88 | London Eye

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27.12.2019, Lilas fantastisches Tagebuch

„Das eben hast du vorhin beim Tagesplan aber ausgelassen.", rief ich grinsend und immer noch völlig aus der Puste.

Tief und leise lachend drückte der Brite mir einen Kuss auf die nackte Schulter, während er meinen BH schloss.

Ich konnte bereits jetzt schon wieder gewisse Schmerzen im Unterleib spüren.
Nate hielt sich auch nicht gerade zurück.

„Ich liebe dich.", flüsterte er dann noch, ehe er mich umdrehte und mir mit seiner großen Hand über die Wange streichelte.
Mein Gott, war ich verliebt in diesen Mann.
Und auch wenn das schon eine Weile, eine ganze Weile so war, hörten sich diese drei Worte immer noch merkwürdig an.
Merkwürdig schön.

Genauso wie seine Zärtlichkeiten.

„Ich liebe dich auch.", murmelte ich schmunzelnd und zog mich dann endlich an, denn trotz der Schmerzen im Unterleib wollte ich London unbedingt sehen.

Wir spazierten tatsächlich bis zum Einbruch der Nacht noch durch die wunderschöne Hauptstadt Englands.

Nate zeigte mir so viel er konnte, was gleichzeitig hieß, dass der Kerl mich regelrecht von Ort zu Ort zerrte und ich manche Sachen gar nicht in Ruhe ansehen konnte.

„Nate! Meine Füße tun weh, ich kann nicht mehr!", quengelte ich völlig fertig.
Seit fünf Stunden jagte mich dieser Irre durch die große Stadt.

„Nur noch das Eine hier, heul' nicht immer rum!", rief der Brite schmunzelnd über seine Schulter und zog mich weiter stur hinter sich her.

Der Blödmann hätte mich auch ruhig mal tragen können, aber auf die Idee kam er nicht.

„So, du nörgelnde Ziege.
Wir sind da."

London Eye.
Hätte ich mir auch denken können.

Misstrauisch aber auch grinsend betrachtete ich das wahrhaft riesige Riesenrad.

„Hast du Lust?", flüsterte der Brite schmunzelnd hinter mir stehend in mein Ohr.

Das wäre bestimmt sehr romantisch geworden.

„Bist du bescheuert?
Willst du mich umbringen?", rief ich erschrocken.
Ich mochte Höhe nicht und ich hatte Angst vor Riesenrädern.

Perplex sah mich Nate an.
Ja.
Ich zerstörte immer romantische Ideen von ihm, aber ich wollte das echt nicht.

Der Brite ließ sich zum Glück von meinem Gemecker nicht beirren und zog mich grinsend
mit sich zum Eingang.

„Da drin sind schon Millionen von Menschen gefahren und keiner ist bisher gestorben.", rief er über seine Schulter und kaufte zwei Tickets die absolut übertrieben überteuert waren.

„Weißt du das?
Oder tust du nur so?!
Hast du Nachrichten gelesen?
Es kann so viel passieren.", erklärte ich meine Angst.

Ich könnte runterfallen, also diese Kapsel könnte sich lösen und runter fallen.

Wir könnten stehen bleiben und nie wieder runterkommen!

„Lila. Jetzt fahr dich mal runter.
Es passiert nichts.", meinte Nate dann wieder komplett ernst und zog mich in einen dieser riesigen Wagons.
Wir hatten einen für uns.
Sehr sehr sehr selten, aber zu zweit in dem Teil ging es langsam.

Ich versuchte mich runterzufahren, mich auf die Aussicht zu konzentrieren und hielt mich dabei weiterhin ziemlich unsicher an einer Metallstange fest.

„Man du Schisser.
Es ist doch alles gut."
Nun begann der Brite zu lachen.
Er stand völlig entspannt angelehnt an das Gerüst dort und hatte die Arme trotzig vor der Brust verschränkt.

„Komm her.", ergänzte er dann, öffnete die Arme und ich lief schnell zu ihm.
Bei ihm fühlte ich mich wenigstens sicher, zumindest ein kleines bisschen.

Die Fahrt war doch toller als gedacht, auch wenn dieses ängstliche Gefühl nicht ganz weg ging.

London von oben zu sehen und das nachts war atemberaubend und ich kann das nur jedem empfehlen.
Die Lichter, das aufregende Nachtleben und trotzdem die vollkommene Ruhe in diesem Wagon.

Während der ganzen Fahrt hatte ich tatsächlich nichts gesagt und Nate auch nicht.
Er hatte mich im Arm und wir hatten beide rausgesehen.

Still schlenderten wir dann auch zurück zu Adrian's Haus.
Ich hatte meine Hände in die Jackentaschen gesteckt, da es absolut kalt war, nach wie vor.
Nate hatte mir eine Jacke von sich geliehen, eine Winterjacke.
Trotzdem war ich diese Temperaturen nicht gewöhnt.
-

„Und? Wie war der Ausflug?", fragte Adrian lächelnd während wir ihm beim kochen halfen.
Eigentlich half ich und Nate stand daneben und aß die Zutaten, die war später auf die Pizzen legen wollten.

„Sehr kalt.", erzählte ich lachend, woraufhin auch der ältere Herr zu lachen begann und langsam nickte.

„Ja. London ist kühler als Dallas.
Apropos.
Wie geht's eigentlich Dylan?"

„Gut.", antwortete Nate bloß schlicht.
Ja, wie ging's Dylan eigentlich?
Wusste das wer? Dylan war irgendwie immer normal oder mies drauf.
Hieß normal gut?

„Und Lila? Wie gefällt's dir eigentlich auf dem College? Freunde gefunden?", fragte der Ziehvater meines Freundes fürsorglich.
Er fragte die Frage die ich gerne von meinem Vater damals gehört hatte, wenn ich aus der Schule kam.

„Joa, mir gefällt's schon ganz gut.
Und Freunde habe ich auch schnell gefunden, mehr oder weniger dank Nate.
Ich hatte einen besten Freund.", murmelte ich und sofort sank meine Stimmung auf den Nullpunkt oder sogar unterhalb des Nullpunktes.

An Cody erinnert zu werden beziehungsweise mich selbst an ihn zu erinnern traf einen sehr wunden Punkt in mir.

Der Punkt war sogar so wund, dass es mir wieder zum heulen zumuten war und Nate, der das natürlich wusste nahm mich von hinten vorsichtig in den Arm.

Adrian verstand den Wink, lächelte mich mitleidig an und nickte Nate anschließend zu, der mir das Messer aus der Hand nahm und mich anschließend nach oben zog, sodass wir wieder unter uns waren.

„Bist du ok?", fragte Nate sofort, nachdem er die Zimmertür hinter sich verschlossen hatte.
Kurz atmete ich tief durch.
Ich hatte eigentlich keine Lust über all das zu reden, an Cody erinnert zu werden.
An Cody erinnert zu werden erinnerte mich nämlich auch an alles andere.
Thomas, diese Lagerhalle, dass mein Freund Menschen erschossen hat!
Ich verabscheute Nate dafür und gleichzeitig liebte ich ihn fürchterlich und hoffte einfach nur inständig, dass er so nicht mehr war.

Aber jetzt nichts zu sagen würde mir auch nicht helfen.
Cody war tot und das konnte man nicht ändern.

„Ja. Schon.
Er fehlt mir, Nate.
Er war ... er ist mir sehr wichtig.
Ich meine, vermisst du Christian denn nicht?
Du sprichst nie über ihn.", bemerkte ich murmelnd.
Ich kannte Nate's Bruder nicht, wirklich gar nicht und ich wusste auch, dass sie sich nicht wirklich nah gestanden haben.

„Natürlich fehlt er mir.
Ich rede nur nicht drüber, ich rede generell nicht gern über meine Gefühle, das weißt du doch.", flüsterte Nathaniel übertrieben fürsorglich.
Also eigentlich normal fürsorglich, aber bei meinem Freund war das übertreiben.

„Sie hatten das beide nicht verdient."
Und dann fiel mir ein, dass Christian Nate und die anderen verraten hatte, wie mir Thomas erzählt hatte.

Vom eigenen Bruder verraten.
Und ich hatte es Nate noch gar nicht gesagt!

„Verdient nicht, aber Chris hat sich einfach für die falsche Seite entschieden.
Er hätte Thomas nicht helfen sollen.", überlegte Nate laut, woraufhin meine große Klappe wie auf Knopfdruck hinunter fiel.

Nate wusste davon?!

„Ja.
Er hat-"

„Ich weiß.", unterbrach ich ihn seufzend.
„Thomas hat es mir erzählt, aber dann ist so viel dazwischen passiert, dass ich es immer vergessen hatte.", murmelte ich beichtend, woraufhin Nate bloß stumm nickte und mir weiter langsam über die Schulter strich.

Er hielt mich.
Im übertragenen Sinne aber auch wortwörtlich.

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