Zwölf

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Lucien

Flach atmend lauere ich hinter einer Ecke. Es ist stockdunkel und still um mich herum. Ich lausche angestrengt auf ein Flattern, einen Schrei, irgendetwas, aber noch nehme ich nichts wahr. Die unnatürliche Finsternis der Uman hat sich allerdings bereits breit gemacht.

Kurz nachdem Cheri losgestürmt ist, um Hugo und Freya zu warnen, haben auch Ann, Fire und ich uns auf den Weg gemacht.

Aufgrund dessen, dass Ann mir hat irgendwie helfen müssen, als ich die Vision der Uman hatte, scheint sie geschwächt zu sein. Laut Fire ist das, was Ann gemacht hat, noch viel energieraubender als das, was sie mit Snow versucht. Aus diesem Grund haben wir uns darauf geeinigt, dass Ann auf Snow aufpassen wird, bis wir die Uman wieder vertrieben haben - sollte alles nach Plan laufen, kann Ann sich in dieser Zeit ausruhen, und sollte etwas schief gehen und die Uman sollten an uns vorbei in die oberen Stockwerke schleichen können... Nun, dann wäre Snow nicht ungeschützt.

Fire selbst hat sich auf den Weg gemacht, um ihre Schatteneinheit zu kontaktieren. Wir haben bereits im Voraus im Falle eines Angriffs eine Strategie, einen Plan, entwickelt, wie wir vorzugehen hätten.

Einige ihrer Leute werden die Uman gezielt in die Festung hineinlocken, sodass wir den Großteil von ihnen sofort mit den Spiegelscherben, die Snow bei dem ersten Angriff erschaffen hat, auslöschen können.

Die Silbereinheit unterdessen hält sich nahe des Eingangs und der Treppenaufgänge bereit, um die verbliebenen Versprengten der Uman zu erledigen.

Sollte es spontane Änderungen geben oder Probleme auftreten haben wir je ein Mitglied der Schatteneinheit zu den einzelnen Punkten gesandt, damit sie kommunizieren können.

Wer oder was auch immer diese Kinder der Schatteneinheit sind, sie besitzen einige faszinierende und äußerst hilfreiche Fähigkeiten. So wie das kleine Mädchen neben mir, das sich bereit hält, mir das Signal zum Angriff zu geben. Sie beherrscht die Telepathie - eine Fähigkeit, die es ihr ermöglicht, gedanklich mit anderen zu kommunizieren.

Andere haben ebenfalls interessante Kräfte, wie die Telekinese - Dinge bewegen -, Teleportation - das muss ich nicht erklären, schätze ich -, den Durchblick - das Durchschauen von jeglichem Material, darunter Wände -, oder Nachtsicht. Laut Fire ist ein jeder von ihrer Einheit wie Hugo: Sie brauchen kein Essen, kein Trinken, müssen dementsprechend nie die Toilette aufsuchen, und altern nicht. Sie können ihren Körper zu jedem beliebigen Alter wandeln, und ihr oberflächliches Aussehen so anpassen, wie sie wollen, wobei sich diese Fähigkeit auf Kleinigkeiten wie Haare, Augen, Münder, Nasen, usw. beschränkt.

Das Mädchen neben mir hat eine Hand auf meine Schulter gelegt - ein aus mehreren Gründen wichtiger Schritt. Auf diesem Weg müssen wir nicht reden, wir bekommen mit falls dem jeweils anderen etwas passieren sollte - und sie muss keine Angst haben. Denn auch, wenn diese Kinder der Schatteneinheit sehr viele Stärken und Vorteile haben, ändert das nichts an ihrem geistigen Alter.

Angespannt horche ich auf, als ich ein Flattern höre. Zweifelnd lege ich meine Hand auf die des Mädchens und lege den Kopf schief - etwas, das in Anbetracht der Finsternis in der wir uns befinden, albern wäre, wenn ich nicht genauestens wüsste, dass es für sie aussehen muss, als wäre es helllichter Tag. Fire hat es noch nicht geschafft mir zu erklären wie, aber irgendwie haben es die Kinder geschafft, einige ihrer Fähigkeiten in Bruchteilen auf anderen zu übertragen. Aus diesem Grund kann auch jedes von ihnen bis zu einer gewissen Entfernung telepathisch Kontakt aufnehmen.

Als sie nicht antwortet, weiß ich, dass sie genau Ersteres gerade tut: Sie leitet die Frage weiter an ihre Kameraden.

Das Flattern kommt immer näher und ich kann einen Anflug von Nervosität nicht unterdrücken. Ich vertraue Fire. Fire vertraut ihrer Einheit. Also sollte ich auch auf sie vertrauen, aber trotzdem kann ich ein gewisses Misstrauen nicht abschütteln.

Diese Gedanken verschwinden allerdings sofort wieder aus meinem Kopf, als das Mädchen ihren Druck auf meiner Schulter verstärkt. Das Signal.

Sofort lasse ich das Licht aus meinen Handflächen direkt auf die Spiegelscherbe fallen, die den Strahl zur nächsten Scheibe reflektiert und so weiter, bis sich ein wunderschönes Netz aus Lichtstrahlen gebildet hat, das vom gequälten Geschrei der Uman begleitet wird. Sie vertragen kein Licht - es verbrennt sie bei lebendigem Leib.

Kaum einen Augenblick später höre ich die Kampfschreie der Silbereinheit, die sich ins Getümmel wirft, um die restlichen Uman auszulöschen. Erleichtert drehe ich mich zu dem Mädchen um. Alles ist nach Plan verlaufen - alles, was noch bleibt, ist das Übliche morden. Beflügelt lächle ich sie an - aber sie lächelt nicht zurück.

Ihr Blick liegt in weiter Ferne und ihre Mimik wechselt von Anspannung zu Überraschung, von Überraschung zu Erleichterung, von Erleichterung zu Schock. Sie hat irgendeine unerfreuliche Nachricht erhalten.

Panik macht sich in mir breit. Unruhig packe ich sie an den Schultern und schüttle sie leicht. "Was ist los?", flüstere ich leise. Jetzt, da der Kampf in vollem Gange ist, kann ich es riskieren, zu reden - meine Stimme geht in den Schreien ohnehin unter. Sie antwortet nicht, und reißt ihre Augen nur noch weiter auf. Ihr Mund steht offen und ihr Blick irrt unstet hin und her. Dann ist sie wieder in der Realität - ich sehe es an ihren wachsamen Augen.

Sie taumelt einen Schritt zurück und hält sich eine Hand vor den Mund, während Tränen ihre Wangen entlang strömen. "Ich... Es tut mir so, so leid...", krächzt sie heiser.

Ihr Tonfall und ihre Panik befeuern meine eigene Angst. "Was ist los?", hake ich gehetzt nach. Wenn Fire oder Ann oder Snow etwas passiert ist...

"Ein Uman hat die Treppe passiert. Sämtliche dort stationierte Soldaten wurden in einem Wimpernschlag getötet...", flüstert sie weiter. Ihr Blick fühlt sich für mich an, als würde sie mich von innen heraus verbrennen. "Er befindet sich mit Annrhia im Kampf."

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt