Kapitel 31

20.7K 1K 226
                                    

Alec Benjamin - Water Fountain

Ardan hat sich wohl echt viel Zeit gelassen, dass er selbst nach zwei Wochen keinen Entschluss gefasst hat - das tut verdammt weh. Ich konnte mich nur halbwegs vom Stress erholen, weil ich immer und immer wieder an ihn denken musste. Was ihn so lange beschäftigt, weiß ich nicht, aber ich habe mich dazu entschlossen, ganz trocken an die Sache ranzugehen. Ich bin enttäuscht, sehr sogar. Ich dachte, dass er vielleicht auf eine andere Ebene gehen will, aber demnach scheint es nicht. Ich kann diese Michelle verstehen; Ardan ist nicht nur nett, er gibt falsche Signale. Was soll man denn da großartig tun, als sein Gegenüber? Natürlich fühlt man sich anders und spielt mit dem Gedanken herum, dass da mehr sein könnte. Wieso macht er das? Hat es was mit der fehlenden Akzeptanz zu tun? Will er mir auch diese fehlende Akzeptanz geben? Ardan erscheint mir nicht wie jemand, der Rachsüchtig ist, aber was will er dann damit bezwecken? Ich bin sauer auf ihn und das ist auch berechtig - subjektiv gesehen. Einen Tag nachdem er meinte, dass er nachdenken müsste, hat er mir doch gesagt, dass er schon nachgedacht hat, es aber nur ordnen müsste. Seit wann dauert das Ordnen länger als das Nachdenken und seit wann fordert das Ordnen mehr als über neunzig Prozent der Zeit, als das Nachdenken? Lügt er mich nur an? Ich kann nicht einmal im MRT aufhören, an ihn zu denken. Was ist, wenn diese Gedanken gerade mein Herz beeinflussen und somit die Bilder?

"Okay, Cana, du wirst jetzt rausgefahren", sagt Mama durch das Mikrophon, ehe eine Krankenschwester in den Raum tritt, mir die Spule und die Elektroden vom Brustkorb entfernt und dann noch die Nadel aus meinem Unterarm zieht. Nachdem ich ein Pflaster bekommen habe, darf ich mir in der Umkleidekabine die spezielle Kleidung ausziehen und wieder in meinen BH schlüpfen. Ich warte im Flur mit Baba auf Mama, die mit dem Radiologen redet und sich dann verabschiedet. Im Auto seufzt sie. "Wann weißt du, was ich habe?" "Ich habe schon seit Wochen eine Vermutung, was du haben könntest." Mir wird flau im Magen, weil ihre Stimme nicht gerade beruhigend wirkt. Ist es sehr schlimm? Ich werde doch nicht sterben, oder? "Was?", fragt Baba angespannt. "Ich glaube, es ist eine Stress-Kadiomyopathie." Das sagt mir nichts. "Das ... Moment, hast du das nicht?" "Doch", murmelt sie. "Es war schon bei mir ein Sonderfall, aber, dass es bei einer 16-jährigen auftreten soll, kann ich mir nur schwer vorstellen. Es steht noch nichts fest, aber es kann gut möglich daran oder an ähnlichem liegen." Mama hat eine Herzkrankheit? "Aber Cana hat doch keine schwerwiegenden psychischen Verluste erlitten. Cana, ist irgendetwas passiert?" Mama dreht sich zu mir um. Ich verneine es sofort. "Deshalb kann ich mir auch da nicht sicher sein, aber die Genetik lässt mich wieder anders denken. Vielleicht liegt irgendein Gendefekt vor." Mama stöhnt genervt auf. "Cana, Süße, anscheinend sind wir doch nicht ganz durch mit den Theorien." "Nicht schlimm", murmele ich.

Wir kommen vor unserem Restaurant an und setzen uns am reservierten Tisch hin. Mama ist ganz in ihren Gedanken, doch ich hole sie zurück ins Hier und Jetzt, weil ich Neugierig bin. "Was ist diese Stress-Kardiomyopathie?" Mamas Mundwinkel zuckt mit wenig Begeisterung. "Eine seltene Herzmuskelerkrankung mit Symptomen eines Herzinfarkts und akuten Koronarsyndroms." Und das soll ich haben? "Aber ich hatte doch gar nichts davon." "Ich weiß", seufzt sie. "Deshalb kann ich mir auch da nicht sicher sein, obwohl es womöglich etwas damit zu tun haben könnte. Das Problem ist, dass es nur bei sehr starker emotionaler Belastung eintritt und das ist bei dir nicht der Fall. Du meintest ja, dass du Stress hättest, aber normaler Stress führt nicht zu sowas. Abgesehen davon ist das Stechen ja die süße Version dieser Myopathie", gibt Mama am Ende sarkastisch von sich. Ich fühle mich gerade etwas schuldig, weil ich mir ja mit Ardan emotionalen Stress eingefangen habe, es aber vor Mama verheimliche. Ich behindere damit meine Genesung und Mamas Zeit, aber ich habe große Angst, weil sie enttäuscht sein wird. Mama hat mir doch gesagt, dass sie stolz auf mich ist, weil ich nichts mit Jungs zu tun habe. Mama hat mir immer gesagt, dass Jungs warten können und die Schule an erster Stelle steht und ich habe sogar oft mit eigenen Augen gesehen oder gelesen, was Jungs mit ihren Freundinnen gemacht haben und als ich das Mama erzählt habe, war ihre Antwort, dass es sowas von klar war. Sie hat immer beide Seiten vor Augen, aber, wenn ich Ardan sehe, dann überwiegt das Gute immer dem Schlechten.

HerzensdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt