Sieben

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Freedom

Mit schnellen Schritten husche ich durch den Gang und in mein gemeinsames Zimmer mit Hugo.

Zwar gäbe es in dieser Festung mehr als genug Zimmer, die noch leer stehen, sodass wir in getrennten Räumen hätten schlafen können - allerdings war das von Anfang an keine Option für uns, weder Hugo noch mich.

Zwar hätte man die Augen verdrehen, das Gesicht verziehen, und uns eine Standpauke über Anstand und Schicklichkeit halten können, aber nicht nur befinden wir uns in einem Krieg, sind Teil des Vorstands unserer kleinen Armee und haben somit jedes Recht, unsere Beziehung nach außen hin offen zur Schau zu stellen, nein, wir haben außerdem beide nicht allzu viel für Regeln und die Hofetikette übrig.

Ich habe kurz nach unserem Sieg - und damit nach Snows Zusammenbruch - in diesem Gebäude einen kleinen Beutel mit dem Nötigsten gepackt, sollten wir schnell aufbrechen müssen. Ebendieses Bündel wird als mein Reisekoffer dienen - ich muss ihn nur aus seinem Versteck holen und dann ungesehen aufbrechen. Niemand soll wissen, wo ich bin, wann ich losgezogen bin - eine reine Sicherheitsmaßnahme, sollte es Spione in unseren Reihen geben. Mein Herz schreit mich zwar an, dass ich diesen Menschen hier trauen kann, und niemand von ihnen auch nur im Traum daran denken würde, uns zu hintergehen, aber... diese Denkweise wäre naiv. Leichtsinnig. Und ich habe nicht vor, einen Fehler zu machen, den ich im Nachhinein bereuen werde.

Aber ist das hier nicht vielleicht der Fehler? Einfach zu verschwinden, Hugos Besorgnis in den Wind zu schlagen, und stur alleine voran zu preschen?, fragt eine leise Stimme in meinem Inneren. Ungünstiger Weise genau in dem Moment, in dem Hugo durch die Tür hereinstürmt, und ich die wenigen, losen Ziegelsteine aus dem Boden hebe, unter denen sich ein kleines Fach befindet - gerade groß genug für den Rucksack.

"Du gehst nicht", zischt Hugo hinter mir, während ich leise unter dem Gewicht der Steine ächze. Er bewegt sich nicht von der Tür fort - dem einzigen Ausgang aus diesem Raum.

"Das liegt nicht in deiner Hand", entgegne ich und hebe weiterhin Stein für Stein, die ich neben mir auf dem Boden ablege. "Die Mehrheit unserer Platineinheit hat abgestimmt. Es steht bereits fest." Ich kann spüren, wie er die Fäuste ballt, wie sein gesamter Körper vor Wut zittert, ohne, dass ich den Kopf drehen müsste.

"Und wie das in meiner Hand liegt!", braust Hugo auf. "Ich werde dich einfach nicht durch diese Tür gehen lassen!" Demonstrativ verschränkt er die Arme und stellt sich breitbeinig auf - kampfbereit. Seine Augen blitzen in ihrem wunderschönen, wirbelnden Silber auf, und fordern mich heraus, es nur zu gern zu versuchen - oder zumindest stelle ich mir vor, dass sie angesichts seines Gemütszustands so aussehen.

Ein bitteres Lachen entsteigt meiner Kehle. "So langsam frage ich mich, wer von uns beiden die jüngere Person ist. Denn gerade eben verhältst du dich viel eher wie ein kleines, trotziges Kind, dem man das Spielzeug weggenommen hat, denn wie ein altersloses, tödliches Wesen, bei dem niemand weiß, wie alt es eigentlich ist", teile ich ihm meine Gedanken mit spöttischem Unterton mit.

Er zuckt hinter mir zusammen. Der Kommentar hat gesessen. Ich versuche nach Kräften das zappelnde Ding in meiner Brust zu ignorieren, das bei seiner Reaktion zu schreien beginnt. Mein Herz, wie ich schnell erkenne.

"Meine Entscheidung steht fest", füge ich hinzu. "Ich werde gehen - und wenn du mich nicht durch die Tür lässt, dann springe ich eben aus dem Fenster." Es wäre ein gewagter Sprung - aber ich meine es ernst. Im besten Fall würde der Schnee draußen meinen Fall abmildern und ich mir nur einige Prellungen zuziehen. Im schlimmsten Fall... Ich zwinge mich, nicht daran zu denken.

"Das würdest du nicht tun", entgegnet Hugo, aber ich kann in seiner Stimme die Unsicherheit hören. Er weiß genau, dass ich es riskieren würde - wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt habe, kann mich niemand davon abringen. Nicht einmal er - auch, wenn mein Herz mich noch so sehr anfleht, bei ihm zu bleiben, und ihm nicht weiter zuzusetzen. Die einzige Person, die mich umstimmen könnte, wäre Snow - und sie ist derzeit nicht in der Lage, auch nur den kleinen Finger zu rühren.

Mittlerweile liegt das Fach frei und damit auch der Rucksack, in den ich Vorräte (getrocknete Früchte und Nüsse), eine Wasserflasche, Ersatzkleidung, sowie zwei Dolche, eine Decke und ein Seil gepackt habe. Den Rucksack habe ich in einem der Zimmer gefunden, als wir nach unserer Ankunft hier die Räume inspiziert und gesammelt haben, was wir finden konnten.

Es gibt immer noch mehrere Zimmer und Flure, die wir nicht einmal betreten haben, aber ich habe keine Ahnung von den genauen Ausmaßen - um die Sammelaktion kümmert sich Cheri. Oder zumindest versucht sie es, da der Großteil unserer Truppen noch immer unter Schock steht durch den Angriff der Uman.

Ein Teil von mir erzittert ebenfalls immer noch bei der Erinnerung daran. Snow hat mich beschützen wollen, aber ein Uman hat sich von hinten angepirscht und mich von ihr fort gezerrt, gerade, als wir Cheri gefunden hatten.

Ich erinnere mich noch daran, wie mich das Wesen mehrere Gänge von Snow und Cheri entfernt zu Boden geworfen und die Finsternis gerade so sehr gelockert hat, damit ich seine Gestalt sehen konnte, und mit ihm den lauernden Tod, der durch die vergifteten, spitzen Zähne in dem aufgerissenen Maul auf mich gewartet hat... Aber bevor es so weit kommen konnte, hat mich Hugo gefunden. Er hat das Wesen mit seinem Quecksilber ertränkt und mich gerettet.

Ich spüre, wie etwas in meinem Inneren nachgibt und meine Knie weich werden. Hugo hat mich gerettet. Und ich bin kurz davor, alles zunichte zu machen, weil ich noch nicht einmal versuche, ihm meine Gründe darzulegen. Ihm zu zeigen, zu erklären, warum ich gehen muss.

Unangetastet lasse ich den Rucksack offen auf dem Boden liegen, genauso wie das Geheimfach, und drehe mich mit zitternden Beinen zu ihm um. Das ist das erste Mal, dass ich ihm ins Gesicht sehe, seit ich aus dem Beratungssaal gestürmt bin - und der Anblick droht mich wie erwartet von den Füßen zu reißen.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt