Siebenundsechzig

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Linus

[Diese ist ein klein wenig blass geworden, hält jedoch verkrampft ihr schmales Lächeln aufrecht. Offenbar hat sie Lia gehörig unterschätzt. "Naja, das hätte ja wohl jeder noch irgendwie hinbekommen, der auch nur ansatzweise mit einer Waffe umgehen kann", verdreht sie die Augen und faltet die Hände im Schoß. Ihre Stimme zittert kaum merklich.]

Es ist totenstill.

"Der nächste!", befiehlt Iane harsch und schnippt mit den Fingern.

Lias Blick fliegt sofort zu dem Tor, das wieder hochgezogen wird - und im nächsten Moment hechtet sie auch schon zur Seite.

Eine Art Echsen-Bulle, ein Untier mit lederner, geschuppter Haut, leuchtend grünen Augen, einem Echsenschwanz und monströsen Hörnern, stürmt herein. Der Boden bebt, so schwer ist das Wesen. Der vordere Teil sieht dem eines Bullen ähnlich, doch der Hintere eher einer Echse - wobei das Maul wieder dem eines Raubtiers ähnelt.

Woher zum Teufel bekommen Iane und der König nur all diese widerlichen Monster? Ich traue ihnen zu, diese Wesen selbst zu schaffen, aber besorgniserregend ist es dennoch. Wenn sie welche für Arenakämpfe entbehren können, wie viele von ihnen stehen dann zur Verfügung? Wie viele befinden sich in ihrem Heer, wie viele werden sie in Snows Krieg einsetzen?

Das Untier verhält sich wie ein Bulle - es stürmt ungelenk und blind vor Wut auf Lia zu, um nach jedem Sturmangriff zu wenden und wieder voranzustürmen. Lia versucht zwar auszuweichen, doch es fällt ihr sichtlich schwer mit der Geschwindigkeit mitzuhalten - zumal ihr Fuß noch immer angekettet ist. Sie hat kaum Bewegungsfreiheit, auch wenn sie diese optimal zu nutzen versucht.

Die Lanze in ihrer Hand wirkt wie ein Zahnstocher im Vergleich zu diesem Mistvieh. Wie um alles in der Welt sollte sie das Ding damit töten können?

Die Antwort bekomme ich keine Minute später.

Lia ist nicht nur sehr schnell und stark und geschickt, sie ist auch sehr klug.

Als das Wesen das nächste Mal auf sie zustürmt, hechtet sie so schnell und weit zur Seite, dass sich die Kette zu einer Art Stolperdraht spannt - und das Wesen stolpert tatsächlich darüber. Es ist so schwer, dass die Kette zerbricht und den Pfahl dabei noch mitreißt - der daraufhin mit einem lauten Knall auf den Kopf des Wesens kracht. Ein lautes Knirschen ertönt und ich kann sehen, wie das Licht in den Augen des Echsen-Bullen erlischt - er ist tot.

Und Lia ist jetzt frei. Sie stürmt auf Iane zu und wirft die Lanze noch in der Bewegung mit aller Macht auf Iane. Wie ein übergroßer Pfeil fliegt die tödliche Waffe zielsicher auf Iane zu, doch im nächsten Moment spritzt etwas Schwarzes auf.

Hektisch blinzle ich und schaffe es sogar, leicht zusammenzuzucken, als der Schwall schwarzen, modrigen Blutes auf meinen Körper spritzt. Die Spitze der Lanze ist nur wenige Zentimeter von Ianes Gesicht entfernt, und nun ist sie tatsächlich leichenblass. Die Waffe steckt jedoch im Körper eines Uman, der sich in letzter Sekunde dazwischen geworfen zu haben scheint.

Lia achtet nicht darauf, stürmt noch immer auf Iane zu und ich weiß: Ob mit oder ohne Waffe, sie wird sich auf Iane stürzen und sie umbringen.

Zumindest hätte sie das wohl getan, aber im nächsten Augenblick bleibt sie schlitternd stehen, der Mund verkniffen. Zuerst begreife ich gar nicht, warum Iane plötzlich lächelt und Lia mich anstarrt, aber dann sehe ich ein Aufblitzen aus dem Augenwinkel - Iane hält mir ein Messer an die Kehle.

"Bis hierhin und nicht weiter", schnurrt Iane um einen heiteren Tonfall bemüht. "Du erinnerst dich doch sicher noch an unsere Abmachung", grinst sie und blickt zu mir, "Gewinne die drei Runden in der Arena und ich lasse euch beide mit sofortiger Wirkung gehen - ohne Konsequenzen, ohne Hinterlist."

Mein Herz setzt einen Schlag aus, und beginnt dann zu rasen. Frei? Wir könnten frei sein! Aber...

Ich drehe Ianes Worte hin und her, versuche den Haken darin zu entdecken, die Falle, aber ich kann nichts finden. Das Angebot scheint zu gut um wahr zu sein, aber ich finde beim besten Willen nichts, das uns in den Rücken fallen könnte.

Außer: Was geschieht, wenn Lia einen Kampf verlieren sollte?

Meine Fantasie zeigt mir die unzähligen Szenarien, wie das hier ganz, ganz übel ausgehen könnte, und mein Magen verkrampft.

"Tritt zurück oder unsere Abmachung ist mit sofortiger Wirkung nichtig und du siehst deinen Freund nie wieder", schmunzelt Iane siegessicher.

Zögernd gehorcht Lia, und man kann ihr ansehen, wie viel Hass und Zorn in ihr brodelt, und wie sehr es ihr gegen den Strich geht, auf Iane hören zu müssen. Aber in diesem Fall sitzt sie schlicht und ergreifend am längeren Hebel.

Lia hält meinen Blick fest, sucht in meinen Augen nach einem stummen Hinweis, einer Versicherung, irgendetwas.

Stumm. Das Wort bleibt in meinem Kopf hängen - und im nächsten Moment fällt bei mir der Groschen. Stumm - eine stumme Kommunikationsform. Die Zeichensprache, die Lia mich gelehrt hat.

Ich blinzle betont einmal - ein stummes Ja. Wir müssen nach ihren Regeln spielen.

Lia schneidet eine Grimasse, und ich kann ihre Gedanken in ihrem Gesicht ablesen: Ich hasse das. Ich hasse sie. Das hier gefällt mir ganz und gar nicht.

Wir haben keine andere Wahl, versuche ich ihr mit einem eindringlichen Blick einzuschärfen.

Sie blinzelt betont einmal. Sie ist nicht zufrieden mit dem Ganzen - aber sie sieht ein, dass sie sich damit abfinden muss.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt