Kapitel 77

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Thoreau, Chloe Tang - Cities

Mein Wecker klingelt - die Schule beginnt. Jetzt wird es richtig ernst mit den Noten und dem Abitur. Meine Kleidung für heute liegt schon auf meinem Stuhl. Ardan und ich werden heute zum ersten Mal als Paar in der Schule sein, wie aufregend. Kichernd steige ich aus dem Bett, um mir schnell mein schwarzes Oberteil mit den Sonnenblumen anzuziehen und dann in meine taillierte, blaue Jeans zu schlüpfen. Es ist immer noch warm und ich befürchte, dass ich es bereuen werde, da meine Beine jucken werden, aber vielleicht werde ich diese paar Stunden gar nicht so stark schwitzen, weil es morgens nicht so warm ist. Meine Fahrprüfung habe ich bestanden und darf bald meinen Führerschein in der Hand halten. Baba ist trotzdem sehr vorsichtig, was das Fahren bei mir angeht. Bei meinen Brüdern hat sich sein Verhalten dagegen ein wenig gelockert - aber nur ein wenig. Ich feuchte im Bad meine Locken an, nachdem ich mein Gesicht gewaschen und die Zähne geputzt habe, und knete sie, damit ich die Frisur von Mama nachfrisieren kann. Mit zwei Klammern befestige ich die obere Haarpartie hinten und lasse vorne zwei Strähnen aus. Mama grinst mich schon total motiviert an, als ich in die Küche trete. "Na? Bereit?" Ich nicke glucksend. "Willst du bei deinem Vater oder bei mir mitfahren?" Ich zucke mit meinen Schultern. Es ist mir recht egal, wo ich mitfahre. "Fahr bei deinem Vater mit. Das macht ihn glücklich", flüstert sie, ehe sie mir auf den Po haut und mir mein Brot gibt. "Weißt du, wie lange du bleibst? Höchstens vier Stunden, oder?" "Bestimmt." "Gehst du danach noch raus oder kommst du direkt nach Hause?" "Das weiß ich nicht. Das wird spontan in der Schule entschieden."

Auf dem Weg zur Schule gibt mir Baba noch ganz viel Informationen zur Genetik mit, damit ich gut für meinen Bio-Leistungskurs vorbereitet bin. "Dankeschön, Baba." Ich umarme ihn, bevor ich aussteige, stelle aber verdutzt fest, dass er ebenfalls aussteigt. Wieso das denn? Fragend schaue ich zu ihm hinauf. Sein Gesicht wirkt bedrohlich. Wen will er hier töten? "Baba?", murmele ich. Er schaut zu mir runter und lächelt beruhigt. "Du kannst ruhig gehen. Hier ist niemand Bedrohliches." "Sicher?", hakt er besorgt nach. Wieso denkt er das? Ich nicke. "Wer soll hier schon sein?" "Oh, buongiorno Doktor Mafioso! Was verschafft uns die Ehre?", fragt Ramzi mit seinem italienischen Akzent, als er meinem Vater die Hand reicht. Yasmin umarmt ihn. "Passt ihr auch gut auf Cana auf?" "Sie wird mit unserem Leben beschützt, Herr Pate." Nun salutiert er vor meinem Vater, der ihm belustigt durch seine hellbraunen Locken wuschelt. "Dann bin ich beruhigt. Ich verlasse mich auf dich, Ramzi." Er umarmt uns drei und verlässt den Schulhof. Was das jetzt genau sollte, wird mir ein Rätsel bleiben. Vielleicht liegt es an Didem, ich weiß es nicht. Na ja, ich kann ja später Mama fragen. Wir laufen in die Oberstufenmensa, wo ich schon alle sehe und Herrn Barndt lächelnd begrüße. Es sind einige neue Gesichter dabei. Ein neues, blondes Mädchen, zwei Braunhaarige und zwei braunhaarige Jungs. Einer von ihnen schaut mich auffällig an, weshalb ich schnell wegschaue und mich an den Tisch zu meinen Freunden setze. Gegenüber von mir sitzt Ardan, der uns alle lächelnd begrüßt. Aber dieses Lächeln wirkt so halbherzig auf mich.

Uns werden Zettel zu unseren Fächern gegeben, wo wir nochmals kontrollieren sollen, ob unsere Fächer und die Angaben zu mündlich oder schriftlich korrekt sind. Auf dem Blatt sollen wir auch ankreuzen, ob wir ein sprachliches oder naturwissenschaftliches Abitur haben. Da ich sowohl zwei Fremdsprachen, als auch zwei Naturwissenschaften habe, darf ich mir laut Herrn Barndt aussuchen, welche Richtung ich wähle. Ich wähle natürlich die Naturwissenschaftliche. Danach beginnt die Wahl für die Stufensprecher, weshalb alle, die wollen, aufstehen. Zögernd tue ich es, schaue zu Ardan, der aber sitzen bleibt. Wollte er nicht ebenfalls? Er würde gewählt werden, das weiß ich. Was mich überrascht, ist es, dass einer der neuen aufsteht. Offensichtlich kennen ihn viele aus der Stufe. Das macht mich stutzig. Es steht noch eine aus meiner Stufe auf und zwei weitere Jungs. Dass beim fremden Jungen so viele Hände hochgehen, hätte ich nicht gedacht, aber auch bei mir gehen viele Hände hoch. Es steht schon fest, dass wir beiden die Stufensprecher werden. Ramzi applaudiert für mich und spielt den Bodyguard, als wir gehen dürfen. "Die Präsidentin muss mit meinem Leben beschützt werden. Ey! Komm ihr nicht zu nah!" Ramzi schubst einen Mitschüler, der es belustigt hinnimmt. Mein Stundenplan sieht ziemlich voll aus, außer dienstags. Montags habe ich neun Stunden, mittwochs habe ich alle zwei Wochen neun Stunden und donnerstags und freitags habe ich ebenfalls neun Stunden. Ich gebe meinen Eltern Bescheid, dass ich frei habe und lese Ardans Nachricht, dass ich zu ihm kommen soll. Ich wollte sowieso mit ihm reden.

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