Kapitel 93

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Before You Exit - Silence

Ich weiß nicht, wie es heute bei Ardan sein wird. Er ist nicht zum Matheunterricht erschienen, was meinen Optimismus nicht gerade stärkt. Ich kann ihn nicht verstehen. Wieso musste er gestern so plötzlich gegen mich kämpfen und mich beschuldigen? Ich will ihm doch gar nichts Böses. Ich will ihn nur besser verstehen. Ich seufze ganz leise. Zum Glück endet der Unterricht jetzt. Ramzi zieht mich von Yasmin weg, als wir gemeinsam aus dem Raum treten und eilt schon die Treppen hinab. Ich habe das Gefühl, dass er mir sagen will, dass er Ardan von seinen Gefühlen erzählt hat. Wir laufen zu meinem Spind, den ich so gut wie mit allen teile. Yasmin wird sich auch einen Spint mieten, weil meiner schon zu überfüllt ist von allen Büchern. "Was ist?", frage ich, obwohl ich es womöglich weiß. Ramzi fährt sich durch seine hellbraunen Haare. Er zuckt mit seinen Schultern und gibt den Code für meinen Schließfach ein, nur um die Tür zu öffnen und zu schließen. Ich gebe diesmal den Code ein, um meine Mathesachen hineinzulegen. "Ich habe mit Ardan geredet ... an meinem Geburtstag." Ich warte, bis er weiterredet, obwohl ich es schon weiß. "Und worüber?" Man merkt es Ramzi an, dass er sich unwohl fühlt. Wieder zuckt er mit seinen Schultern und hält sich dann den Nacken. "Na ja ... über uns ... beziehungsweise über meine Gefühle." Mein Bauch zieht sich leicht zusammen, weil er immer noch für mich fühlt. "Ouh ... du liebst mich also immer noch?", frage ich vorsichtig. Ramzi errötet. Oh nein, der Arme! "Schon", nuschelt er, während er zu Boden schaut. Ich nehme ihn in den Arm, woraufhin ich ihn dann ganz fest drücke.

Es tut mir so leid, dass er immer noch in dieser Phase steckt. Er verdient es, geliebt zu werden. Ramzi erwidert seufzend meine Umarmung. "Ist es immer noch sehr stark?" "Weniger stark, aber trotzdem vorhanden." Ich kann ihm unmöglich von Ardan und mir erzählen, wenn er noch stark für mich empfindet - wenn er überhaupt noch für mich empfindet. Mein Gesicht zeigt leichte Zerknirschtheit, als ich mich von ihm löse - er schaut ebenso wie ich. "Und wieso hast du es genau Ardan anvertraut und nicht Miran?" "Ich weiß es nicht", seufzt er. "Ardan ist so ... so anders. Ich mag ihn einfach so sehr. Keine Ahnung. Bei ihm habe ich mich am wohlsten gefühlt, was das Beichten angeht." Ich verstehe, was du meinst. Davon werde ich Ardan erzählen, das wird ihn freuen. "Er ist auch ein sehr guter Mensch. Unternehmt ihr auch was miteinander?" Wir laufen langsam wieder durch den Gang. "Wir wollen uns diese Woche treffen und dann gehen wir zu mir, nachdem wir was essen gehen. Er darf bei euch umsonst essen", gibt er am Ende verblüfft von sich. Ich nicke und erzähle ihm vom Schein, den Mama für ihn ausgestellt hat. Wir laufen wieder hoch und warten im Raum. Wieso habe ich meine Mathesachen in den Spint gelegt? Ich gehe doch sowieso zu Ardan ... also er hat nicht zu mir gesagt, dass ich nicht kommen soll. Das würde er auch niemals sagen, egal wie verärgert er ist ... außer er erträgt meine Nähe nicht, weil seine Schuldgefühle zu stark sind.

Ich stehe etwas unsicher vor seiner Haustür, klingele aber am Ende doch. Da ich kein Essen rieche, kann ich davon ausgehen, dass die Mutter nicht da ist. Roxy ist aber auf alle Fälle da - ihrem Bellen und ihrem Tapsen zu urteilen. Weil sie gegen die Tür tappt, lege ich schmunzelnd meine Hand an die Tür. "Ab, Roxy", höre ich ihn sagen. Mein Herz schlägt unwillkürlich schneller, als er die Tür öffnet. Er trägt seine graue Jogginghose und er sieht gut aus. Seinen Blick kann ich dennoch nicht deuten. "Hallo, Mopsi", begrüßt er mich mit gedämpfter Stimme. Innehaltend trete ich hinein und begrüße die glückliche Roxy, die gar nicht mehr aufhören will, mit ihrer Rute zu wedeln. Sie zieht an den Schnürsenkeln meiner Timberlands und lässt ihre Pfoten immer gegen meinen Schaftvorderteil und -hinterteil tappen, um mir so irgendwie aus den Boots zu helfen. "Roxy, sitz." Ganz aufgeregt tut sie es und schaut zu Ardan hoch, der sie schmunzelnd krault. Ihre Rute hört man auf dem Boden hin und her rauschen. "Ich muss Roxy baden, dann ist meine Mutter sicherlich zu Hause. Wir essen und dann bringe ich dir Mathe bei." Seine Stimme ist so sanft und so vorsichtig - nicht wie gestern abweisend und gegen mich feuernd. Ich nicke und hänge meine Jacke im Flur auf. Innerlich freue ich mich, da Ardan immer mit Roxy in die Wanne steigen muss. "Komm, Roxy." Wir laufen in das Gästebad, wo Roxy jaulend darauf wartet, dass Ardan sich auszieht. Sie ist eine geschickte Hündin, die weiß, wie man die Männer dazu bringt, sich auszuziehen. "Ist ja gut", seufzt Ardan. Roxy hechelt sofort, als Ardan sich das Oberteil auszieht - innerlich hechele ich ebenfalls.

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