Fünfundsiebzig

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Snow

Ich unterdrücke ein Stöhnen, während ich mir mit zusammengekniffenen Augen den Bauch halte. Die Schmerzen haben langsam angefangen, sind zunächst nur ein zaghaftes Ziehen und später ein konstantes Pochen geworden. Mittlerweile ist es ein unregelmäßiger, scharfer Schmerz, der dafür gesorgt hat, dass ich mich seitlich zu einer Kugel zusammengerollt unter der Bettdecke verkrochen habe.

Ich bin eigentlich selbst schuld. Jeden Abend hat Cheri mir eine Salbe gebracht und Kräuter für einen Tee, und durch die Kombination aus beidem habe ich nicht die geringsten Beschwerden gehabt. Heute jedoch habe ich sie lächelnd davongejagt, damit sie in Ruhe noch ein wenig mehr Zeit mit ihrer Tochter verbringen kann. Immerhin brechen wir morgen bei Sonnenaufgang das Lager ab und beginnen unseren finalen Marsch zum Schloss von Luna.

Jede Nacht verbringe ich mit Lucien. Wenn wir uns nicht gerade gegenseitig beglücken dann kuscheln wir, reden, necken uns oder starren uns einfach nur verträumt an. Klingt ziemlich kitschig, ich weiß - aber es ist Balsam für meine geschundene Seele und egal wie viel Zeit wir miteinander verbringen, ich habe trotzdem jedes Mal das Gefühl, es wäre nicht genug.

Heute habe ich auch ihn mit ein paar einfachen Tricks weggeschickt. Ein Lachen hier, ein Lächeln da, ein wenig Neckerei und ein paar Witze, und schon habe ich ihn überzeugen können, Spaß zu haben und sich keine Sorgen um mich zu machen.

Natürlich spürt er meine verborgenen Gedanken und Gefühle durch das Band zwischen uns - aber der Wunsch, er möge sich einen schönen Abend mit den anderen machen, ist übermächtig präsent und hat alles andere ausreichend kaschieren können.

In all der Zeit hat er sich rund um die Uhr um mich gekümmert. Selbst in meinen tiefsten Momenten ist er bei mir geblieben und hat mich nicht fallen lassen. Zumindest für eine Nacht soll er frei von Sorgen sein, mit den anderen Männern herumalbern und sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken können.

Die Hölle wird früh genug wieder über uns hereinbrechen, wenn die finalen Kämpfe beginnen. Es ist fragwürdig, wie lange wir alle noch so friedlich beisammen sein können - im Prinzip haben wir uns einen zerbrechlichen, kurzfristigen Frieden aufgebaut, der im Morgengrauen zerbrechen würde.

Es ist unausweichlich, dass wir Verluste erleiden, und wir alle gehen durch die Schlachten ein großes Risiko ein. Es ist gut möglich, dass wir nicht alle lebendig und unverletzt aus diesem Krieg herauskommen - überhaupt ist es schon verwunderlich, dass bisher noch niemand von uns ernsthaft verletzt wurde.

Ich weiß, das klingt hart und allein diesen Gedanken in meinem Kopf zu haben macht mich bereits nervös. Es fühlt sich an, als würde ich das Schicksal durch diese Erkenntnis herausfordern. Aber egal was geschieht - wenn sich eine Möglichkeit bieten sollte, den Verlust der anderen abzuwenden oder zumindest abzumildern, dann werde ich alles dafür nötige tun.

Und so kommt es, dass ich nun vollkommen allein in meinem Zelt liege und mich durch den Schmerz mühe, während alle anderen denken, ich sei nur müde und früh zu Bett gegangen. Eigentlich sollte ich jetzt auch da draußen sein und mit den anderen feiern, dass wir es nun schon so weit geschafft haben. Ich sollte als ihre Anführerin an ihrer Seite stehen und Trinksprüche aufsagen und mich auch nur halb so zuversichtlich geben, wie ich mich tatsächlich fühle.

"Snow?", fragt eine zaghafte Stimme.

Erschrocken reiße ich die Augen auf und beiße die Zähne zusammen, während ich mich umsehe. Die Kerze neben mir beleuchtet eine Silhouette aus dem Vorraum des Zeltes, und nur das dünne Laken zwischen uns verhindert, dass die Person mich in meinem Zustand sieht.

Soll ich einfach nur schweigen und nicht darauf reagieren? Lucien und ich haben uns darauf geeinigt, meine Schwangerschaft so geheim zu halten wie nur irgend möglich. Je mehr Menschen davon wissen desto größer das Risiko, dass jemand davon erfährt der es nicht sollte. Und offiziell schlafe ich bereits seit Stunden...

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt