Drei

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Lucien

Mein Kinn in die Hand gestützt sitze ich in dem Raum, den ich zu meinem offiziellen Arbeitsraum gemacht habe, und betrachte den Briefstapel, der sich auf dem Schreibtisch stapelt. Die werden Fire und ihre kleine Organisation in die Stadt zu einem Schmuggler bringen, der sich darauf spezialisiert hat, geheime Schriften an den jeweiligen Zielort zu bringen. Es wird natürlich eine Weile dauern, bis sie ankommen werden, und noch länger bis ich eine Antwort erhalte, aber ein anderer Weg bleibt uns nicht.

Seufzend betrachte ich den Brief, den ich gerade schreibe, und spiele abwesend mit der Schreibfeder in meiner Hand. Zwar wurde mir im Laufe meiner langjährigen Prinzenausbildung beigebracht, wie man solche formalen Schriften verfasst, und somit habe ich kein Problem damit, die richtigen Worte zu finden - aber ob ich will oder nicht, es bringt längst untergegangene Erinnerungen zurück, und das macht mir zu schaffen.

Als sich die Tür zu meinem Arbeitsraum leise öffnet, hebe ich sofort den Kopf, dankbar für diese Ablenkung. Fire, meine kleine Schwester, lugt in den Raum und tritt zögernd ein, während sie sich räuspert. "Ann ist für heute fertig. Sie ruht sich gerade aus", erwidert sie eine Grimasse schneidend auf meinen hoffnungsvollen Blick.

Seit Snow einen Zusammenbruch erlitten hat und dabei einen Teil der Festung in die Luft gejagt hat, ist sie nicht mehr bei Bewusstsein. Von Zeit zu Zeit öffnet sie ihre Augen, aber jedes Mal funkeln sie pechschwarz, was ein sicheres Zeichen dafür ist, dass es nicht Snow ist, die an die Decke ihres Schlafzimmers starrt.

Annrhia, ihre kleine Schwester, hat angeboten sich um Snow zu kümmern, damit ich ungehindert arbeiten und mich um die prekäre Lage, in der wir uns befinden, kümmern kann, und jedes Mal erstattet mir Fire anschließend Bericht, da Ann durch ihre eigenen Methoden - wie auch immer diese aussehen mögen - offenbar nach jeder Sitzung immens geschwächt ist.

Zwar bereitet es mir ein wenig Unbehagen, dass ich nicht ganz durchschauen kann, was Ann tut, aber Fire vertraut ihr - und ich vertraue Fire.

Jedes Mal, wenn meine kleine Schwester ins Zimmer kommt, hoffe ich auf die Botschaft, dass es Fortschritte gibt, oder es zumindest einmal vorkommt, dass Snows Augen ihr gewohntes, leuchtendes eisblau besitzen, aber bisher ist diese Hoffnung jedes Mal vergebens gewesen - und so scheint es auch dieses Mal zu sein.

 "Woran arbeitest du?", wechselt Fire das Thema, deutet auf den angefangenen Brief und weicht meinem enttäuschten Blick aus. "Und wag es ja nicht, jetzt mit Briefe zu antworten, sonst trete ich dir eigenhändig in den Hintern", verdreht sie schnaubend die Augen und unterbricht mich noch bevor ich dazu komme, ihr scheinheilig grinsend ebendiese Antwort zu geben. Sie hat mich durchschaut.

Ergeben hebe ich die Hände. "Okay, du hast gewonnen. Es sind Bittschreiben an meine alten Kontakte aus meiner Zeit als freiberuflicher Meisterschmied Leo", antworte ich melancholisch lächelnd und auch sie muss schmunzeln. Ich erinnere mich noch gut an ihren Eifer, jedes einzelne Detail über meine Erlebnisse zu hören, wann immer ich heimlich in die Stadt gegangen bin - und auch sie scheint sich dessen noch bewusst zu sein.

"Warum?", fragt sie und lehnt sich an den Türrahmen. "Hat dich spontan das Gefühl von Melancholie überkommen und du sehnst dich nach Gesellschaft?", neckt sie mich grinsend.

Mein eigenes Grinsen fällt bei ihrer Frage allerdings in sich zusammen, als ich an den Grund denke. "Diese Festung ist zwar eine wahre Goldgrube, wenn es darum geht, Kleidung und medizinische Vorräte ausfindig zu machen - aber uns gehen die Nahrungsmittel aus. Sagen wir, eine gerade noch sättigende Mahlzeit für eine Person an einem Tag würde aus einem einfachen Laib Brot und einer Flasche Wasser bestehen. An Wasser können wir zur genüge kommen, indem wir den sauberen Neuschnee von draußen in Kübeln kochen und nach dem abkühlen in Flaschen füllen. Aber feste Nahrung? Wir hätten nicht einmal genug Geld um auch nur der Hälfte unserer kleinen Armee etwas Brot zu besorgen."

Nachdenklich nickt Fire. "Das ist natürlich ein Problem. Die Zeit, um Aufträge zu erfüllen und unseren Lohn daraus zu sparen haben wir nicht...", murmelt sie vor sich hin und beißt sich auf die Unterlippe. Nach einigen stummen Sekunden hebt sie wieder den Blick und sieht mich neugierig an. "Deswegen schreibst du also deine alten Kontakte an und bittest sie um Nahrungsvorräte oder Gold?"

Grimmig lächelnd nicke ich. "Einige von denen schulden mir noch etwas - einige davon sind ganz schön hohe Tiere. Und wie es der Zufall will, sind einige davon sogar hohe Tiere in Luna", schmunzle ich.

"Ich bin mir nicht sicher, ob mir gefällt, worauf das hinausläuft", erwidert Fire gedehnt und hebt skeptisch eine Augenbraue.

Schnaubend stehe ich von meinem Stuhl auf und strecke mich. "Überlass das einfach mir - ich schaffe das schon irgendwie. Kümmere du dich nur bitte darum, dass die Briefe auch ankommen", winke ich ab und gehe auf sie zu. "Übrigens - es wird Zeit für die tägliche Absprache. Beehren du und Ann uns heute endlich einmal mit eurer Anwesenheit, oder drückt ihr euch mal wieder? Nur damit du es weißt: Die Ausrede, dass Ann noch zu geschwächt von der Sitzung sei, zieht nicht mehr. Man hat euch das letzte Mal durch die halbe Festung gehört, als ihr euch in eurem Zimmer vergnügt habt. Euretwegen konnte sich kaum jemand konzentrieren", teile ich ihr gespielt vorwurfsvoll mit und unterdrücke ein Grinsen.

Mit einem unwilligen Brummen und knallroten Wangen verpasst mir Fire empört einen Klaps gegen die Schulter und stürmt daraufhin leise fluchend davon, während ich ihr, nun doch grinsend, hinterherblicke. Mag sein, dass sie mich gerade bis in alle Ewigkeit verflucht - aber immerhin macht sie sich in die Richtung ihres und Anns Zimmer auf, was ich einfach mal als stumme Zusage werte.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt