1 | Flucht aus Mexiko |

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5.9.2019, Lilas Tagebuch

Liebes Tagebuch,
heute war einer der beschissensten Tage seit ... naja seit langem nicht, seit zwei Monaten?
Während ich die ganze letzte Nacht heulend in meinem Bett gelegenen habe war der Tag darauf nicht ganz so katastrophal.
Wo fange ich an zu erzählen?
Morgens?
Abends, ich fange abends an, denn da wurd's ja erst interessant.

„Du wirst mich nie wiedersehen!"
Wütend packte ich meine Sachen und donnerte meine beiden Koffer zu.
„Es war das letzte Mal, versprochen!", winselte Mason bettelnd und lief hinter mir her während ich zum Taxi lief, welches vor der Tür stand.

Mein Ex-Freund versuchte alles um mich zurück zu halten, sodass ich kurz davor war die Polizei zu rufen.
Meine Wut dominierte gerade die Traurigkeit und Enttäuschung, sodass ich nicht wie sonst losheulte.

„Lila, bitte! Ich bitte dich, lass es mich erklären!", bat Mason und fuhr sich verzweifelt durch sein unverschämt gut-aussehendes Haar.
„Nie wieder! Du wirst mir nie wieder was erklären, ich werde dir nie wieder vertrauen! Ich gehe nach Dallas, aufs College."

Die Tickets hatte ich bereits heute Nacht gebucht, nachdem ich Mason das vierte Mal in Folge mit seiner Ex erwischt hatte.

„Zum Flughafen, bitte.", rief ich dem Taxifahrer noch einigermaßen höflich zu, ehe ich mich anschnallte und die Beifahrertür zuknallte.
„Fahren Sie bitte schnell los.", murmelte ich, während Mason wild an die Scheibe klopfte und versuchte die Tür zu öffnen, die ich mit dem Schalter verschlossen hatte.
„Alles in Ordnung bei Ihnen?", fragte der ältere Herr freundlich, während ich im Seitenspiegel meinen Ex-Freund beobachtete, wie dieser sich verzweifelt durchs hellbraune Haar fuhr.

Mit anzusehen wie er sich immer weiter entfernte, trieb mir nun endlich die Tränen in die Augen, die ich sofort versuchte zu verbergen oder runterzuschlucken.

„Ja.. schon gut. Ich meine, ich bin siebzehn Jahre alt und wurde viel Mal vom selben Typen betrogen, natürlich ist alles super! Ich verlasse ja nur das Land deswegen.", murmelte ich mit weinerlicher Stimme ironisch.
Ob es den Taxifahrer wirklich interessierte, oder ob er nur aus Höflichkeit gefragt hatte, interessierte mich gerade keineswegs.
Ich brauchte jemanden bei dem ich mich auskotzen konnte.
„Das tut mir leid, wirklich leid, solche Typen gehören verboten. Aber vier Mal?!
Wieso sind Sie nicht vorher gegangen.", fragte der Taxifahrer neugierig, konzentrierte sich dennoch aber auf die Straße.

Ich sah traurig zu Boden und spielte an meinen bunten Armreifen herum, wobei jeder einzelne eine andere Farbe hatte.

„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn geliebt. Ich liebe ihn immer noch.
Aber das lasse ich nicht mehr mit mir machen, nie wieder.", sagte ich dann nach einer Weile entschlossen und nickte einmal, als hätte ich mir das Gesagte gerade selbst versprochen.

Mason's Worte von vor zwei Monaten hallten immer noch in meinem Kopf wieder.

Es wird nie wieder passieren, Baby.
Du bist die Einzige, die ich immer lieben werde. Wir beide für immer, so war es schon seit wir uns kennengelernt haben. Ich liebe nur dich.

Ich war aber nie genug für ihn und das wusste ich nun.

Als der Taxifahrer vor dem mexikanischen Flughafen hielt, bezahlte ich ihn mit viel Trinkgeld, denn er war super nett und hatte mehr Geld verdient als den mickrigen Lohn, den er bekam.

Seufzend zog ich meine grüne Glitzerjacke aus und henkte sie über einen meiner Koffer, bis ich diese zur Gepäckabgabe brachte.
Ich checkte so früh ein, wie es ging, weil ich Angst hatte, ich könnte es mir nochmal anders überlegen.

Mit dem College in Dallas, in welchem meine Schwester Dozentin war, hatte ich bereits vor Wochen gesprochen, aber eigentlich sollte ich erst in einem halben Jahr dort anfangen.
Deshalb kontaktierte ich meine Schwester.
Ich hatte sowieso noch über eine Stunde, bis ich zum Boarding konnte.

„Hallo, hier Isabelle Collins, wie kann ich Ihnen-"
„Ich bin's.", unterbrach ich meine große Schwester schluchzend und wischte mir mit einem Taschentuch über die Augen.
„Hey! Was ist los?", fragte sie sofort besorgt und schien sich auf einen quietschenden Stuhl zu setzen.
„Mason hat mich betrogen.. schon wieder.", gestand ich wimmernd und zog meine Jacke, die ich wieder angezogen hatte, näher um mich.
„Dieser Mistkerl.
Wie geht's dir? Soll ich bald vorbeikommen? Du weißt, der Flug ist nicht so lang.", bot meine Schwester sofort an.

Sie war so liebevoll und fürsorglich, das hatte ich vermisst. Generell hatte mir Blue, so war ihr Spitzname, fürchterlich gefehlt.

„Ich bin auf dem Weg nach Dallas.
Ich komme zu dir.
Ich werde mir irgendwie eine Arbeit suchen, eine Wohnung, ein Hotel, keine Ahnung.", überlegte ich laut und wischte mir die übrig geblieben Tränen auch noch weg, als mir auffiel, dass ich das Ganze nicht wirklich durchdacht hatte, doch hier in Cancun konnte ich nicht bleiben.
„Sag mal spinnst du?
Du wohnst bei mir!
Ich freue mich, dass du nach Dallas kommst.
Sag mir Bescheid, wenn du gelandet bist, dann hol ich dich ab, Niña.
Alles wird gut.
Hey, ich habe eine Idee: Ich rede mit Dr. Johnson, vielleicht kannst du schon früher mit den Seminaren anfangen?
Die haben erst vorgestern begonnen, etwas Ablenkung täte Dir sicher gut.", schlug Blue vor und dabei konnte ich buchstäblich hören und vor meinem inneren Auge sehen, wie sie lächelte.
„Das ist wirklich eine gute Idee.", gestand ich und dachte nun selbst nach.

Wieso ein ganzes Jahr rumsitzen?

„Das find ich toll, mal schauen ob es klappt."
„Gut. Dann werde ich mir mal ein paar Argumente einfallen lassen.
Bis dann, Süße, lass dich nicht unterkriegen, ja?", hauchte sie fürsorglich, ehe ich ihr dies versprach und anschließend auflegte.

Während ich mit Blue telefoniert hatte, blinkten bei mir ständig Nachrichten von Mason auf, bis mir nichts anderes übrig blieb, als ihn überall zu blockieren.
Ich wollte nichts mehr von ihm hören, mit ihm abschließen, weshalb ich die Entscheidung traf, seine Nummer gleich ganz zu löschen.
Ich war verletzt. Wirklich verletzt.
Und er hatte ja noch seine Ex, mit der er sich auch super letzte Nacht vergnügen konnte.

Mit diesem Gedanken stieg ich in den wohl schicksalhaftesten Flug meines Lebens, ohne noch einmal zurück zu blicken.

Es brach mir das Herz, ihn und meine geliebte Heimat zu verlassen, doch es war irgendwo auch eine Befreiung.
Über die letzten Monate hatte ich jegliches Vertrauen in diesen Mann verloren.
Jedes Mal, wenn er weg war, war ich der Überzeugung, er wäre bei einer seiner Ex-Freundinnen und vielleicht war das auch der Fall.
Wir lernten uns kennen, als ich fünfzehn und er siebzehn war.
Seither waren wir immer wieder zusammen und dann getrennt, aufgrund seiner.., wie soll ich sagen? Mätressen.
Ich hatte ihn geliebt, aber die Liebe war mit jedem Betrug mehr gestorben.

Nun sah ich aus dem kleinen Fenster und starrte auf den Strand und die Promenade und die Häuser, die immer kleiner wurden.
Ich liebte diesen Anblick, er war so fesselnd und faszinierend, dass er mir ermöglichte, alles andere zu vergessen.
Jetzt würde ein neues Kapitel beginnen, dachte ich.
Doch es war eher ein neues Buch, was ich begann zu lesen.

        

A heart's desiresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt