Kapitel 86

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Chelsea Cutler - Deathbed

Zwei Wochen. Es sind jetzt zwei Wochen vergangen und Ardan hält immer noch dicht. Ich habe mein Bestes gegeben, um ihm Freiraum zu geben. Ich habe den anderen gesagt, dass sie ihn nicht auf seine Probleme ansprechen sollen, aber sehr aufmerksam mit ihm umzugehen haben. Ich habe immer seinen Namen erwähnt, falls ich mit ihm reden konnte, damit es sein Selbstwertgefühl stärkt, ich habe mich mit Amir intensiv über das Thema Depressionen auseinandergesetzt und nur bei seiner Mutter nach seiner Lage nachgefragt, damit ich ihm keine Schuldgefühle gebe. Aber dass er wie am ersten Tag ist, erschüttert mich. Er muss mit mir reden! So kann das doch nicht weitergehen. Ich weiß, dass ich mit meiner fast dreiwöchigen Distanzierung kein Stück besser war, aber ich habe es doch eingesehen und immerhin war Ardan derjenige, der deshalb geschimpft hat. Wieso macht er es dann nicht besser? Wieso verschließt er sich so? Das passt überhaupt nicht zu Ardan, der sonst alles so offen und von allen Seiten angeht. Was ebenfalls gerade nicht passt, sind Dilans schiefen Töne bei ihrem kurdischen Geträller über Ardan und mich. Wie süß wir doch zusammen wären und wie hübsch unsere Kinder aussehen werden. Wenn Ardan weiterhin so bleibt, dann sehe ich da keine Kinder, denke ich innerlich. Zum Glück ist Miran noch am Kiosk. Sie singt munter weiter und singt ernsthaft darüber, dass wir doch Sex miteinander haben sollen. Hatten wir schon. Ich bin so froh, dass Miran und meine Brüder nicht da sind.

Heute ist der letzte Schultag, dann bin ich zwei Wochen befreit von Didems unnötiger Stimme und Visage. Ich habe Yasmin von ihrem Versuch erzählt. Sie war so verdammt wütend, dass sie Didem am nächsten Tag die ganze Zeit schief angeschaut hat und immer eine Bemerkung gemacht hat, als sie an uns vorbeilief. Entweder ging es da um Körperproportionen, Komplexen, Hobbylosigkeit oder Lügen. Einmal hat Didem zurückgefeuert und Yasmin konnte ihr Temperament nicht mehr zügeln, weshalb wir sie davon abhalten mussten, auf Didem loszugehen. Herr Barndt war ziemlich entspannt, als es bei ihm ankam und hat Yasmin Schokolade angeboten. Bei ihr wollte ich mich auch revanchieren, aber sie hat es abgelehnt. Yasmin sieht es als selbstverständlich an und will nur von mir, dass ich dasselbe für sie tue, falls sie mal jemanden findet. Aber aktuell hat sie keine Lust auf irgendwelche Typen - das ist gut. So vermeidet sie Stress und Trauer, den ich in den zwei Wochen irgendwie minimieren konnte. Ich habe aber, wie vorhergesagt, Tränen im Unterricht bekommen und während der Fahrt nach Hause war ich immer nachdenklich und traurig. Wenn ich selber mit meinem Baba fahren musste, dann musste ich die Gedanken jedoch verschieben oder es käme zu Unfällen, durch meine Unaufmerksamkeit. Aber heute müssen wir es klären. Komme, was wolle. Das geht nicht mehr so weiter. Heute kommt kein Besuch und Ardan muss auch zu keinem Termin oder Training - ich habe mich von der Mutter absichern lassen, die mir sogar einen Ersatzschlüssel unter die Fußmatte gelegt hat, falls Ardan nicht die Tür öffnen will.

Ich sitze auf dem Rücksitz von Adams Auto. Er weiß von meinem Plan Bescheid und deckt mir deshalb - wenn nötig - den Rücken. Ich bin echt froh darüber. Als Gegenleistung soll ich dann Dilan und ihm den Rücken decken, falls sie mal wieder etwas unternehmen wollen - und in den Ferien wollen sie wohl vieles unternehmen. Zu Hause lege ich nur schnell meine Sachen ab und warte, bis Aiman im Zimmer ist. Auf eine Aiman-Inquisition habe ich echt keine Lust. Das Einzige, was ich jetzt will, ist es, Ardan zur Rede zu stellen. Es muss geklärt werden, aber wie es endet, weiß ich nicht und ich fürchte mich davor, dass es schlecht endet. Augen zu und durch, sage ich mir innerlich während meines Durchatmens zu. Ich eile die Treppen runter, um jegliches Aufeinandertreffen zu vermeiden und verlangsame mein Tempo auch nicht, als ich durch Tür und Tor schreite. Ich will so schnell wie möglich zu ihm! Wieso dauert es ausgerechnet heute so viel länger? Ich sehe sein Haus, ich bin fast da! Weil ich so ungeduldig bin, renne ich die letzten Meter und kann erfolgreich den Ersatzschlüssel ins Schloss stecken. Im Wohnzimmer ist es still. Roxy scheint auch nicht hier zu sein. Oben geht die Tür auf und sofort schlägt mein Herz schneller. "Mama?" Ich antworte nicht, stattdessen ziehe ich mir schon mal die Schuhe aus und stelle mich im Bereich zwischen Wohnzimmer und Küche vor die Treppe, die Ardan mit Roxy hinunterläuft, nur um verdutzt festzustellen, dass es nicht seine Mutter ist, sondern ich. Seine Freundin.

HerzensdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt