80 | Déjà-vu

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25.12.2019, Lilas fantastisches Tagebuch

„Frohe Weihnachten!", riefen meine Schwester und Fabi im Chor, als ich verschlafen die Treppe runter getrottet kam.

Erst konnte ich diese Nacht nicht einschlafen, da ich damit beschäftigt gewesen war mir auszudenken, wie Nate mir verzeihen würde und dann hatte ich Albträume, dass er eben das nicht tun würde, egal was ich zu sagen hatte.

„Frohe Weihnachten", nuschelte ich mies gelaunt, denn die Wahrscheinlichkeit, dass Nate mich auch wieder wollte war sehr klein.

Er war jetzt noch stärker als früher in diesem Beschützer-Wahn.

Und wenn seine Gefühle für mich nicht stärker waren als dieser Wahn, dann würde er mich nicht mal anhören.
Meine Hoffnungen setzte ich in das Treffen mit unseren Freunden, aber ob er da auftauchen würde bezweifelten alle, das wusste ich.

Schnell übergab ich Fabi und Blue ihre Geschenke von mir, ein Armband für meine Schwester und ein Buch, was sich Fabi von mir gewünscht hatte.

Ich hatte mir dieses Jahr nichts gewünscht, weshalb mir beide irgendwelche Gutscheine schenkten.
Gutscheine waren toll, man konnte sie immer gebrauchen und sie bewahren, bis man sie brauchte und trotzdem waren sie schöner als Geld.

Es war bereits zwölf Uhr mittags und um 15 Uhr würde ich auf meinen Rollschuhen losfahren zu Marco und Amara.

Gemütlich brunchten wir.
Meine große Schwester hatte vorgestern viel zu viel Essen gekauft, das wir nun in uns reinschlangen, während klassische Weihnachtsmusik im Hintergrund dudelte.

Ich hatte Blue kurz nach meiner Ankunft natürlich beichten müssen, dass wir nur halb verwandt waren, wenn das überhaupt die richtige Bezeichnung dafür war.

Ich wollte ja nicht so sein wie Nate, der sowas wochenlang verschwieg.

Meine Angst war, dass sich was zwischen ihr und mir ändern würde, aber im Nachhinein ergab dieser Gedanke überhaupt keinen Sinn und das machte sie mir auch sofort deutlich.

Sie war sogar froh, dass ich keine Verbindung zu Sebastián hatte, aber so war es nicht.
Ich wuchs bei ihm auf, er erzog mich, er war mein Vater für mich.
Auch wenn er ein absoluter Arschloch-Vater war.

„Hast du unseren Großeltern jetzt mittlerweile verziehen, Niñeta?", fragte Blue, während sie mir etwas Obst auf den Teller schaufelte.

Ich fiel ja angeblich bereits von den Knochen, weshalb mich Blue, seit ich bei ihr wohnte mästete.

„Ja.
Ich habe Nate ja auch verzeihen, nur...
Ich weiß nicht, Dylan meinte gestern, also er hat mir klar gemacht, dass Nate nur gelogen hat, als er meinte er würde nichts für mich fühlen.
Nur weiß ich nicht ganz genau, ob ich das glauben soll.
Ja, es ergibt Sinn, aber das glaube ich ja auch nur, ich weiß es nicht.
Ich kenne ihn seit wann? Vier Monaten?", gab ich zu.

Jaja, ich redete nur so, weil ich Angst hatte wieder verletzt und weggestoßen zu werden, aber was sollte ich tun?
Ich war halt vorsichtiger als vorher.
Misstrauischer, das war mein gutes Recht.

„Lila.
Kein Mann, der eine Frau nicht liebt organisiert eine riesige Party für sie und kauft ihr eine Hütte.
Kein Mann, der eine Frau nicht liebt rast für sie zum Flughafen und springt ins Flugzeug um bei ihr zu sein."

Kein Mann, der eine Frau nicht liebte fängt sich eine Kugel für sie ein..

Mit gerunzelter Stirn sah ich Fabi an.
Er hatte ja Recht.
Langsam fragte ich mich, wieso ich Nate dieses Gerede von wegen „alles war nur ein Test" auch nur für eine Sekunde abgekauft hatte!

Ich war super leichtgläubig, vor allem wenn es und Dinge gegen mich ging.

„Apropos deine Großeltern, es tut mir schrecklich leid Liebling, aber ich werde wahrscheinlich doch nicht mit können.
Ich habe heute morgen spontan noch einen Auftrag bekommen.
Ich mach's wieder gut, ja?", berichtete Fabi, dann woraufhin Blue bloß lächelnd seine Hand nahm und ihn beruhigend ansah.

Wie konnte man so eine perfekte Beziehung führen?!

„Schon okay, mein Schatz.
Ich weiß nur nicht, was wir jetzt mit deinem Ticket machen sollen.", überlegte sie, ehe sie mich ansah.
Nate...?
Nein. Niemals.
Er würde mir doch eh nicht zuhören.

Seufzend kaute ich weiter auf meinem Brötchen herum.

„Willst du immer noch in Cancun bleiben, Hermanita?", fragte Blue schmunzelnd, während ich auf einem Stück Mango herum kaute und langsam den Kopf schüttelt.

Nathaniel Brown war nicht der Einzige von uns beiden, der Fehler gemacht hatte und er war definitiv nicht der Einzige, der sich entschuldigen musste.

Ich weiß, meine Stimmungs- und Sinneswandel waren wirklich schwindelerregend.

Ich wusste nur nicht, wo er war.
Ich hatte ihm geschrieben, wo er war, aber die Nachricht wurde nicht mal zugestellt.
Hatte er sein Handy mal wieder weggeworfen?

Deshalb hoffte ich ja so, dass er bei Marco auftauchen würde.

Ich konnte das Treffen gar nicht abwarten, weshalb ich alles tat, um die Zeit schneller vergehen zu lassen.

Ich half beim Aufräumen, beim Abwaschen und ich räumte sogar mein Zimmer auf!
Ich packte einen Rucksack, damit ich nicht diese Nacht noch packen musste, oder morgen früh, denn wir mussten schon um sieben am Flughafen sein.

Dann verbrachte ich eine halbe Stunde damit, mein Outfit auszusuchen.
Ich zog mir am Ende eine grüne Lederhose an und einen Crop-Kaputzenpullover in Rot, auf dem ein Elf abgebildet war, dessen Mütze grün leuchtete.

Ich liebte diesen Pullover!

Haare und Make-up ließ ich so wie immer, denn für meine Freunden würde ich mir niemals die Mühe machen mich aufzudonnern.
Sie sollten mich ja nett finden und nicht hübsch.
Naja, hübsch auch, aber nicht als Hauptsache!

Punktgenau um halb drei schlüpfte ich in meine Rollschuhe, brüllte durch die Wohnung, dass ich gegen zehn "oder so" zurück wäre und fuhr anschließend ganz langsam los.
Meine normalen Schuhe hatte ich mir an den Rucksack gebunden, in dem ich meine ganzen Geschenke verstaut hatte.
Sogar eins für Nathaniel war dabei.

Ich kam immer zu spät, einmal in meinem Leben pünktlich oder gar zu früh kommen glich das doch aus, nicht?

Die Temperaturen draußen waren noch relativ schön, bestimmt zehn oder zwölf Grad, weshalb es ziemlich angenehm war.

Ob es nun Schicksal war oder Zufall, entdeckte ich kurz vor dem Studentenheim den Briten über den Sandweg neben dem Bach spazieren.

Eine nicht angezündete Zigarette zwischen den Lippen und seine Hände in den Hosentaschen.

Ich hätte jetzt seinen Namen ganz laut brüllen können, doch alles was ich tat wahr schneller fahren.
So fuhr ich auch über den Übergang mit Kurve von gepflastertem Weg zum Sandweg.

Dabei vergaß ich natürlich komplett, dass Rollen im Sand nicht fuhren sondern stecken blieben.

Genau das passierte nämlich und aufgrund meiner hohen Geschwindigkeit fiel ich nicht nur hin, sondern flog einige Meter, direkt Richtung Wasser.

Oh, ich bekam ein Déjà-vu.

Doch statt eiskaltem Wasser, was der Bach Ende Dezember sicherlich hatte, spürte ich Arme um mich herum und einen warmen Atem auf dem Gesicht.

A heart's desiresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt