter hinterher. Erneut stöhnte ich und lief nochmal zurück, um Kartons mitzunehmen. Ich war gerade dabei, meinen Kleiderschrank auszuräumen, als sich meine Tür öffnete und ein viel zu glücklicher Freddie mein Zimmer betrat. Er schmiss sich, ohne mich überhaupt zu begrüßen, auf mein Bett.

"Ich werde das Zimmer echt vermissen", sagte er dann und streckte sich in meinem Bett aus. "Mhh", machte ich nur und warf ihm einen Karton zu. "Wenn du schon hier bist, dann hilf mir gefälligst." Free grummelte und kam zu mir. "Ich bin definitiv nicht freiwillig hier. Mein Vater kam heute Morgen in mein Zimmer und meinte: 'Beweg deinen Arsch aus dem Bett, wir haben viel Arbeit vor uns.'" Ich lachte. "Was soll ich sagen, ich bin von dem Gestreite meiner Eltern aufgewacht."

"Ist das nicht Alltag in diesem Haus?" "Vermutlich schon. Es wird irgendwie komisch, wenn das plötzlich wegfällt. Und es wird auch komisch, meine Mom nicht jeden Tag zu sehen." Free nickte verständnisvoll. „Oh Bro, das brauchst du mir nicht zu erzählen. Ich kann dir ein Lied über diese Situation singen. Und glaub mir, du gewöhnst dich dran. Zumindest ziehst du nur ein paar Häuser weiter und nicht direkt in ein vollkommen neues Land." Ich pausierte damit, Klamotten zusammenzulegen, und schaute Freddie an. "War es eigentlich schwer für dich, hierher zu kommen?"

Freddie blieb stumm, weshalb ich meinen Kopf drehte, um meinen besten Freund zu mustern. Sein Gesicht war angespannt. Freddie redete so gut wie nie über seine Zeit in Hawaii, und das, obwohl er dort 13 Jahre lang lebte. Im Allgemeinen sprach er nie über die Zeit, als er nach London kam.

Nach ewiger Stille schien Freddie seine Sprache wieder gefunden zu haben. „Die Wahrheit ist, ja, es war verdammt schwer. Du musst dir vorstellen: Alles , was du gekannt hast und was dir wichtig war, existiert von dem einen auf den anderen Moment nicht mehr. Mit dem Umzug habe ich alles verloren. Ich war 13, noch ein verdammtes Kind. Weißt du, was meine Reaktion war, als meine Mutter mir verkündet hat, dass ich ab sofort bei meinem Vater leben soll? Bei einem Mann, der mir fremder nicht hätte sein können und für den ich kein anderes Gefühl empfand als Abschaum."

Ich blieb stumm. „Ich hab gelacht und gelacht und gelacht. Ich dachte nicht, dass sie das erst meinte. Ich habe nicht daran geglaubt, dass jemand wirklich so abscheulich sein könnte, um sein Kind einfach in ein fremdes Land abzuschieben.
Erst als ich im Flugzeug saß, habe ich realisiert, dass meine eigene Mutter wirklich in der Lage war, so etwas zu tun. Und als ich diese Realisation hatte, war ich so unfassbar wütend – auf meine Mom, auf Tony und auch auf mich selbst. Ich habe mich einfach nur ungeliebt und verloren gefühlt."

Ich schaute ihn sprachlos an. „Ich hatte keine Ahnung. Tut mir leid, Free." Freddie lachte leicht und schnalzte mit seiner Zunge. „Braucht es nicht. Vor allem nicht, wenn man bedenkt, dass du und Neha der Grund seid, warum ich es überhaupt geschafft habe, mich hier wohl zu fühlen." „Tatsächlich? Neha und ich sollen das geschafft haben?" „Neha, du und vielleicht noch ein bisschen Kenny und das Human Logic."

Ich runzelte meine Stirn. „Bro, ich brauche Kontext. Ich kenne dich gut, aber Gedankenlesen kann ich trotzdem nicht." Free seufzte. „Alles muss man dir erklären." „Ey", boxte ich ihn leicht und erntete nur ein Lachen. „Erinnerst du dich an unser erstes Treffen, nachdem ich hierher gezogen bin?" Ich nickte. „Klar, Dad und ich sind wie gewöhnlich zum Samstagsbrunch, und auf einmal saßt du noch am Tisch und hast eine Miene gezogen wie sieben Tage Regenwetter."

August 2030
„Und denk dran, Louis' Sohn wird da sein. Also, verhalte dich endlich mal vernünftig", predigte Dad noch, bevor wir überhaupt in das Auto gestiegen sind. Ich schnaubte. Vernünftig sein, ja klar, träum weiter. „Freddie? Was macht der hier? Lebt er nicht bei seiner Mutter in Amerika?", fragte Neha. „Nicht mehr. Ab sofort wohnt er bei Louis hier in London." „Der Arme ", flüsterte ich Neha zu. „Stell dir vor, du wohnst auf Hawaii, und dann musst du in diese beschissene, verregnete Stadt umziehen."

Neha nickte und zündete sich eine Kippe an. Zayn schaute vom Beifahrersitz nach hinten und musterte seine Tochter kritisch. „Im Auto wird nicht geraucht." Dann drehte er sich wieder um. Neha verdrehte nur ihre Augen und zündete sich die Zigarette trotzdem an. „Dass seine 13-jährige Tochter raucht, ist kein Problem, aber wehe, ich mache es im Auto", raunte sie mir zu und pustete den Rauch provokant in die Richtung ihres Vaters. Dieser ignorierte den Rauch nur und starrte auf die Straße.

Ich begrüßte Louis mit einem kurzen Nicken und ließ mich dann neben Freddie fallen. Es war ungefähr drei Jahre her, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Ich kannte ihn nicht besonders gut, aber verdammt, man brauchte ihn nicht zu kennen, um zu sehen, dass er überhaupt keinen Bock hatte, hier zu sein. Sehr gut, dann hatten wir schon mal eine Sache gemeinsam.

„Und wie findest du es bisher in London?", fragte ich, im Versuch, ein Gespräch aufzubauen. „Beschissen", sagte Freddie. Neha lachte und hob ihr Glas. „Darauf trinke ich." Freddie hob eine Augenbraue. „O-Saft?" Ich grinste und legte meinen Flachmann auf den Tisch. „O-Saft mit einem kleinen Extra." Sein Gesicht veränderte sich, und aus der grimmigen Miene wurde ein kleines Lächeln. „Nice." Er griff nach dem Flachmann und leerte einen ordentlichen Schluck in sein eigenes Glas. „Die einzige Möglichkeit, diese Treffen zu ertragen."

„Treffen? Das ist was Regelmäßiges." Neha seufzte und legte ihre Füße auf den freien Stuhl neben ihr. „Jede Woche, also gewöhn dich lieber dran." „Scheiße", fluchte Freddie. „Neha, die Füße gehören auf den Boden", motzte Zayn, der gerade aus der Küche zurückkam. Neha streckte ihm die Zunge raus und drehte sich wieder zu Freddie. „Und es gibt auch kein Entkommen. Vertraue mir, wir beide haben es versucht." Ich nickte. „Erfolglos, wie du siehst."

Freddie seufzte. „Und wann dürfen wir aufstehen?" Neha und ich wechselten einen Blick. „So in etwa 25 Minuten." „Das schaffe ich schneller." Ich schaute zu seinem Vater. „Dad, darf ich aufstehen und Neha und Bear mein Zimmer zeigen?" Louis war gerade mitten im Gespräch mit Zayn und nickte einfach nur kurz, ohne uns viel Beachtung zu schenken. „Das war beeindruckend", meinte ich und warf mich auf das Bett. „So schnell haben wir es noch nie vom Tisch weggeschafft."

Freddie winkte ab. „Kinderspiel." Ich setzte mich auf den Boden und wühlte unter dem Bett. „Habt ihr beide schon mal MDMA genommen?", fragte er und hob eine Tüte mit bunten Pillen hoch. Neha grinste. „Freddie, du bist mir gerade sehr sympathisch geworden." Freddie lachte. „Du mir auch. Aber wenn du mich noch einmal Freddie nennst, ändert sich das wieder." Ich streckte meine Hand aus, um eine Pille zu nehmen. „Und wie sollen wir dich dann nennen?" „Nennt mich Free."

Ich grinste bei dieser Erinnerung. Wir hatten danach alle drei das MDMA genommen, waren die ganze Nacht wach, erzählten uns jedes noch so kleine Detail übereinander und schauten nie wieder zurück. Ab diesem Moment war Freddie nicht mehr Freddie, sondern Free, mein bester Freund, der immer an meiner Seite stand, der mit mir durch jede Scheiße ging und für mich da war.

„Was ist mit dem Tag?" Freddie lächelte mich an. „In dem Moment, in dem du den Flachmann aus deiner Tasche gezogen hast und Neha Zayn die Zunge rausgestreckt hat, wusste ich, dass ich nicht allein bin. Fuck, ich habe mich so allein und verlassen gefühlt. Aber in diesem Moment wusste ich, es gibt noch andere Menschen wie mich. Und das hat mir so dermaßen den Arsch gerettet."

I'll wait for you (L.S)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt