Kapitel 78

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Mimoza - Love For Days

Heute beginnt mein erster, richtiger Schultag. Ardan, der Glückliche, hat die ersten vier Stunden frei, während ich meinen Dienstag mit zwei Stunden Englisch und zwei darauffolgenden Stunden Mathe starten kann. Aber ich will mir keine schlechte Laune deshalb machen, sondern motiviert sein, weil ich mir jetzt meine Einsen holen muss. Da Dilan im Englisch-LK ist, hat auch sie dienstags einen entspannteren Start. Aufgrund ihrer Schiene ist sie nicht in meinem Deutsch-LK, sie muss aufs kooperierende Gymnasium deshalb. Da heute eine gerade Woche ist, habe ich Bio. Habe ich Schluss, hat Ardan seine zwei Stunden im Leistungskurs hinter sich. Ich glaube, er hat heute Mathe am Gymnasium. Ich kann ihn nicht einmal sehen, das ist unerhört! Ich ziehe mir mein Oberteil an und stelle verdutzt fest, dass die Striemen von gestern zu blutigen Kratzspuren mutiert sind. Oje, wie soll ich so in die Schule? Die meisten Striemen sind auf meinen Brüsten, aber einige enden auf meinem Dekolleté. Hm, dann muss ein anderes Oberteil her. Mein rotes Oberteil mit der angestickten Rose hat keinen tiefen Ausschnitt. Man sieht nicht mal meine Schlüsselbeine in diesem T-Shirt. Das würde Ardan sicherlich gefallen. Ich schicke ihm ein Foto, wo man nur meinen Oberkörper sehen kann und merke an, dass es nicht tief geschnitten ist. Oje, wie klein meine Brüste aussehen ... wenn er meine Gedanken lesen würde, dann würde er mich tadeln. Ich schicke es einfach ab. Es ist nur Ardan und Ardan findet mich schön, so wie ich bin.

Amir fährt mich. "Hach, ich stehe nur wegen dir auf, obwohl ich noch Semesterferien habe." "Schön", murre ich, gleichzeitig schmunzele ich auch. "Hach, als ich noch in deinem Alter war, hatte ich noch Respekt vor Älteren und habe ihnen die Hände geküsst." "Du bist erst zweiundzwanzig, keine zweiundachtzig." "Was? Mein Hörgerät ist nicht angeschaltet", imitiert er einen älteren Mann. Ich haue ihm lachend gegen den Arm. "Hast du schon eine Schwägerin für mich?" "Wer weiß?" Seine Mundwinkel zucken. Hat er etwa eine Freundin? "Wie heißt sie?" Er beißt sich verstohlen auf die Unterlippe. Oje, Amir ist verliebt! Ich kichere. "Los, ich will es wissen!" "Delin. Ich stell sie dir erst vor, bevor ich sie Mama vorstelle." Ich grinse stolz. Wann ich sie wohl kennenlernen darf? "Wie würde Mama auf sie reagieren?" "Ich weiß es nicht. Sie würde auf jeden Fall ihre Kulturkenntnisse ausfragen, da Delin auch Kurdin ist. Hoffentlich ist Mama dann nicht skeptisch. Ich glaube aber, sie würde Delin mögen." Ich bin gespannt, wie sie ist. Er hat also eine Freundin ... und ich habe einen Freund. Ob ich mit Amir über meine Beziehung reden könnte? Er ist der Verständnisvollste. "Würdest du eigentlich ausrasten, wenn ich eine Beziehung hätte?" Das Milde aus seinem Gesicht verschwindet. "Ja." Was soll der Scheiß? "Wieso?", frage ich verständnislos. "Wieso solltest du jetzt eine Beziehung führen?" "Dieselbe Frage könnte ich dir auch stellen." "Ich bin viel älter als du und außerdem bin ich ein Junge." Er beißt sich auf die Zunge, nachdem er sein zweites Argument gesagt hat.

"Ein Junge?" Ich bin fassungslos. Mama würde ihn deshalb anschreien, weil sie es nicht abkann, dass sich Männer privilegierter fühlen. "Weil du ein scheiß Junge bist, darfst du dich verlieben und ich nicht? Du weißt ganz genau, dass das total dumm ist. Aus dir wird gar nichts, wenn du so denkst. Als Psychologe sollte man nicht so denken. Lass mich raus, ich habe keinen Bock mehr auf dein dreckiges Machogehabe." Nur weil er ein Junge ist, heißt es, dass er sich verlieben darf? Er darf eine Beziehung führen, nur weil er ein beschissenes Y-Chromosom hat? "Cana", setzt er vorsichtig an. "Sei still, ich habe keine Lust mehr auf dich." Amir verriegelt rechtzeitig die Türen, damit ich mich nicht irgendwie aus dem Auto schmeißen kann. Ich bin so verdammt sauer. "Du Scheißsexist." "Cana", ermahnt er mich. "Was? Das werde ich auf jeden Fall Mama erzählen." Amir seufzt. "Es tut mir leid, Cana. Ich habe mich falsch ausgedrückt." "Du hast falsch gedacht." "Ja, das auch. Ich denke nicht so-," "Wieso hast du es dann gesagt." "Unterbrich mich bitte nicht." Ich gehe seiner Bitte nur nach, weil er nett darum gebeten hat. Trotzdem bin ich wütend. "Das war ein dummer Denkfehler. Ich weiß nicht wieso ich so gedacht habe. Ich will nur nicht, dass meine einzige kleine Schwester in eine Beziehung kommt. Das ist mein Beschützerinstinkt." "Dein Beschützerinstinkt sollte mir zu Gute kommen und mich nicht einsperren." "Ja, du hast recht", seufzt er. An der Ampel bemerke ich, dass er zu mir schaut, aber ich werde seinen Blick nicht erwidern. "Bist du in einer Beziehung?" Die Frage macht mich aus irgendeinem Grund sentimental. "Nein, ich will einfach nur meinen Standpunkt vertreten." Weiter rede ich nicht und verabschiede mich nicht einmal, als er mich an der Schule ablässt.

HerzensdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt