Siebzig

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Snow

"Da wir nicht viele Ressourcen zur Verfügung haben, müssen wir sparsam sein. Wir haben in diesem Gefecht glücklicherweise keine Verluste erlitten, aber wir müssen dennoch aufpassen. Deswegen schlage ich diese Route vor...", erklärt Lucien gerade mit fester Stimme und deutet auf eine Passage auf der Karte, die sowohl Luna als auch Sol zeigt.

Ich lehne im hinteren Teil des Zeltes mit verschränkten Armen an meinem Schreibtisch und sehe gebannt zu, wie souverän Lucien die Sitzung leitet. Er ist in solchen Dingen so viel besser als ich. Eifersüchtig bin ich darauf nicht - ich bin froh, dass ich eine Niete in solchen Dingen bin, sonst würde man noch viel mehr von mir erwarten -, aber es bereitet mir sehr wohl Sorgen.

Was ist, wenn Lucien gefallen daran findet?

Was ist, wenn er sich hierfür entscheiden wird - für das Regieren, Delegieren und Koordinieren - und nicht für mich?

Was ist, wenn er mich deswegen verlassen wird?

Natürlich spreche ich diese Ängste nicht aus. Ein Teil von mir fühlt sich albern, dass ich es überhaupt in Erwägung ziehe, dass Lucien so etwas tun könnte. Dieser Teil von mir ist Hals über Kopf in ihn verliebt und hegt nicht den geringsten Zweifel an seiner Liebe.

Aber dann ist da noch dieser andere Teil in mir - dieser paranoide Teil von mir, der nicht vergessen kann, dass Lucien bereits in der Vergangenheit beschissene Entscheidungen getroffen hat und es jederzeit noch einmal tun könnte.

Lucien hält mitten im Satz kurz inne, schüttelt dann jedoch den Kopf und fährt fort als wäre nichts gewesen.

Durch unsere Verbindung spüre ich eine Art Seufzen seinerseits, doch er sagt nichts. Hat er meine Gedanken und Gefühle mitbekommen? Er kann keine konkreten Worte aus meinem Kopf mitbekommen wenn er meine Gedanken spürt - wie wir bemerkt haben -, sondern spürt eher ein vages Gefühl in welche Richtung meine Überlegungen driften, die ich so verzweifelt vor ihm verborgen halten will. Je verzweifelter ich etwas verdränge, desto stärker tritt es auf der anderen Seite in seinem Geist auf.

Natürlich kann das problematisch sein, besonders in ernsten Angelegenheiten und wichtigen Momenten, in denen ein jeder von uns hundertprozentige Konzentration braucht - und natürlich haben wir deswegen auch schon öfter besprochen, ob wir die Ringe während der Schlachten abnehmen sollten, um nicht durch den jeweils anderen abgelenkt zu werden -, aber wir haben beide beschlossen, sie anzulassen und uns schlicht und ergreifend damit abzufinden.

Leise seufzend kratze ich einen Streifen getrockneten Blutes von meinem Arm. Es ist erst wenige Stunden her, dass wir den Hafen erobert haben. Es war eine kleine Schlacht wenn man sie mit der von Su'ul vergleicht - aber Schlacht bleibt Schlacht. Ein jeder von uns hätte da drin sterben können, aber glücklicherweise ist es nicht dazu gekommen. Wir haben alle überlebt - nicht ein einziger Verlust auf unserer Seite.

Problematisch nur, dass wir kaum jemanden bei uns haben, der Schiffe steuern kann - aber wir werden uns schon etwas einfallen lassen.

Verstohlen blicke ich wieder zu Lucien. Wir schlafen jede Nacht nebeneinander in unserem gemeinsamen Bett, aber die meiste Zeit über kommen wir zu kaum mehr. Wir haben in letzter Zeit viel zu wenig Gelegenheit, allein zu zweit zu sein.

Wir arbeiten beide hart in unserem jeweiligen Gebiet - ich am Schreibtisch, und er innerhalb unserer Reihen - und sind jede Nacht hundemüde, sodass wir nicht viel mehr tun können, als aneinander gekuschelt einzuschlafen. Ich... vermisse es. Vermisse ihn.

Und nicht nur in dem einen Sinne.

Aber heute, wo die Schlacht bereits geschlagen wurde, und wir nicht mehr jeden Tag weiter marschieren müssen... Ich starre Luciens breiten Rücken an.

Nur um daraufhin prompt sein Lachen in meinem Kopf zu hören. Nach außen hin lässt er sich nichts anmerken und diskutiert weiter mit den anderen, aber durch unsere Stimme Verbindung gluckst er amüsiert: Ich bin gerade dabei eine wichtige Besprechung abzuhalten. Deine Gedanken an seidene Laken und gedimmtes Kerzenlicht sind mir da nicht gerade behilflich.

Dann konzentrier dich doch auf deine Besprechung, strecke ich ihm stumm die Zunge heraus. 

Das würde ich gerne, also hör bitte auf mich so intensiv anzustarren, sonst ist es ziemlich schnell vorbei mit meiner Selbstbeherrschung, lacht er. Ich will nicht, dass diese alten Herren einen Herzinfarkt erleiden, weil ich sie hochkant rauswerfe um dich auf diesem Tisch zu nehmen.

Mit schmalen Augen blicke ich auf die besagten alten Herren.

Eine kleine Lektion könnte ihnen gut tun - immerhin können sie über nichts anderes schreiben als darüber, wie unsittlich, ungehörig und ungebührlich sie unsere Beziehung finden, schmolle ich. Wenn sie sich noch einmal darüber beschweren, werde ich ihnen zeigen, wohin sie sich ihre Adjektive mit U stecken können - und wie unsittlich, ungehörig und ungebührlich ich sein kann.

Lucien verschluckt sich mitten im Satz und hüstelt verlegen, während sein stummes Lachen durch unsere Verbindung schallt. 

Heute, beschließe ich, während ich mit einem vielsagenden Grinsen auf unser Bett schaue. Heute Nacht gehörst du nur mir.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt