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Mir rutscht das Herz in die Hose. Woher zum Teufel weiß sie das nun wieder?
>>Matthew hat mich rausgeschickt, Essen für ihn zu holen. Ich konnte nicht nein sagen. Lässt du mich etwa observieren?<< Kein Wunder, dass ich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden.
>>Deswegen wollte ich nicht, dass du arbeitest<<, knurrt Lauren.
>>Lauren, bitte. Du nimmst mir die Luft zum Atmen.<<
>>Ich nehme dir die Luft zum Atmen?<<, wiederholt sie verblüfft.
>>Ja. Das muss aufhören. Wir reden heute Abend weiter. Leider muss ich länger arbeiten, weil ich ja nicht mit nach New York darf.<<
>>Camila, ich will dir nicht die Luft zum Atmen nehmen<<, versichert sie entsetzt.
>>Tust du aber. Ich habe zu tun. Wir reden später.<< Genervt lege ich auf.
Nach dem wunderbaren Wochenende holt uns jetzt die Realität wieder ein. Noch nie war mir mehr nach weglaufen zumute als in diesem Moment. Ich bräuchte einen Rückzugsort, an dem ich über diese Frau nachdenken könnte, wie sie ist, wie ich mit ihr umgehen soll. Ich weiß, dass sie ein gebrochener Mensch ist.
Das stimmt mich einerseits traurig und laugt mich andererseits aus. Durch die kleinen, wertvollen Einblicke, die sie mir in ihrem Leben gewährt hat, begreife ich, warum sie so ist. Sie wurde als Kind nicht geliebt und hatte eine Mutter, die sich nicht um sie kümmern konnte, die sie ihrerseits nicht beschützen konnte und die vor ihren Augen starb.
Ich bekomme eine Gänsehaut. Die Arme Lauren. Ich gehöre ihr, will aber nicht in einem goldenen Käfig eingesperrt sein. Wie soll ich ihr das begreiflich machen?
Niedergeschlagen lege ich eines der Manuskripte, deren Inhalt ich für Matthew zusammenfassen soll, auf den Schoß und fange an zu lesen. Mir fällt einfach keine simple Lösung für Laurens Kontrollsucht ein.

Eine halbe Stunde später schickt Matthew mir per Mail ein Dokument, das ich für das Symposium überarbeiten soll und druckfertig machen soll. Dazu werde ich nicht nur den restlichen Nachmittag brauchen, sondern auch noch einen Teil es Abends.

Als ich den Blick hebe, ist es sieben und das Büro leer.
Nur bei Matthew brennt noch Licht. Ich habe gar nicht gemerkt, dass alle gegangen sind. Immerhin bin ich fast mit dem Text fertig. Ich maile Matthew das Dokument zum absegnen und überprüfe meinen Posteingang. Nichts Neues von Lauren. In dem Moment summt mein Handy.
>>Hi<<, sage ich mit leiser Stimme.
>>Hi, wann bist du fertig?<<
>>So gegen halb acht, denke ich.<<
>>Ich warte vor dem Gebäude auf dich.<<
>>Okay.<<
Sie klingt kleinlaut, sogar ein wenig nervös. Warum? Hat sie Angst vor meiner Reaktion?
>>Ich bin immer noch sauer. Wir müssen uns über vieles unterhalten.<<
>>Ich weiß. Bis halb acht.<<
Matthew kommt aus seinem Büro.
>>Ich muss aufhören. Bis später.<< Ich beende das Gespräch.
Matthew tritt neben mich. >>Es sind noch ein paar Verbesserungen nötig. Ich habe Ihnen das Dokument zurück gemailt.<<
Er beugt sich unangenehm nahe über mich, während ich das Dokument aufrufe. Sein Arm streift meinen. Zufällig? Ich zucke zurück, doch er tut so, als würde er es nicht bemerken. Seinen anderen arm spüre ich auf der Lehne meines Stuhls, an meinem Rücken.
Ich setze mich aufrecht hin, so dass ich die Rückenlehne nicht mehr berühre.
>>Seite sechzehn und dreiundzwanzig, aber das wärs dann auch<<, erklärt er, sein Mund nur wenige Zentimeter von meinem Ohr entfernt.
Mir sträuben sich die Nackenhaare. Ich öffne das Dokument und beginne, mit Matthew im Rücken, mit den Veränderungen.
Alle meine Sinne sind in Alarmbereitschaft. Innerlich brülle ich ihn an: verpiss dich!
>>Sobald dieses Änderungen vorgenommen sind, ist der Text druckfertig. Das können Sie morgen organisieren. Danke, dass Sie länger geblieben sind, Mila.<< Seine Stimme klingt weich und sanft. Mir wird flau im Magen.
>>Ich schulde Ihnen einen Drink.<< Er schiebt mir eine Haarsträhne, die sich aus dem Band gelöst hat, hinters Ohr und streicht dabei sanft über das Läppchen.
Ich drehe den Kopf weg. Scheiße! Lauren hatte recht.
>>Heute Abend kann ich nicht.<< Und auch an keinen anderen Abend, Matthew.
>>Nur ganz kurz?<<, hakt er nach.
>>Nein, ich kann nicht. Aber danke.<<
Matthew setzt sich auf die Kante meines Schreibtischs und legt die Stirn in Falten. In meinem Kopf schrillen die Alarmglocken. Ich bin allein im Büro und kann nicht weg. Nervös werfe ich einen Blick auf die Uhr. Noch fünf Minuten, bis mich Lauren abholt.
>>Mila, ich finde, wie sind ein tolles Team. Tut mir leid, dass die Sache mit New York nicht klappt. Ohne Sie wird's nur halb so schön.<<
Das glaube ich gern. Ich lächle verkniffen. Inzwischen bin ich mehr als froh, dass ich ihn nicht nach New York begleite.
>>Hatten Sie ein schönes Wochenende?<<, erkundigt er sich.
>> Ja, danke.<< Was soll das nun wieder?
>>Waren Sie mit ihrer Freundin zusammen?<<
>>Ja.<<
>>Was macht sie beruflich?<<
Sie ist deine Chefin... >>Sie ist Geschäftsfau.<<
>>Interessant. In welcher Branche?<<
>>Ach, sie mischt in vielen Branchen mit.<<
Matthew beugt sich wieder näher zu mir. >>Sie reden wohl nicht gern über sie, was?<<
>>Sie engagiert sich in der Telekommunikation, der industriellen Fertigung und der Landwirtschaft.<<
Matthew hebt die Augenbrauen. >>So viele unterschiedliche Interessen. Für wen arbeitet sie?<<
>>Sie ist selbstständig. Wenn Sie mit dem Dokument zufrieden sind, so wie es ist, würde ich jetzt gern gehen. Ist das in Ordnung?<<
Er lehnt sich Gott sei dank wieder zurück, von mir weg.
>>Natürlich. Tut mir leid, ich wollte Sie nicht aufhalten <<, lügt er.
Ich fahre den Computer herunter, nehme meine Handtasche und stehe auf.
>>Sie ist ihnen wichtig? Ich meine, ihre Freundin?<<
>>Ich liebe sie<<, antworte ich und sehe Matthew in die Augen.
>>Verstehe.<< Matthew erhebt sich von meinem Schreibtisch. >>Wie heißt sie?<<
Ich werde rot.
>>Jauregui. Lauren Jauregui<<, sage ich mit leiser Stimme.
Matthew fällt die Kinnlade herunter. >>Seattles vermögendste Jungesellin? Die Lauren Jauregui?<<
>>Ja, genau die.<< Ja, Lauren Jauregui, deine oberste Vorgesetzte, die dich zum Frühstück verspeist, wenn du mir noch einmal zu nahe kommst.
>>Sie ist mir gleich irgendwie bekannt vorgekommen<<, bemerkt Matthew. >>Nun, sie kann sich glücklich schätzen.<<
Ich blinzle. Was soll man darauf sagen?
>>Einen schönen Abend noch, Mila.<< Matthew lächelt, doch dieses Lächeln erreicht seine Augen nicht. Er stolziert steif zurück in sein Büro, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Fifty Shades of Jauregui (2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt