Kapitel 2

37.4K 1.2K 689
                                        

Shawn Mendes - Where Were You In The Morning

Die zwei Stunden Geschichte habe ich überlebt. Die Lehrerin ist zwar echt nett, aber sie ist übertrieben langweilig. Wie soll ich das bloß aushalten? Gleich habe ich eine Stunde Deutsch und danach Mathe. Hoffen wir mal, dass ich bei der Fünf bleibe und nicht weiter abkacke. "Die Frau ist ja eine richtige Schlaftablette. Ich nenne sie einfach Schlaftablette", sagt Ramzi, der sich streckt und gähnt. Ich muss mitgähnen. Grinsend legt Ramzi seinen Arm um mich, als wir uns in der Oberstufen-Mensa hinsetzen. "Wie wäre es, wenn du mich heute in Sport anfeuerst, damit alle Mädchen auf mich aufmerksam werden?" Er wackelt mit seinen Augenbrauen. Ich verdrehe nur meine Augen und schmunzele. Adam und Aiman setzen sich zu uns und ziehen kritisch die Augenbrauen zusammen, als sie Ramzis Arm um mich sehen. Oh Gott, noch mehr Sicherheitsmänner kann ich nicht gebrauchen. "Was?", frage ich, woraufhin beide synchron auf Ramzis Arm zeigen. Oh Gott. "Mein bester Freund, mein Arm." Aiman verzieht seine Lippen und Adam grinst Dilan an, die sofort aufsteht, um sich einen Durstlöscher zu kaufen. Sie steht auch auf, weil sie sich schämt. "Dilanchen, bringst du mir etwas mit?", fragt Adam. "Hol es dir doch selber." "Ist das etwa ein Date?", grinst mein Bruder. Ich muss kichern. Die beiden passen echt gut zusammen. Adam rennt ihr hinterher und danach setzt sich Miran zu uns, der sowieso nichts versteht. "Kommt ihr heute zu uns?", frage ich Yasmin und den Rest. "Ja, klar. Ich will sowieso in die Trampolinhalle. Einen anderen Grund hätte ich auch nicht, um zu euch zu kommen", sagt Ramzi. Ich verdrehe meine Augen und haue auf seine Brust.

"Alles klar?", sagt eine Stimme, die mir doch bekannt vorkommt. Ich schaue zu Aiman, der dem scheiß Jungen die Hand gibt! Oh mein Gott, das ist nicht sein Ernst. Voller Entgeisterung sehe ich zu den beiden. Ramzi und Amal fragen mich, ob er das ist und schon wird der scheiß Junge aufmerksam auf mich. Seine Augenbrauen heben sich leicht überrascht. Jetzt wirkt er nicht mehr so arrogant und mürrisch, aber blasser als gestern. Auch Aiman wird auf mich aufmerksam. "Was ist?" Schnaubend schaue ich weg. Nein, ich habe keine Lust ein Theater daraus zu machen. "Es tut mir leid, dass ich gestern so unfreundlich war. Das war nicht meine Absicht", sagt der scheiß Junge. Ich glaube ihm nicht. Das sagt er nur, weil mein Bruder hier ist. Dilan und Adam kommen zurück und natürlich nehme ich Adams Essen ab. "Ich sage Baba, dass du mir nichts gekauft hast." "Ey, komm schon, am Ende werde ich in den Keller gesperrt", gibt er theatralisch von sich. Ich beiße in sein Schokocroissant, nehme einen großen Schluck von seinem Durstlöscher und stehe perfekt zum Klingeln auf. Die Pause war echt kurz, das waren niemals zwanzig Minuten. Ich laufe aus der Tür, die eigentlich ein Notausgang ist, aber von so gut wie jedem hier missbraucht wird, über das Gras und steuere auf das Tor zu. Amal und Yasmin gesellen sich mit Dilan zu mir und kichern. Nicht auch noch das. "Komm schon, er hat sich entschuldigt", sagt Amal. "Schön, er war trotzdem unfreundlich, obwohl ich total nett war." "Verdient nicht jeder eine zweite Chance?", fragt Dilan. "Nein", murre ich, ganz im Mama-Stile.

Ich lasse mich auf meinem Platz vor dem Pult des Deutschlehrers nieder und warte auf ihn. Am Tisch links von mir setzen sich Miran und Ramzi hin. Yasmin, Dilan und Amal wollen nicht vorne sitzen, also gehen sie ganz nach hinten. "Hey, Cani-Bani, was ist los?" Ich drehe mich zu Ramzi und zucke mit meinen Schultern. "Soll ich den Typen schlagen?" Er spannt seine Muskeln an. "Bei deinen Laucharmen hätte selbst Cana eine Chance." Ich schaue Miran empört an. "Ich bin auch so stark." Spöttisch nickt er. "Ey, ich gehe doch trainieren", schmollt Ramzi. Ich grinse. "Alles gut, mein muskulöser Bodyguard." Herr Barndt kommt motiviert rein und legt seine Aktentasche ab. "So, ich begrüße euch alle ganz herzlich zu unserer ersten Deutschstunde." Er lächelt mich mit seinen vollen Lippen an, richtet seine Brille und sagt uns, dass sich unsere erste Klausur um ein Gedicht handeln wird. Na ja, etwas anderes habe ich auch nicht erwartet. Ich hoffe, der Biounterricht gestaltet sich als spannend und angenehm. Wir reden ein wenig ohne Materialien über Analysen und Gedichte, ehe wir ein Gedicht bekommen. Bei Herrn Barndt kann man mündlich sehr gut mitmachen. Wir sollen stilistische Mittel heraussuchen. Das ist doch zu einfach. Ich melde mich, ohne etwas markiert zu haben, doch jemand anders kommt dran. "Hier ist eine Alliteration in der ersten Strophe, Vers drei." Argh! Das ist der scheiß Junge! Ich verdrehe meine Augen und analysiere aus Prinzip jetzt das ganze Gedicht. Als ich drankomme, liste ich direkt drei rhetorische Mittel auf. Von ihm kommt nichts mehr. Ich muss an meine Eltern und ihren Biounterricht denken, wo sie sich mit Fakten beschmissen haben.

HerzensdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt