Vierzig

44 4 0
                                    

Snow

Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor, die wir da in diesem Saal herumstehen und einander einfach nur stumm anstarren.

Erst Fire und Ann brechen die Starre, das Schweigen, die Stille, die sich aufgebaut haben, seitdem der Herzog von Cheri herausgeleitet wurde. Sie sagen kein Wort, sie gehen einfach zu mehreren aufeinander gestapelten Stühlen und nehmen je einen davon herunter, die sie nebeneinander aufstellen. Das Schaben der Stuhlbeine über den Boden ist für eine Weile das einzige Geräusch.

Hugo hat die Arme verschränkt und starrt mich mit einem undefinierbaren Blick an. Lucien, der neben ihm steht, widme ich keines Blickes. Allein schon jetzt drohen meine Knie unter mir nachzugeben. Alle wiederzusehen... Alle lebendig und unversehrt wiederzusehen--

Und dann sind da ja noch Fire, Luciens kleine Schwester und Ann - meine kleine Schwester. Auch, wenn ich von dem einst so schüchternen, anhänglichen Kind kaum mehr etwas in ihr erkennen kann. Über deren Anwesenheit hat mich Lucien aufgeklärt kurz bevor er die Verbindung zwischen uns aufgelöst hat.

Ich kann es kaum erwarten, mich mit Ann zurückzuziehen, mit ihr zu reden, mir ihre Geschichte anzuhören - und ihr von meiner zu erzählen, aber zuerst--

„Wo ist Freedom?", frage ich und meine Stimme klingt rau und erstickt von all den Emotionen, die ich hinunterschlucke.

Hugo wendet nicht eine einzige Sekundeden Blick ab, während er mir erzählt, dass sie sie nach Su'ul geschickt haben, um Nahrungsvorräte aufzutreiben - die bereits in Hülle und Fülle angekommen sind, nicht weit von der Festung von allerhand Boten abgeladen, aber doch weit genug, um nicht mit den Schneestürmen, die uns schützen, aneinander zu geraten. „Mit dem letzten Boten hat sie eine Nachricht mitgeschickt: Sie ist auf... vielversprechende Geschäftspartner gestoßen, die für uns von Nutzen sein könnten. Sie bleibt fürs Erste dort um die Geschäfte am laufen zu halten", fügt Hugo hinzu.

Der da war einer davon", schiebt er mit einem Ruck seines Kinns in Richtung Tür hinterher und ich kann die Wut in seinen Augen aufblitzen sehen. Ihm ist es offenbar gar nicht recht, dass Freedom sich mit Menschen wie ihm abgeben muss, ohne dass Hugo sie beschützen und ein Auge auf sie haben kann.

Als ich stumm bleibe und einfach nur nicke folgt er Fires und Anns Beispiel, holt sich einen Stuhl und hockt sich einem angedeuteten Kreis mit den beiden zusammen. „Wir kümmern uns um den Rest", wendet sich Hugo mit erstaunlich sanfter Stimme an Lucien - den ich bisher immer noch erfolgreich ignoriert habe, obwohl ich sein Starren wie eine reale Berührung an meinem Körper spüren kann. „Ihr habt sicherlich viel zu besprechen."

Ich wende hastig den Kopf ab, als ich aus dem Augenwinkel registriere, dass Lucien sich auf mich zubewegt - oder genauer gesagt auf die Tür hinter mir. Wortlos verlässt er den Saal und ich folge ihm mit gesenktem Kopf. Die Wunden in meinem Inneren sind noch zu frisch, noch zu präsent, und was dort in dieser internen Welt geschehen ist, in der wir die Wahrheit über unsere Vergangenheit erfahren haben...

Stopp. Nicht einen einzigen Gedanken weiter, ermahne ich mich selbst. Ich werde später über alles nachdenken. Alles verarbeiten.

Wir gehen denselben Weg zurück, den ich zu dem Saal genommen habe und auch diesmal begegnet uns niemand - nicht ein einziges Mitglied meiner-- unserer Truppe.

Ich schaffe es mich so weit von allen Emotionen und Gedanken loszueisen, dass ich eine Frage stellen kann. „Wo sind denn alle?"

„Training", gibt Lucien knapp und abgehackt zurück.

Den Rest des Weges zu-- Götter, ich weiß nicht einmal wie ich den Raum nennen soll, ohne dass sich ein Riss in mir auftut. Wie wäre es mit „dem Raum den mein Angebeteter und ich uns teilen"? Ich ignoriere die leise Stimme in meinem Inneren, genauso wie ich Mutters amüsierten Unterton ignoriere, genauso wie ich ihre gesamte Präsenz in meinem Inneren ignoriere - genauso wie ich Lucien zu ignorieren versuche.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt