Kapitel 54

25.4K 1K 185
                                    

Jeremy Zucker - glisten

Wir machen uns gerade auf den Rückweg. Yasmin hat spontan beschlossen, bei mir zu bleiben. Ob ich sie heute gut unterhalten kann, weiß ich nicht. Ardan hat Probleme. Er hat multiple Probleme seiner Psyche und er redet nicht darüber. Was sich heute angespielt hat, war ein Hin und Her von Informationen und Emotionen. Ich werde sicherlich noch morgen so ruhig sein, weil mir Ardans krampfhafter Zustand, wie er auf dem Boden kniet, nicht aus dem Kopf geht. Hilflos, in einem inneren Chaos, ohne Rettung für den Moment. Ich wollte ihn gar nicht verlassen. Er war so glücklich, als alle gekommen sind und er war so glücklich, als er realisiert hat, dass er Freunde hat. Wenn ich wieder an seine tränenden Augen denken muss, werden meine wieder feucht. Er ist ein so zarter Mensch. Sein Herz besteht aus Glas. Mein Ardan, ich hoffe, dass meine Liebe dir helfen kann. Man kann ihn doch so leicht zufrieden stellen, er hat keine hohen Erwartungen. Wieso muss man ihm so viel Leid antun? Der Junge hat seine Strafe verdient und wird Ardan bei der nächsten Begegnung sicherlich aus dem Weg gehen. Am liebsten würde ich ihn wieder in den Arm nehmen und die ganze Nacht über seine Probleme und Lösungen für sie reden. Wir könnten ja heute telefonieren. Er liegt alleine im Zimmer. Nein, Yasmin übernachtet ja bei mir. Dann schreiben wir halt, aber ich kann nicht permanent am Handy sein, weil Yasmin ja bei mir übernachtet. Bald ist die Hochzeit. Hoffentlich wird Ardan bis dahin wieder fit und hoffentlich habe ich bis dahin eine Ausrede, damit ich gehen kann.

Ich laufe mit Yasmin direkt nach oben, um mir meinen Pyjama anzuziehen. Im Spiegel schaue ich mich an. Ich bin schön und habe eine schöne Figur. Ardan hat heute gesagt, dass ich einen gesegneten Körper habe. Ich muss ihn auch mit Worten stärken. Yasmin gebe ich ebenfalls Schlafsachen und schreibe Ardan, wie es ihm geht. Ich weiß, dass es ihm besser geht, aber trotzdem möchte ich all seine Gedanken wissen. Wie hat sich dieser Schwächeanfall angefühlt? "Du bist so still." Meinem Freund geht es auch nicht gut. Vielleicht hat er Depressionen und ich weiß nichts davon. Mein Freund hat einen gewissen Zwang, mein Freund hat Lasten mit sich zu tragen. Ich fahre mir leise seufzend über mein Gesicht. Ja, ich bin still, weil ich ebenfalls belastet bin. Meine Mutter ruft uns nach unten in die Küche, wo sie irgendetwas für uns kocht. "Ich wünschte, ich hätte mehr Töchter. Ich freue mich immer, wenn die ganzen Mädchen hier sind und würde am liebsten mit euch im Wohnzimmer übernachten." Mama kneift Yasmin in die Wange. "Beim nächsten Mal kannst du ja dabei sein", erwidert Yasmin lächelnd. "Ja, ich will auch mitbekommen über welche Jungs ihr so redet." Sie kneift schmunzelnd die Augen zusammen und dreht sich wieder zum Herd. "Ach, übrigens, Yasmin. Von wo habt ihr die Kette für Cana?" Nein. Nein, das ist jetzt nicht passiert. Meine Augen werden ganz groß. Ich drehe mich kurz und hektisch zu meiner Mutter, die noch beschäftigt ist und dann zu Yasmin. Zu Yasmin meinte ich doch, dass meine Mutter sie mir gekauft hat und andersrum. Verdammt! Yasmin, spielt bitte mit!

"Äh, es gab so ein Angebot auf einer Seite, die individuellen Schmuck anbietet. Da war das als Modell und wir dachten uns, dass es ihr gefallen würde." Sie gibt mir einen fragenden Seitenblick. Verdammt, wie konnte ich nur so leichtsinnig sein und denken, dass das Geheimnis niemals rauskommt? Mir ist verdammt warm. Ich öffne lieber das Fenster. "Die Kette ist echt schön. Da habt ihr euch etwas Schönes einfallen lassen." Ja, sagt das Ardan. Yasmins Blick ist undefinierbar. Ich weiß nur, dass sie alles wissen will. Hoffentlich vergisst sie das einfach irgendwie. Ich gucke sie am besten nicht mehr an, bis wir oben sind. Mama legt das Essen vor uns hin und nimmt dann zwei Teller für sich und Baba mit ins Wohnzimmer. Ich will nicht alleine mit Yasmin sein. Vor allem, da ihr Blick die ganze Zeit auf mir liegt. Ich esse sehr langsam, versuche mich innerlich für die Konversation zu sammeln, was mir jedoch überhaupt nichts bringt. Der ganze Tag spielt sich in meinen Gedanken wieder ab. Das Waschen von Roxy, die intensiven Küsse auf meinem Nacken, die plötzliche Umschaltung seiner Laune. Wird Yasmin sauer auf mich sein? Vielleicht enttäuscht? Wieso musste es so früh rauskommen? Vielleicht sollte ich lieber erstaunt sein, dass diese Lüge überhaupt so lange gehalten hat. Was wird sie sagen? Sie würde mir doch eigentlich nicht böse sein. Hach, ich finde es in kurzer Zeit sowieso heraus. Wenn ich vielleicht schneller essen würde, dann wüsste ich es sicherlich jetzt schon, aber heute ist das Essen besonders heiß und deshalb esse ich besonders langsam.

HerzensdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt