Ruel - Don't Tell Me
Mein Gesicht dreht sich halb, wo sich das Ziehen auf meiner linken Gesichtshälfte schon rasend schnell bemerkbar macht. Hat sie das wirklich getan? Ist das wirklich passiert? Dieses Ereignis kommt mir gerade so unecht vor. Für einen Moment bilde ich mir ein, dass es gar nicht passiert ist. Wie? Ganz träge halte ich mir meine pochende, warme Wange. Mama hat mir wirklich eine Backpfeife gegeben. Das ist das erste Mal, dass sie das getan hat. Die Klapse, das Knuffen war alles nur als Neckerei oder als sanfte Warnung, aber das ist wirklich die erste Gewalt, die ich erlebe. Ich sehe in ihren Augen ein Gemisch aus Wut, Trauer und Entsetzen. Sie ist diese Situation selber nicht gewohnt. Und nun stehe ich hier. Stumm, schockiert, mit schmerzender Wange und langsam aufbrausenden Gefühlen und aufsteigenden Tränen. Dass Mama mich geschlagen hat schmerzt gerade mehr, als die Tatsache, dass sie eine Beziehung jetzt nicht gutheißen würde. Für mich steht die Welt gerade so still wie noch nie. Ich traue mich nicht einmal vernehmbar zu atmen. Ich will keine Regung zeigen, weil mich dieses Geschehen so verschreckt. Mama hat mich wirklich verletzt. Ich kann mich nicht bewegen. Ich will mich nicht bewegen. Wir schauen uns beide einfach nur stumm an. Mama ist wütend und bei mir kommen die Gefühle erst alle durch eine Art Filter, bevor ich es rauslassen kann. Ich bin froh, dass Adam wenigstens schon im Haus ist. Es wäre mir noch unangenehmer, wenn er oder noch wer es mitbekommen hätte. Als Mama durchatmet, schlägt mein Herz schneller. "Geh auf dein Zimmer, Cana." Ihre Stimme ist neutral. Keine Wut, keine Verachtung. Sie dreht sich sogar selber um und geht rein.
Als ob es das Startsignal für mich war, renne ich mit bebender Unterlippe die Treppen hinauf in mein Zimmer. Ich kann mein Schluchzen noch in meinem Zimmer rauslassen, als ich meine Tür abschließe. Erst jetzt platzt meine innere Ruhr. Meine Gefühle fließen in diesem Moment aus mir heraus. Ich bin wütend und zutiefst verletzt, dass meine Mutter mir so etwas antut. Ich bin so wütend, dass ich mir das habe gefallen lassen. Ich bin so wütend, dass sie mir nicht einfach zustimmen konnte. Mich macht es sogar wütend, dass ich jetzt weine. Ich lasse mich auf meinem Bett nieder und lege die Decke um mich. Gott, ich bin so sauer! Es macht mich wütend, dass ich nichts in diesem Moment tun konnte. In Gedanken fallen mir jetzt so viele Monologe ein, die ich ihr hätte an den Kopf werfen können, Mann! Muss denn direkt bei mir alles schiefgehen? Wieso sollte es bei Ardan und mir nicht klappen? Wieso sollte ich dann plötzlich naiv sein? Ich sehe doch unsere Probleme und ich versuche doch zu helfen! Was weiß sie denn schon?! Frustriert wische ich mir die Tränen weg. Ich würde jetzt aus Prinzip zu Ardan gehen und bei ihm bleiben. Ich würde sogar aus Prinzip Sex mit ihm haben! Mama regt mich so auf! Ich tue nichts Verwerfliches. Sie ist doch zu diktatorisch. Ich muss doch irgendwann mal meine Liebe finden, um dann zu heiraten. Ob ich jetzt oder später an einem gebrochenen Herzen leiden werde, ist doch scheißegal - ich werde leiden. Sie ist doch sonst nicht so. Sonst lässt sie uns Erfahrungen machen und sagt, dass diese Wichtig für die Hirnentwicklung seien. Wieso dann nicht hier? Weil sonst Ängste in mir durch die neuen Synapsenbildungen entstehen?
Ich denke wieder an die ganze Sache. Sie war am Anfang so gefasst und hat die Diskussion im Sanften enden lassen. Als ich die Diskussion wieder aufgegabelt habe, war sie wie davor, nur hat sie mich am Ende geohrfeigt. Ich will mir die nächsten Tage gar nicht vorstellen. Hoffentlich muss sie lange und viel arbeiten, damit ich sie nicht sehe. Die letzten Tage war es doch auch so, also sollte es nicht so schwer sein, dass die folgenden Tage im Krankenhaus genauso sein werden. Sie würde ihren Job doch sowieso nie wegen uns kündigen ... ich muss wieder an meinen letzten Satz denken. Hat sie mir nun eine gescheuert, weil ihr die Diskussion gereicht hat oder wegen des Satzes? Ich will irgendwie nicht einsehen, dass es am letzten Satz lag, aber je mehr ich darüber nachdenke, umso klarer ist es. Sie hat sich schon Sorgen um Aiman gemacht und dass ich einfach so eine Anschuldigung gemacht habe, hat sie wohl in diese Situation gebracht. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Einerseits ist es meine Meinung, aber andererseits würde ich sicherlich auch mal so reagieren. Ich spiele schniefend an meiner Phiole, denke instinktiv an Ardan, der mir zuhören würde und der sich auch die Situation von beiden Seiten anhören würde - oder sie sich denken würde. Manchmal reagieren Menschen über. Es gibt immer jemanden, der das Verhalten als Übertrieben oder falsch ansieht und immer jemanden, der das Verhalten als Berechtigt und korrekt bewertet. War mein Handeln falsch oder das von Mama? Ich will nicht einsehen, dass der Fehler bei mir lag. Sie hat mich doch provoziert ... oder habe ich mich einfach provozieren lassen?

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Herzensdieb
Roman d'amourSpin-Off zu Akzeptanz. Sie hat ihre Mutter als Vorbild und will genau so eine rührende und bissige Liebesgeschichte, wie sie. Sie entspricht dem Ebenbild ihrer Mutter und eifert ihr gerne nach, auch wenn sie vom Charakter her weicher ist. Wie ihre M...