57 | Absolut nichts

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24.10.2019, Journal von Nathaniel Brown

„Fuuuuuuuck!", brüllte ich voller Wut und Trauer und Verzweiflung, als ich meine einzige Chance auf Glück in einem Taxi davon fahren sah.

„Nate, du-"

„Halt die Fresse, Marco.", knurrte ich voller Wut und vergaß dabei bereits fast, dass ich die Worte gerade gesagt hatte.

Es war nicht mal geplant, es kam einfach aus mir heraus.
Aber es war die Wahrheit. Die Wahrheit, die ich nun endlich nicht mehr verstecken wollte und jetzt war Lila weg.

„Nate, gib ihr Zeit zum trauern.
Sie hat jemanden verloren, der ihr wirklich, wirklich wichtig war.", versuchte dieser Idiot weiter, doch ich hörte ihn nur ziemlich beiläufig zu.

Eine Hälfte von mir brannte darauf, sie zu suchen und sie dazu zu bringen, bei mir zu bleiben.
Doch die andere, die vernünftige Hälfte, zwang mich, hier zu bleiben, damit ich Lila nicht noch mehr schadete.

Ich war absolut verzweifelt.
Alle verließen mich.
Mein Bruder war tot. Wir hatten nie wirklich viel Kontakt, bis wir Sechzehn waren, kannten wir uns gar nicht, aber es war mir trotzdem wichtig.

Und Lila.
Das einzige Mädchen, dass mich jemals seelisch berührt hat, war auch weg.

Nun, und alle, die noch da waren, waren in Gefahr.
In Lebensgefahr.

Jetzt musste ich noch dringender als sowieso schon herausfinden, wer hinter der ganzen Sache hier steckt.
Vielleicht würde mir Lila dann auch wieder vertrauen? Womöglich. Hoffentlich...

Als ich mich wieder etwas gefangen hatte, drehte ich mich entschlossen zu Marco.

„Organisiere ein Treffen in deinem Restaurant, in einer Stunde.", befahl ich Schroff und lief zurück in seine Wohnung, um meinen Rucksack zu holen.

Da das alte Zimmer von Chris und mir natürlich untersucht wurde, stieg ich auf meine Harley und fuhr los in den Wald.

Eine halbe Stunde später stand ich seufzend vor der Waldhütte und betrachtete sie, ehe ich die Tür aufschloss und reinging, um kurz darauf das Licht anzumachen.

Es tat verdammt weh, alles zu sehen.

Seht ihr? Deshalb habe ich mich nie auf die Liebe eingelassen. Sie zerstört jeden, der an sie glaubt, bis man nur noch zerbrochen am Boden liegt.

Aber leider verliebt sich jeder mal.
Einer der Flüche des Menschseins.

Ich ließ meine Augen einmal durch den Raum gleiten.
Ich stellte mir Lila vor, wie sie mit strahlenden Augen und breitem Lächeln Geschenke auspackt, oder sich in diesem Kleid dreht.
Diese Hütte war nicht für mich vorgesehen.
Sie war für sie und mich.

Doch zur Zeit hatte ich keinen anderen Ort, weshalb ich meinen Rucksack aufs Bett warf und mich danach wieder auf den Weg zurück machte.

Pünktlich eine Stunde später stand ich vor Marco's Restaurant.
Die Aufschrift  "geschlossen" auf dem Schild, das an der Eingangstor baumelte, beachtete ich nicht, weshalb ich sofort eintrat.

Soweit ich das richtig sah, waren bereits alle da und saßen um den Tisch in der Mitte herum.

Die Jungs sprachen mir alle ihr Beileid aus, bis ich mich gesetzt hatte.
Ich hatte keine Zeit mehr, für irgendwelche Trauer oder gar Beerdigung.
Ich musste den Rest in Sicherheit bringen, zumindest einigermaßen.

„Wir können uns keine Zeit mehr lassen. Zwei Menschen sind tot und wir können nicht zulassen, dass diese Amateure aus Europa uns so einschüchtern und wahllos Leute von uns töten.
Die Toten müssen gerächt werden und wir müssen diese anderen alle loswerden und wenn ich jedem Einzelnen dafür eine Kugel zwischen die Augen drücken muss."

Ich war bisher einer der wenigen, die noch niemanden wirklich bewusst unangebracht haben, doch ich war dazu bereit. Jederzeit.
Auch, wenn mich Lila dafür hassen würde.

„Was planst du, zu tun?", fragte Logan, dessen Augen nach wie vor rot und geschwollen waren.
Natürlich lag gerade ihm das mit der Rache besonders am Herzen.

Ich hatte bisher noch für keinen, außer Lila, Mitleid empfunden aber jetzt konnte ich Logan verstehen.
Wenn Lila sterben würde...

„Das Problem ist, dass wir nichts gegen sie in der Hand haben und ihnen auch nichts bieten können.
Wir können sie also nicht bedrohen und auch nicht mit ihnen verhandeln.
Sie wollen keinen Kompromiss, sie wollen uns vertreiben.", erklärte ich seufzend und gefrustet, denn es war aussichtslos.

„Was sollen wir tun, Nate? Kapitulieren?", fragte Chuck entgeistert, woraufhin ihm Marco etwas in die Seite stieß.

„Was willst du tun? Warten, bis sie uns alle nach der Reihe abgeschlachtet haben? Sie kennen uns. Ich weiß nicht, woher sie uns kennen, aber sie kennen jeden einzelnen von uns und jeden, den wir lieben und so werden sie auch jeden töten.
Und wir kennen niemanden. Wir können niemanden bedrohen."
Marco hatte Recht.
Aber das war nach wie vor keine Lösung.

„Also was sollen wir tun?", fragte Michael und schaute mich, genauso wie nun auch alle anderen, fragend an.

„Nichts natürlich.", meinte Dylan dann plötzlich schulterzuckend und lehnte sich entspannt, viel zu entspannt, zurück.
Irritiert blickten wir ihn an.

„Ja, was?! Wir sind am Arsch."

Er hatte Recht.
Aber wir konnten verdammt nochmals nicht einfach Nichts tun!

„Verdammt, Dylan!", wütend schlug ich mit meiner Faust auf den Holztisch um wenigstens eine Winzigkeit der Aggressionen in mir loszuwerden.

„Willst du sterben?!
Das werden wir nämlich, wenn wir nichts tun!
Wir brauchen verdammt nochmal einen verfickten Plan!
Was ist mit euch?! Hat keiner eine Idee?! Habt ihr euch alle eure beschissenen Kifferhirne weggepustet?", brüllte ich und sah wütend in die Runde, doch die Jungs blieben still.

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