Neun

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Freedom

[Bevor ich allerdings auf dem harten Boden aufschlagen kann, fangen mich warme, starke Arme auf und drücken mich an eine nur allzu bekannte Brust. Und diese liebevolle Geste, nach allem, was ich ihm an den Kopf geworfen habe - nicht nur heute, sondern auch in den letzten Tagen, weil ich zu verschreckt und verbittert war, schon wieder nichts für Snow tun zu können - diese kleine Geste reicht aus, damit sich bei mir alle Schleusen öffnen und ich hemmungslos an Hugos Brust weine, der mir beruhigend durch die Haare streicht, und mich einfach nur festhält.]

Ich weiß nicht, wie lange wir so dastanden, Hugos Hand in meinen Haaren, mein Gesicht an seiner Brust vergraben, aber irgendwann trockneten die Tränen auf meinen Wangen und mein Schluchzen verebbte.

"Gehts wieder?", fragt Hugo mit belegter Stimme und zieht sich so weit zurück, dass er mir ins Gesicht sehen kann. In seinen silbernen Augen leuchten Kummer und Sorge - und Verständnis. Bodenloses Verständnis, gepaart mit Fürsorge und Liebe.

Stumm nicke ich und hauche einen Kuss an seine Lippen. "Danke - sowohl dafür, dass du mich hast ausreden lassen, als auch dafür, dass du trotz allem für mich da bist", murmele ich in die Stille zwischen uns beiden.

Lächelnd legt er mir eine Hand an die Wange, in deren Berührung ich mich glücklich hineinschmiege, und entgegnet voller Inbrunst: "Immer." Dieser glückliche Ausdruck verschwindet jedoch schnell wieder, und Scham schleicht sich in seinen Blick. "Wie ich reagiert habe..."

Bevor er weiterreden kann, küsse ich ihn ein weiteres Mal. Sanft und vergebend. "Ist schon in Ordnung", flüstere ich und lasse zu, dass ich in dem silbernen Feuer seiner Augen versinke. All die schlimmen Dinge, die wir einander an den Kopf geworfen haben, scheinen immer noch im Raum zu hängen, genauso wie die Schatten der Vergangenheit, die ich ihm offenbart habe, und die Lasten der Pflichten, die auf unseren beiden Schultern ruhen... Ich will das alles vergessen. Ich will, dass diese ganze Negativität verschwindet - und sei es auch nur für einen Moment.

Hugo liest die stumme Bitte in meinen Augen, und lässt zu, dass eine meiner Hände unter sein Hemd gleitet. Ich genieße die wohlige Wärme, die seine Haut ausstrahlt, und küsse ihn ein weiteres Mal, die andere Hand in seinem seidigen, verwuschelten, schwarzen Haar vergraben - doch diesmal weniger sanft. Leidenschaftlicher. Fordernder.

Ein leiser Laut entsteigt seiner Kehle, und seine Hände gleiten von meinem Rücken zu meinen Hüften hinab, während er den Kuss erwidert und unsere verschlungenen Körper langsam in Richtung Bett dirigiert. Meine Kniekehlen stoßen gegen das Bettgestell, genau in dem Moment, in dem er mir das Oberteil auszieht und sein eigenes Hemd gleich darauf abstreift.

Wir lassen uns noch immer verschlungen rückwärts aufs Bett fallen, und in dieser Position - ich daliegend, er über mir - kommt die Erinnerung hoch. Die Erinnerung daran, was man versucht hat, mir anzutun - zwei Mal. In meinem Hinterkopf erklingen leise Warnglocken und die Angst nähert sich meinem Herzen, aber ich lösche all diese Negativität mit einem weiteren Kuss aus. Er lässt zu, dass meine Zunge in seinen Mund gleitet, ihn tiefer berührt, ihm noch näher kommt. All die Warnsignale fallen von mir ab und ein wohlig warmes Kribbeln breitet sich in meinem Bauch aus, wie flatternde Schmetterlinge. Diese Wirkung hat er immer noch auf mich.

Seine Hände gleiten an meinem Körper hinauf zu meinen erregten Brüsten und ich drücke einladend den Rücken durch, während ich meine Beine um seine Hüften schlinge. Ich will ihm noch näher sein, ihn noch näher spüren.

Es ist nicht das erste Mal, dass wir miteinander schlafen. Wir haben es schon öfters getan - so oft, dass ich aufgehört habe zu zählen. Beim ersten Mal waren wir sanft zueinander, sind es langsam angegangen, neugierig, forschend. Ich habe keine Ahnung, ob es auch für ihn sein erstes Mal war, oder ob er schon einmal ein anderes Mädchen in sein Bett gelassen hat - aber angesichts der Liebe, die zwischen uns herrscht, ist mir das auch ziemlich egal. Selbst wenn es einmal eine andere gegeben hat, ist sie längst Geschichte.

Dieses Mal wird es anders sein - nicht so ruhig und vorsichtig wie die letzten Male. Das erkenne ich an dem Hunger, der in seinen Augen steht - und sich zweifellos in meinen leuchtend grünen Augen spiegelt.

Er haucht gerade einen Kuss an meine Halsbeuge, seine Hände dabei, unter meinen Hosenbund zu schlüpfen, meine Hände in seinen Haaren vergraben, als es lautstark und drängend klopft.

Sofort erstarren wir beide. Wieder ertönt ein Klopfen, und mit einem leisen, unwilligen Brummen löst sich Hugo von mir und geht zur Tür.

Mein Oberteil... Wo ist mein Oberteil... Mit glühenden Wangen huschen meine Augen suchend über den Boden, ehe sie an dem gesuchten Kleidungsstück hängen bleiben - das genau über dem Rucksack und dem noch immer offenliegenden Geheimfach gelandet ist. Sofort ist alles wieder da: Snows Zustand, der Mangel an Nahrungsmitteln, meine Pflicht...

Mit einem leisen Fluch auf den Lippen streife ich mein Oberteil über, während Hugo, nur bekleidet in Hosen, die Tür einen Spalt breit öffnet und die Person dahinter missmutig anblickt.

"Du kannst später knurren und dich beschweren", kommt eine weibliche, angespannte Stimme ihm zuvor - Cheri. "Es wurden Uman gesichtet. Sie sind auf direktem Weg hierher - du musst schleunigst deine Einheit mobil machen." Und mit einem breiten Grinsen fügt sie hinzu: "Tut mir leid, dass ich euch wohl beim spannendsten Part unterbrochen habe."

Ohne etwas darauf zu antworten knallt Hugo die Tür zu und man kann im Flur trotz der nahenden Bedrohung Cheris Lachen hören.

Ich habe in der Zwischenzeit schon alles an Kleidung übergezogen, das mich vor der erbarmungslosen Kälte wärmen könnte - ein Unterhemd, ein Oberteil, zwei Pullover, eine gefütterte Winterjacke und zwei Paar Hosen, sowie Stulpen, Strümpfe, Winterstiefel, eine Mütze und zwei Schals. Um zur Stadt zu gelangen würde ich durch Snows Winterstürme gehen müssen, die die Festung umgeben und schützen. Durch Luciens Aussage weiß ich Bescheid, dass diese sowohl für Freund als auch für Feind tödlich enden können - und das nicht nur wegen der Kälte.

Den Rucksack habe ich neben mir auf den Boden gestellt, und gerade bin ich dabei, das Geheimfach wieder zu schließen.

"Das gefällt mir nicht", brummt Hugo mit Sorge in den Augen und beginnt, sich ebenfalls wärmer anzuziehen.

Angespannt beiße ich mir auf die Lippen und nicke. "Glaub mir, am liebsten würde ich auch einfach bei dir bleiben, mit dir unter eine Decke schlüpfen und kuscheln, bis wir beide einschlafen", bei dem Gedanken daran muss ich lächeln, "Aber leider befinden wir uns im Krieg - und ganz gleich wie stark dieses Verlangen auch sein mag, ich werde weder Snow noch Lucien einfach im Stich lassen."

Zustimmend nickt er. Nachdem ich das Geheimfach wieder verschlossen habe, werfe ich mir den Rucksack über und betrachte Hugo zum letzten Mal ausgiebig, bevor ich mich auf den Weg machen muss - und wer weiß, was dann passiert. Es könnte sein, dass dies das letzte Mal sein wird, dass wir uns so gegenüber stehen.

Zuversichtlich schüttle ich den Kopf. Nein, das wird nicht das letzte Mal sein. Wir werden definitiv gewinnen und wieder zueinander finden - und wenn ich dafür noch so viele der feindlichen Soldaten abschlachten muss.

"Hast du alles?", fragt er und deutet auf meine Ausstattung. Ruhig nicke ich und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. "Bitte pass auf dich auf", murmelt er und zieht mich in eine feste Umarmung. "Du bist alles an Zuhause, das ich besitze."

"Da wären deine Männer aber gekränkt, wenn sie das gehört hätten", necke ich ihn schmunzelnd und löse mich von ihm, eine Hand an seiner Wange. "Glaub mir, auch ich habe Angst - aber genau deswegen müssen wir Kämpfen. Für unsere gemeinsame Zukunft." Ich könnte schwören, dass die lodernde Flamme in seinen silbernen Augen für einen Moment heller erstrahlt.

Hugo stiehlt sich noch einen Kuss, ehe er mir einen leichten Klaps auf den Hintern verpasst und mich breit angrinst. "Mach sie fertig, Free. Rette uns diesen Krieg, indem du Vorräte aus der Stadt schmuggelst", er zwinkert mir zu, "Und wir halten hier solange die Stellung."

"Nur zu gerne", schmunzle ich, drehe mich um und lasse mich mit seiner Hilfe vorsichtig durch das Fenster abseilen. Ich werde das Chaos der Schlacht ausnutzen, um mich davonzustehlen - und hoffentlich dabei niemandem auffallen, weder unseren Soldaten noch dem Feind.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt