Kapitel 75

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ZAYN - Good Years

Ich werde wach, als Ardan die Tür hinter sich schließt. Es ist mitten in der Nacht. Anscheinend muss er auf Toilette. Ich warte einfach auf ihn und schalte nebenbei die Nachttischlampe an. Auf dem Tisch liegen noch Erdbeeren, die ich zu mir nehme. Ich erinnere mich an das erste Mal, wo ich mir die Erdbeeren genommen habe und Mama kreischend auf mich zukam und sie mir wegnahm, weil sie dachte, dass ich ebenfalls allergisch auf sie reagiere, wie Mama es tut. Mir passiert zum Glück nichts bei diesen Früchten. Ich muss nur bei Erdnüssen aufpassen. Für Ardan lasse ich einige Erdbeeren übrig und warte, bis er zurückkommt. Wieso braucht er so lange? Entweder kommt es mir nur so vor oder er muss vielleicht mehr als nur pinkeln. Das kann ja gut möglich sein. Um mich von seiner Abwesenheit abzulenken, hole ich aus seiner Schublade sein schwarzes Büchlein raus, um mir seine Zitate noch einmal durchzulesen. Er hat ein neues Zitat. Ihre vollen Schenkel waren das große Meer, ihre Dehnungsstreifen die sanften Wellen - 26.7. Ich schnappe leise nach Luft. Das ist ein schönes Zitat, auf einer neuen Ebene. Es ist echt schön, wie er meinen Körper sieht, wie er ihn darstellt. Wie es wohl wäre, wenn Ardan meine Dehnungsstreifen nicht schön fände? Ich wäre traurig, aber ich würde hoffentlich nicht aufhören, meine Dehnungsstreifen als schön anzusehen. Ich mag sie. Wie lange braucht Ardan noch? Ich werde langsam ungeduldig, also stehe ich auf, ziehe mir das T-Shirt und die Baumwollshorts an und gehe in den Flur, wo kein einziges Licht leuchtet. Wo ist er dann?

Ich höre ein leises Schniefen. Habe ich es mir nur eingebildet? Im Moment bewege ich mich keinen Zentimeter, damit ich alles genau höre. Da! Schon wieder! Mein Herz schlägt unwillkürlich schneller, weil Ardan weint. Sofort sprinte ich die Treppen hinunter in die dunkle Küche. Mein Herz zieht sich unangenehm zusammen, als ich ihn am Tisch sitzen sehe, die Hände vor seinem Gesicht palmiert. "Ardan?" Vorsichtig gehe ich auf ihn zu. Mir kommt unsere Auseinandersetzung in den Sinn, wo er nicht mit mir reden wollte. Das verunsichert mich, aber ich muss ihm doch zur Seite stehen. Ardan regt sich nicht, als er meine Stimme registriert. Ich gehe langsam auf ihn zu, lege meine Hand auf seinen nackten Rücken. "Brauchst du etwas?", frage ich zögernd. Er nimmt langsam die Hände runter von seinem Gesicht. Ich sehe ihn durch die Lichter, die von draußen in die dunkle Küche strömen. Selbst verweint wirkt er so schön. Wieso weint er? Meine Augenbrauen ziehen sich bedauernd zusammen, weil ich ihn so traurig sehe. Ich lege meine Hände auf seine Wangen, küsse seine Stirn. Er soll nicht weinen. Seine Hände ziehen mich rittlings auf seinen Schoß, damit er sein Gesicht in meiner Halsbeuge vergraben kann. "Es tut mir so leid", flüstert er zitternd. Sein Schluchzten tritt ein. Mir steigen die Tränen auf. "Was ist passiert?", frage ich heiser. Ich spüre den Druck auf meinem Nacken. Seine Tränen tropfen auf meine Haut. Stumm flehe ich, dass er aufhören soll zu weinen.

"Ich hätte es nicht tun sollen, es tut mir so leid." Mir wird mulmig bei seinem Satz. Was meint er? Ich fahre seinen gekrümmten Rücken auf und ab. Was hat er getan? Was bereut er? Mir kommt ein ähnlicher Satz in den Sinn. Ich hoffe so sehr, dass du mir meine Fehler verzeihst. Aber hat er das gesagt? Ich weiß es nicht. Seine Hand legt sich mit leichtem Druck auf meinen Hinterkopf und Nacken, die andere hält meine Taille immer noch fest in ihrem Griff. Ich kann nicht so recht denken, weil ich nicht weiß, was genau los ist. "Willst du reden?", flüstere ich. Er schüttelt den Kopf. Aber reden tut gut. Er muss sich von dieser Last befreien. Ich seufze resigniert. "Es tut mir so leid, Cana. Verzeih mir bitte." Er schnieft leise. Was hat er getan? Mir läuft es kalt den Rücken runter. "Ardan ... was soll ich dir verzeihen?" Leicht ängstlich löse ich mich von ihm. Was hat es mit seiner Trauer und damit, dass ich ihm verzeihen soll auf sich? Er schaut mir nicht in die Augen, stattdessen lehnt er seufzend seine Stirn gegen mein Schlüsselbein. "Wir sollten schlafen gehen", flüstert er. "Wir sollten darüber reden, wieso du geweint hast und weshalb ich dir verzeihen soll", gebe ich am Ende leicht abgehakt von mir. Ich habe ein mulmiges Gefühl im Bauch. Damit er mir in die Augen schaut, hebe ich sein wehleidiges Gesicht an. Was versteckt er vor mir? Wir schweigen beide. Was in seinem Kopf vor sich geht, würde ich zu gerne wissen. Was müsste ich tun, damit er es mir sagt? Was belastet ihn? Wer ist daran beteiligt? Haben die drei Jungs vom See wieder etwas getan?

HerzensdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt