Linus
Mit einer Hand bedecke ich meinen Mund, um das leise Keuchen abzuschirmen, das ich nicht verhindern kann, und drücke mich eng gegen die eiskalte, steinerne Hauswand.
Ich befinde mich in einer dunklen Gasse, die in unzählige Weitere mündet, und somit eine Art verwinkeltes, enges Labyrinth bildet.
Für einen Moment schließe ich die Augen, atme tief durch. Versuche, mein rasendes Herz zu beruhigen. Ich höre auf den Hauptstraßen Schritte und zähle insgeheim mit.
Ich komme auf ein Dutzend. Ein Dutzend Fußpaare... Ein Dutzend Soldaten...
Ruckartig reiße ich die Augen auf, kaum, dass die Geräusche verstummt sind, werfe einen schnellen Blick um die Ecke und halte angespannt den Atem an. Ich rechne jeden Moment mit einem Ausruf, einem Soldaten, der die anderen auf mich aufmerksam macht... aber da ist nichts. Nicht mehr.
Offenbar sind sie weitergezogen, auf der Suche nach uns. Haben wir sie tatsächlich abgeschüttelt? Schön wärs zwar, und wenn wir uns unter die Leute mischen würden, die um diese späte Uhrzeit in den Bordellen und Gasthäusern kampieren, kämen wir auch weitaus schneller voran, aber ich lege es nicht unbedingt darauf an, mein Schicksal herauszufordern...
Ein leises Geräusch über mir erweckt meine Aufmerksamkeit. Es ist das Mädchen, mit dem ich mich in dem Bordell zusammengetan habe, um ungesehen zu fliehen - vorerst. Bei der ersten Gelegenheit werde ich versuchen, sie loszuwerden, und auch, wenn das vielleicht mies klingen mag - ich kann ihr nicht vertrauen. Ich kenne weder ihren Namen, noch ihre Herkunft, noch ihr Motiv, noch den Grund, warum sie überhaupt erst geflohen ist, nachdem sie mich gesehen hat... Es ist einfach zu riskant. Es könnte irgendwann passieren, dass sie mich im Schlaf erdolcht, ohne, dass ich es kommen sehen könnte - und ich bevorzuge es, zu leben.
Einen Finger an die Lippen gedrückt, um mir mitzuteilen, dass ich leise zu sein hätte - als wüsste ich das selbst nicht! - hat sie sich irgendwie aus das Dach geschwungen und blickt von oben mit ihren amethystfarbenen Augen herausfordernd auf mich hinab. Stumm deutet sie auf einen Haufen Krempel, der reichlich instabil aussieht, und skeptisch werfe ich ihr einen Blick zu, aber sie zuckt einfach nur mit den Schultern.
Leise seufze ich und reibe meine Hände aneinander, um zumindest ein wenig Wärme in meine steif gefrorenen Finger zu leiten. Danach mache ich mich daran, den kleinen Hügel hinaufzuklettern, wobei ich versuche, möglichst kein Geräusch zu verursachen, aber auf halber Höhe bricht ein kaputtes Möbelstück unter meinen Füßen weg und bringt den ganzen Berg an Krempel zum Einsturz. Mit lautem Poltern und Quietschen schlägt das Zeug hart auf dem schneebedeckten Boden auf, und fluchend wage ich einen Sprung, durch den ich es gerade noch schaffe, meine Finger in die Regenrinne zu krallen, während ich hilflos mit meinen Füßen strample, und irgendwie versuche, Halt zu finden, um mich vollends hochzuziehen.
Ich höre, wie die Schritte der Soldaten umkehren und zur Gasse eilen, um dem Lärm auf den Grund zu gehen, und innerlich mache ich mich bereits auf das Schlimmste gefasst. Meine temporäre Begleitung hat die Zeit währenddessen nutzen wollen, um ihr gerades, pechschwarzes Haar zu einem langen Zopf zu flechten, unterbricht aber sofort ihr Vorhaben, als sie merkt, dass ich in Schwierigkeiten stecke.
"Verdammt, du hättest besser aufpassen sollen, du Idiot", fährt sie mich leise an, während sie ihre Hände unter meinen Achseln einhakt und mich unter Keuchen und Brummen wie ein kleines Kind auf das Dach hochhievt. Aufgrund der Anstrengungen und der Atemnot, in der ich mich befinde, schaffe ich es nicht einmal, ihr eine passende Erwiderung an den Kopf zu werfen, und wir schirmen beide einfach nur unseren Atem ab, während wir uns betend in die Schatten des Daches drücken, und hoffen, dass die Soldaten uns nicht bemerken.
"Was war das?", fragt einer von ihnen fauchend. Vermutlich der Anführer der Patrouille.
"Ein Haufen Krempel ist eingestürzt, Sir", antwortet ein anderer salutierend.
Der Anführer scheint vor Wut zu schäumen, weil der Soldat nicht weiterspricht. "Und warum ist der Haufen eingestürzt?", hakt er mit zynischem Unterton nach.
Nervös stottert der Soldat herum, dann ertönt plötzlich ein Miauen. "Äh, wie es scheint, liegt es daran, dass hier eine Menge Katzen herumstreunen", murmelt er kleinlaut.
Vermutlich darf sich der Kerl noch weitere zynische Bemerkungen anhören, aber das Mädchen und ich sind schon längst dabei, uns leise wie zwei huschende Schatten über die Dächer fortzubewegen, wobei sie selbst elegant wie eine schwarze Raubkatze dahingleitet, und ich eher tollpatschig versuche, es ihr nachzumachen.
Zwar werde ich mir dafür sicherlich nachher einige spöttische Bemerkungen von ihr anhören müssen, aber alles, was gerade zählt, ist, dass wir es ungesehen weg schaffen.
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Freezing Fire
Fantasy↬Wenn Wahrheit und Lüge sich leidenschaftlich umschlingen...↫ ...Ich sehe ihn. Klar und deutlich sehe ich ihn, sehe sie beide, sehe ihr Feuer, ihre Glut. Ich kenne mein Ziel. Ich weiß, wohin ich muss. Jedes Quäntchen ihres Lichts schreit mir ihre Ge...