Kapitel 38

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gnash - ilusm

Ich fühle mich seit gestern so schlecht. Schlecht, wegen des Videos. Keine Jungs. Wäre ich nicht auf Ardan gestoßen, dann wäre es ja auch so. Dann würde ich mit dem Gewissen leben, dass meine Eltern auch wirklich stolz auf mich bleiben, aber nein, so wird es nicht mehr sein, wenn sie wissen, was da alles schon zwischen uns beiden geschehen ist. Ich kriege wieder Schuldgefühle und das regt mich auf. Ich will mich nie, wirklich nie unter Druck setzen, aber, wenn ich einmal in Ruhe auf meiner rosa Wolke schweben darf, kommt irgendetwas, was meine Wolke verfärben lässt. Von Rosa auf Durchsichtig. Von Verträumt und wunderschön auf Tatsache und Realität. Aber ist die Art von Liebe, die ich gerade bekomme, nicht auch die Realität und Tatsache? Aber die Realität und Tatsache ist, dass ich das gar nicht darf. Das ist die schmerzhafte Realität und Tatsache, die mir überhaupt nicht gefällt. Wie soll ich mich denn dagegen wehren? Ich kann es nicht. Ein weiteres Problem ist ja die kleine, nervige Angst, verlassen zu werden. Und dann gibt es noch die andere Sorge, dass es doch nicht so wird, wie ich es mir vorstelle. Dass ich es falsch verstehe, dass ich mir umsonst Hoffnungen gemacht habe. Wie soll ich mich durch das alles durchschlagen? Meine Gedanken überschlagen sich mit ihrer Negativität, das ist schon abnormal für mich. Gott, wäre Ardan nicht da, wäre ich immer noch die zielstrebige Cana, die sich keine Sorgen um ihre Gefühle machen würde und schön ihrer Mutter nacheifern würde.

Ich seufze frustriert und drehe mich auf die andere Seite meines Bettes. Sein Armband ist immer noch um mein Handgelenk gebunden und das bleibt auch so - hoffentlich. Ich bin so unentschlossen, obwohl ich mir bei einigen Dingen so sicher bin. Ich bin mir da nur sicher, weil ich dann keine Konsequenzen im Kopf habe. Das ist so verdammt kompliziert. Keine Jungs. Keine Jungs, das ist untersagt. Aber ist das nicht unfair? Nein, eigentlich nicht, denn Mama will auch bei meinen Brüdern nicht, dass sie jetzt Beziehungen haben - selbst bei Amir ist sie noch kritisch, obwohl er schon älter ist. Ich weiß nicht, wie ich jetzt darauf reagieren soll. Eigentlich wie früher auch. Ich habe es akzeptiert und war echt zufrieden damit, keine Jungs in mein Leben zu lassen, um irgendwelche Affären zu haben, aber jetzt? Es macht mich schon auf irgendeine Art und Weise wütend, weshalb ich es schon lächerlich finde, dass ich deshalb wütend werde. Alle sind unten, nur Baba nicht - er ist noch im Krankenhaus. Mama wartet schon auf mich, aber ich will gerade nicht runter zum Frühstücken. Sollte ich mich doch zurückziehen? Ich habe doch noch so viel Zeit, bis ich mich auf jemanden einlassen kann. Es ist doch alles noch zu früh. Aber dann würde ich doch mit seinen Gefühlen spielen oder nicht? Dann wäre ich ja eine Heuchlerin, weil ich doch meine Freundinnen angemeckert habe, wegen ihrer Aktion. Nein, ich will nicht mit seinen Gefühlen spielen - ich wäre die letzte Person, die das in Erwägung ziehen würde. Vor allem bei ihm. Er hat doch ein so sanftes Herz.

Ich gehe ins Bad, putze mir meine Zähne, wasche davor mein Gesicht. Ich muss an die erste Übernachtung von ihm denken, wo er mir die Kleidung gegeben hat. Sein so schöner Duft ... ich vermisse ihn und würde ihn gerne wieder einatmen. Gestern habe ich spät eine Nachricht von ihm erhalten, dass er heute im Restaurant essen gehen möchte. Da werde ich sicherlich wieder auf andere Gedanken kommen, obwohl ich genau dort diese Gedanken nicht verlieren sollte. Seufzend verlasse ich das Bad und trete in die Küche. Meine Tasse steht schon auf meinem Platz. "Diesmal hat sie dein Vater rausgenommen. Heute war er ganz mutig", erzählt Mama schmunzelnd. "Er kann sie ruhig benutzen", meine ich. Baba werde ich nicht mehr, wie früher, deshalb anschreien und angreifen. "Er trägt schon das Trauma mit sich." Ich schütte mir Kelloggs in meine Schüssel und gebe die Milch hinein. Es ist so ruhig hier, das stört mich. Sonst wird immer geredet. Hat irgendjemand etwas von Ardan und mir mitbekommen? Waren doch Kameras eingebaut, von denen ich nichts wusste? Ich darf bloß nicht auffallend werden. Aber es kann niemand mitgekriegt haben. Nein, das kann nicht sein. Ich verstehe es nur falsch ... hoffentlich. Was soll ich heute anziehen? Heute ist es wärmer, als die Tage zuvor. Bleiben wir lange im Restaurant? Ich habe gerade echt keinen Redebedarf, weil ich mit meinen Gedanken beschäftigt bin. Dieser Fastkuss ... das ist echt verrückt. Wie es jetzt wohl wäre, wenn er mich doch geküsst hätte? Die Welt würde ganz anders aussehen. Das ist irgendwie beängstigend.

HerzensdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt