Kapitel 84

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Billie Eilish - Six Feet Under

Ich stehe leer im Flur. Was will er mir damit sagen? "Was ... was meinst du?", flüstere ich. Ardan ignoriert meine Aussage. Ihm kullern Tränen hinab. Wieso verschließt er sich? "Ardan-," "Geh endlich, Cana! Mach es nicht noch schlimmer." Seine letzten Worte werden von seinen Händen und seinem Schluchzen ertränkt. Die Mutter umarmt ihn sofort. Ihr Blick liegt jedoch auf mir. Sie schüttelt den Kopf, als ob sie sich bei mir entschuldigen müsste. Was soll mir das sagen? Ich trete schluchzend zurück. Wenn ich noch länger hierbleibe, werde ich noch zusammenbrechen. Meine Gesichtsmuskel sind verspannt, weil ich die ganze Zeit kurz oder schon am Weinen bin. Wem soll ich mich anvertrauen? Ich würde es Yasmin gerne erzählen, aber ich weiß, dass es etwas viel zu Privates ist. So sollte er seinen Geburtstag nicht feiern. Ich habe mir den Weltherztag so anders vorgestellt - schöner, mit weniger Herzschmerzen. Ich senke den Blick, als ich die Treppen hinablaufe. Die Cousins und Cousinen sehen mich bedauernd an. Ich schüttele den Kopf, muss mein Schluchzen wieder mit meiner Hand abdämpfen. Ich weiß nicht, was Ardan hat und das bringt mich um. Der Vater steht seufzend auf, um mich noch zur Tür zu begleiten. "Danke, dass du gekommen bist", murmelt er mir zu, als er mich umarmt. Ich muss an Ardan denken, weshalb mein Oberkörper bebt. Ardans Vater fährt mir beruhigend über den Rücken, aber das verschlimmert es nur. Sie haben genau dieselben Augen.

"Falls Ardan etwas braucht, sagt mir doch bitte Bescheid. Ich will ihm helfen." Ich habe mich so gut sammeln können für diese fünf Sekunden, wieso muss ich schon wieder weinen? Ich schaue ohne Grund zur Seite, als die Tränen wieder aufsteigen. "Wir werden Bescheid geben. Wein bitte nicht mehr. Ich weiß, es ist schwer." Er drückt meine Hände. Seine Augen füllen sich ebenfalls mit Tränen, was meine Situation nicht bessert. "Bis irgendwann", nuschele ich beim Schniefen. Die frische Septemberluft erfüllt meine eingeengten Lungen, als ich eilig aus dem Haus trete, das ich sonst so gerne mit Freude betreten habe. Es haben einige Reibereien in diesem Haus stattgefunden, aber diese Situation ist anders. Sie ist unbeschreiblich schrecklich und in die Knie zwängend und das trotz des Faktes, dass ich nicht weiß, wieso. In der Gruppe sind viele Nachrichten aufgetaucht und auch privat habe ich einige Nachrichten erhalten, die von Yasmin stammen. Ich kann es ihr nicht erzählen. Deshalb schreibe ich ihr, dass ich es nicht weiß. Ich weiß ja den Grund auch nicht. Ich weiß nur, dass Ardan am Boden zerstört ist und mich nicht sehen will, weil es ihn Schuldgefühle haben lässt. Was muss ich machen, damit es ihm besser geht? Soll ich beten? Alles, was hilfreich ist, werde ich machen - es soll ihm einfach nur zugutekommen. Die Luft erfrischt mich, was mein verweintes Gesicht dringend nötig hat. Bevor ich vor unseren Toren ankomme, ziehe ich mir die Kapuze über und bete, dass niemand aus seinem Zimmer tritt, wenn ich gleich drin bin.

Ich verfluche Adam dafür, dass er die Treppen runterkommt und mir direkt ins Gesicht schaut. Das macht mich gerade richtig reizbar. Ich gehe auf meine Knie, um mein Gesicht zu verdecken und mir langsam die Schuhe auszuziehen. Eine Konfrontation kann ich gerade echt überhaupt nicht gebrauchen und dann noch von meinem großen Bruder. "Hey ... wieso weinst du?" Muss er das fragen, wenn die anderen voraussichtlich auch hier im Haus herumlungern? Aiman soll es bloß nicht wagen, mich rechtzuweisen. Adam kommt auch mich zu. Wieso muss er mich jetzt so in die Enge zwängen? "Es ist niemand zu Hause." Vorsichtig hilft er mir auf. Ich könnte schon wieder anfangen zu weinen. Heute werde ich noch viele Tränen verlieren, das weiß ich. Adam zieht ich an seiner Hand die Treppen hinauf. Ich will mich eigentlich aus seinem Griff befreien, aber vielleicht kann er mir irgendwie helfen oder eine Last abnehmen. Ich kriege langsam Kopfschmerzen von diesem unangenehmen Druck im Nacken. Wir gehen in mein Zimmer, er schließt die Tür. Ich habe meine Kapuze immer noch nicht runtergenommen, aber auch das übernimmt er. "Was ist passiert?" Was weiß er? Ich will nichts ansetzen. Ich habe Angst, dass Adam ausrasten und mich verraten wird. "Warst du bei ihm?" Was? Woher weiß er das? Mein Bauch zieht sich zusammen. "Du kannst es mir ruhig sagen, Cana. Ich werde niemandem etwas erzählen." Meine Tränen steigen wieder auf, meine Unterlippe bebt.

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