Dreiundsiebzig

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Snow

Meine Hände sind klamm und feucht. Alles in mir ist angespannt, und Lucien an meiner Seite scheint es nicht anders zu gehen.

Die Neuigkeiten sind wundervoll gewesen - mehr Unterstützung für uns, mehr Siegeschance, weniger Gefahren und Probleme.

Ianes Tod ist zwar ein wenig unangenehm, aber er erschüttert mich nicht. Iane und ich haben uns nie wirklich verstanden, da sie mir und Ice den Tod ihrer Mutter in die Schuhe geschoben hat - und gewissermaßen hat sie recht. Es ist zwar ein Unfall gewesen, ein unglücklicher Zufall, aber Ianes Mutter ist in der Tat durch unser Eis gestorben - ein unglücklicher Wutausbruch, ein kurzer Kontrollverlust.

Außerdem hat sich Iane gegen uns gestellt. Nein, ihr Tod macht mir wirklich nichts aus.

Ann dagegen...

Seit sie es erfahren hat ist sie nicht mehr aus ihrem Zelt gekommen. Sie lässt niemanden außer Fire zu sich, und hat sich auch mir gegenüber noch nicht gemeldet. Fire dagegen schweigt wie ein Grab, selbst wenn wir sie noch so sehr mit Fragen löchern.

Lucien weiß, dass mir das sehr wohl etwas ausmacht. Ich mache mir Sorgen um Ann. Sie hat sich früher gut mit Iane verstanden. Gewissermaßen noch besser als mit mir - schließlich war Iane rund um die Uhr für sie da, während Ice und ich immer wieder gefoltert und eingesperrt wurden.

Ice. An dich, Bruder, habe ich lange nicht mehr gedacht. Ich vermeide den Gedanken - er erinnert mich daran, was alle Welt wohl von mir halten muss, weil ich denjenigen zu meinem Geliebten erkoren habe, der am Tod meines Zwillingsbruders mitverantwortlich ist. Tatsächlich schmerzt mich der Gedanke an dein Ableben aber an sich gar nicht mehr so sehr. Er hat einen fahlen Beigeschmack, ja, aber ich habe nicht mehr das Gefühl, an der Erinnerung zu zerbrechen.

Ich drücke Luciens Hand fester, während wir mit gerecktem Kinn in die blaue Ferne vor uns blicken.

Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich auf dem Weg der Besserung bin. Noch immer bin ich unendlich müde und wünsche mir, dass alles vorbei ist...

Aber mein Todeswunsch ist nicht mehr so präsent. Diese Welt, die Lucien mir aufgezeigt hat - vielleicht ist sie es wert, in ihr zu leben. Vielleicht ist sie es wert, für sie zu leben.

Aus dem Nebel vor uns taucht ein riesiger Schiffskomplex auf - und dann noch einer, und noch einer, und noch einer...

Sofort machen sich alle an die Arbeit: ein Anker wird vom Schiff aus ausgeworfen, Strickleitern werden runter gelassen, und die Mannschaft springt hinab. Auch von unseren Leuten stehen mehrere bereit, um Gepäck und sonstiges aufzufangen und abzutransportieren. Natürlich kein normales Gepäck - die Taschen und Decken und Kleidungsstücke und alles andere sind nichts anderes als Ressourcen.

Ressourcen, die wir bitter nötig haben - und die mehr als praktisch für uns sind.

Zwei Gestalten springen kichernd und lachend hinab, und dann stehen wir auch schon dem Grund gegenüber, wegen dem wir derart angespannt sind: Linus.

Er hat uns schon einmal verraten und mit dem König paktiert. Dennoch geben wir ihm noch eine Chance - immerhin befindet er sich in äußerst interessanter Gesellschaft.

Cheri auf der anderen Seite von mir bricht in Tränen aus, als ein kleines Mädchen von einem der Schiffe klettert. Ein Beben geht durch Cheris Körper - dann stürmt sie auf ihre Tochter zu, die aufgrund ihrer Blindheit absolut nicht damit gerechnet hat, aber auch anfängt zu weinen, als sie begreift.

Bei diesem warmen Wiedersehen muss ich unwillkürlich grinsen. Dann drückt Lucien meine Hand fester und erregt somit wieder meine Aufmerksamkeit.

Linus sieht... anders aus. Das metallisch goldene Haar sieht ziemlich zerzaust und wirr aus, der Farbton weist nicht mehr die geringste Spur eines Färbemittels auf. Sein Körper strahlt eine ungewohnte Kraft aus, aber nicht so eigenartig wie als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, sondern... natürlicher.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt