es ist nicht zu spät

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16. Februar 2036
p.o.v Louis

Ich starrte seit Stunden nur auf die Uhr. Ich wartete darauf, dass die Tür aufging und Freddie wutentbrannt hinein stürmte und mich weiter anschrie, bevor er seine Zimmertür zuschlug. Ich wollte nur, dass er heim kam. Ich wusste, dass sein Verhalten meine Schuld war. Wie hatte er es so schön gesagt? „Du hast recht. Du hast mich nicht so erzogen, weil du mich gar nicht erzogen hast!"

Was war passiert, dass mein Sohn mich so verabscheute? Mittlerweile zeigte die Uhr vier an, ich wischte mir über das Gesicht. Liam und Zayn waren bereits vor Stunden heimgegangen. Beide genauso aufgelöst wie ich. Ich seufzte und stand mit wackligen Beinen auf, ich wollte nicht mehr alleine sein. Ich machte mir unfassbare Sorgen um Freddie. Ich hatte keine Ahnung wo er hin war und noch weniger wusste ich, was er tun würde.

Er war nicht bekannt dafür, kluge Entscheidungen zu treffen und Briana würde mich umbringen, würde sie erfahren, dass ich es geschafft hatte, unseren Sohn so zu verkorksen, dass er lieber irgendwo auf der Straße schlief anstatt zu Hause. Bevor ich mich versehen konnte, stand ich in der Garage und war auf dem Weg nach draußen.

Ich fühlte mich wie ein Idiot, während ich mit zitternden Armen die Klingel drückte. Selbstverständlich blieb die Tür verschlossen.
Es war mittlerweile schließlich schon kurz vor fünf. Also klingelte ich einfach nochmal und nochmal und nochmal. Solange, bis die Tür sich endlich öffnete und ein verschlafener Harry - nur in Unterwäsche - die Tür öffnete. „Lou? Was machst du hier?" Ich starrte ihn einfach nur an und fing an wieder an zu weinen.

Harrys Gesichtsausdruck wechselte von verwirrt zu besorgt. „Louis, ist alles okay?" Ich schüttelte einfach nur meinen Kopf und gestikulierte wild mit meinen Händen, um zu fragen, ob ich rein kommen konnte. „Oh, natürlich." Er trat einen Schritt zu Seite und ließ mich eintreten.

Es war das erste mal, dass ich in Harrys Haus war. Aber ich war im Moment zu aufgelöst, um irgendwas wahrzunehmen. Ich lies mich auf die Couch fallen und schniefte vor mich hin, Harry kam kurz danach mit einer Tasse Tee zu mir und setzte sich neben mich. „Hey, alles wird gut. Atme erst mal tief ein und wieder aus." Ich tat wie mir gesagt und konzentrierte mich auf meine Atmung. Es dauerte einige Minuten, bis ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte und anfangen konnte, zu sprechen. „Hast du zufällig ein Taschentuch?"

Harry nickte und erhob sich, um mir ein Taschentuch zu bringen. Mein Blick wanderte durch das Wohnzimmer. Man merkte direkt, dass Harry hier eigentlich nicht wohnt.
Das Zimmer wirkte trist, unbewohnt und einsam. Alles war ordentlich und perfekt hingerichtet. Das Wohnzimmer vermittelte das selbe Gefühl wie ein Hotelzimmer, man fühlte sich nicht wirklich wohl, weil es nicht zum dauerhaften Bewohnen gedacht war.

Harry kam wieder und reichte mir das Taschentuch „Hier. Und jetzt erzähl mir erstmal, was los ist. Ich bin mir sicher, wir finden einen Weg, um alles wieder hinzubekommen." Harrys Optimismus tat gut. Er hatte schon immer ein Talent dafür gehabt, mich zu trösten und wieder aufzubauen. Ich schniefte in mein Tuch und seufzte. „Freddie ist abgehauen." Seine Augen weiteten sich. „Wie meinst du abgehauen? Hast du die Polizei schon kontaktiert? Oh Louis, das muss schrecklich für dich sein!"

Ich schüttelte meinen Kopf. „Es ist nicht so wie du denkst. Freddie ist nicht einfach verschwunden. Wir hatten einen Streit und..." meine Stimme erstarb. Einatmen – Ausatmen. Harry rutschte näher an mich heran und fing an, meinen Rücken sanft zu streicheln.

"Fang am besten ganz vorne an. Ihr hattet also einen Streit. Worüber habt ihr euch denn gestritten?" „Er und Bear haben einen Brief von der Schule bekommen. Sie haben zu viele unentschuldigte Fehlzeiten und zu wenig Arbeiten mitgeschrieben. Beide werden wahrscheinlich ihren Abschluss nicht schaffen. Logischerweise sind Liam und ich dann an die Decke gegangen. Wir haben sie angemotzt, dass sie ihr Leben total an die Wand fahren und dass wir sie so nicht erzogen hatten."

Harry nickte verständnisvoll und streichelte mich weiter. Es tat gut, ihn so nah zu haben. Es tat gut, meine Sorgen und Probleme mit ihm teilen zu können. Ich realisierte erst jetzt, wie sehr mir das alles in den letzten Jahren gefehlt hatte. „Nachdem ich meinte, ich hätte Freddie nicht so erzogen, ist er ausgerastet und hat angefangen,  mich anzuschreien. Ich bin nicht stolz darauf, das zugeben zu müssen, aber bis hierher war es ein Streit wie jeder andere. Es ist nicht ungewöhnlich, dass wir uns zanken, beleidigen und gegenseitig anschreien."

„Darf ich dich etwas fragen, Lou?" Ich nickte. „Alles was du wills." „Wie kam es dazu, dass euer Verhältnis so schlecht geworden ist? Ich erinnere mich an früher. Ich weiß, wie sehr du Freddie geliebt hast und wie viel du auf dich genommen hast, um Zeit mit ihm zu verbringen."

Ich biss mir auf die Lippen, das war eine verdammt gute Frage. Wann hatte sich unser Verhältnis so ins Negative entwickelt? „Ich glaube, das war, als Briana und er von L.A. nach Hawaii gezogen sind. Freddie müsste zu diesem Zeitpunkt ungefähr sechs Jahre alt gewesen sein und er entwickelte sich langsam zu einem kleinen Problemkind. Er war frech zu Lehrern, ließ sich nichts sagen und tanzte nur aus der Reihe. Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte. Der Therapeut, zu welchem wir Freddie brachten, war der Meinung, dass Freddie sich so verhielt, weil er in einem neuen Lebensraum war und es wohl am besten wäre, wenn er sich so wenig Veränderung wie möglich aussetzen musste, damit er sich daran gewöhnte. Wie gesagt, ich war mit allem überfordert und Briana wollte, dass ich ich jedes Wochenende besuchen kam damit er etwas Konstantes im Leben hatte.

Die ersten paar Monate versuchte ich wirklich, das möglich zu machen. Aber irgendwann ließ es sich nicht mehr mit der Arbeit vereinbaren. Meine Besuche wurden weniger und weniger bis sie schließlich ganz stoppten. Selbstverständlich sah ich Freddie immer noch zu den Feiertagen, Geburtstagen und besuchte ihn ab und an. Eine Zeit lang wurde sein Verhalten besser. Aber dann lernte Briana ihren Mann kennen und alles ging von vorne los.

Ich habe mich damals extrem aus seiner Erziehung herausgehalten und hatte nur spärlich Kontakt zu ihm. Dementsprechend weiß ich auch nicht, was genau vorgefallen ist. Aber eines Tages rief Briana an und erklärte mir, dass Freddie ein traumatisches Erlebnis durchgemacht hatte, dass sie davon überzeugt ist, dass das er auf Hawaii nicht gesund werden kann und er deshalb zu mir ziehen soll. Also kam Freddie nach London. "

„Und das hat euer Verhältnis nicht wieder gekippt?" Harry wirkte ehrlich interessiert. Also schüttelte ich leicht meinen Kopf und redete weiter. „Er war 14, als er nach London kam und ungefähr seitdem er zehn Jahre alt war, hatte ich kaum Kontakt zu ihm gehabt. Er wollte nichts mit mir zu tun haben. Ich war ihm praktisch fremd und ich hatte auch nie irgendwas unternommen, um das zu ändern. Freddie war logischerweise kein einfacher Teenager gewesen und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Also hab ich es gelassen, habe ihn auf die selbe Privatschule geschickt, auf die auch Neha und Bear gingen und habe jedes mal, wenn er Scheiße gebaut hat, die Schulleitung mit Spenden dazu gebracht, dass sie es unter den Tisch fallen lassen.

Neha, Bear und er waren von Tag eins an unzertrennlich. Alle Drei waren extrem anstrengend, haben die Schule geschwänzt und nur Scheiße gebaut. Egal wie oft ich Freddie angemotzt habe, es hat nichts gebracht, er hatte keinen Respekt von mir und irgendwann habe ich es aufgegeben und ihn einfach machen lassen. Zugegebenermaßen war das vermutlich nicht die optimale Methode, aber es funktionierte."

Ich lehnte mich auf der Couch zurück und schloss meine Augen. „Freddie hatte Recht, ich hab ihn nicht erzogen und als Vater versagt." Harry schnappte schockiert nach Luft.
"Sag sowas nicht, Louis. Zum einen warst du einfach nicht bereit, Vater zu sein und zum anderen hattest du einfach keine Ahnung, was du tust."

Ich lächelte leicht und drehte meinen Kopf so, dass ich Harry anschauen konnte. „Ich weiß, du willst mich nur aufmuntern, aber es ist wahr. Ich hab mir keine Mühe gegeben, was Freddie anging und ich habe ihn machen lassen, weil es für mich einfacher war. Ich war egoistisch und habe nur an mich gedacht. Es ist meine Schuld."

Harry hob seine Hand und wischte mir die Tränen, die schon wieder meine Wange herunter rollten, weg. „Und selbst wenn es so ist, du liebst Freddie. Das weiß ich genau. Lass ihn erstmal wieder runterkommen und dann entschuldigst du dich aufrichtig bei ihm und versuchst, eure Beziehung wieder aufzubauen. Therapie wäre eine Möglichkeit. Es ist nicht zu spät, das noch zu retten."

Er hatte recht. Harry hatte tatsächlich recht. Freddie war gerade einmal 20 Jahre alt.
Ich hatte noch eine Chance.
Ich konnte das schaffen.

I'll wait for you (L.S)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt