Cheri
[Zwei grünliche Lichtpunkte leuchten gerade noch in einer Ecke - plötzlich springen sie vor und ein lautstarkes Fauchen erklingt.
Der Schrank von Mann neben mir ist blass geworden, das Schwert in seiner Hand zittert leicht - doch sein Blick ist nicht auf die Tür gerichtet, vor der wir stehen.
Nein, er blickt nach oben, zur Treppe, von der wir gekommen sind...
Denn dort erblühen unzählige von diesen Lichtpunkten und erwidern das Fauchen der Kreatur.]
Alles an mir erzittert. Sofort bereue ich meine hochnäsigen, arroganten Worte von zuvor - von wegen es gibt keine Bedrohung hier unten!
Der Schrank zerrt mich auf die Beine - ohne die Kreaturen dort oben auch nur eine einzige Sekunde aus den Augen zu lassen - und hebt sein Schwert. Er zittert genauso sehr wie ich.
Ein Schwert und ein Dolch - was können wir schon gegen diese Wesen ausrichten, die solche Spuren auf Stein und Metall hinterlassen? Oben erblühen immer mehr von diesen leuchtenden Augen, die die Treppen hinabhuschen, durch die wir gekommen sind. Das Schaben von Krallen auf Gestein hallt lautstark wider und mir drohen die Sinne zu schwinden, mir wird schwindelig--
Ich presse mich fest gegen die Wand, mein Ellbogen stößt gegen einen Stein, der plötzlich nachgibt, und in meiner Panik, während ich nach hinten falle, klammere ich mich an das Hemd des Schrankes--
Ich lande hart auf dem Hintern. Ein lauter Knall ertönt.
Es ist stockdunkel, meine Fackel ist ausgegangen. Hastig blinzelnd versuche ich mich an die Dunkelheit um uns herum zu gewöhnen.
Wir befinden uns auf einer Art Treppenabsatz. Stufen führen in die Finsternis herab - doch bestehen diese nicht aus Stein, wie sonst.
Nein, die Wände, der Boden, die Stufen - sie bestehen alle aus reinem Lapislazuli. Keine Steine, keine eingearbeiteten Flächen - einzig und allein das blaue Gestein.
Mein Blick huscht zu der Tür, durch die wir gekommen sind, und überrascht halte ich inne. Sie ist weg.
"Eine Geheimtür", flüstert der Schrank leise. Leise flucht er. "Wir haben verdammt viel Glück gehabt, dass wir die gefunden haben!"
Und wie. Ich will mir gar nicht vorstellen, was die Wesen mit uns angerichtet hätten, wenn sie uns erwischt hätten. Kein Laut dringt von der anderen Seite. Wissen diese Kreaturen von der Existenz der Geheimtür? Meine Welt schrumpft plötzlich zu dieser einen alles entscheidenden Frage zusammen. Ich habe allerdings keine Lust lange genug zu bleiben, um es herauszufinden.
"Wir sollten weiter", murmele ich und packe den Schrank, der die Wand der Tür abgeklopft hat, um ihn weiter zu zerren.
Die Treppenstufen sind glatt und auf Hochglanz poliert - doch auch hier befindet sich eine dicke Staubschicht. Auf diese Erkenntnis verlasse ich mich nun allerdings nicht mehr.
Es dauert nicht lange, bis wir den Boden der Treppe erreicht haben. Gerade einmal zwei Biegungen.
Türkises Licht strahlt und erhellt die Dunkelheit. Zwei riesige Steine sind in die Wand gehauen worden - von ihnen stammt das Licht. Und darum herum... Mir stockt der Atem.
Es handelt sich um einen einzigen, riesigen Saal. In der Mitte stehen in einer Art Kreis fünf Tische aus blankem Lapislazuli, ausgestattet mit Ketten und Hand- und Fußfesseln...
Der Schrank flucht leise. "Man hat hier irgendwelche Experimente durchgeführt", schüttelt er angewidert den Kopf und betrachtet das eingetrocknete Blut, das die Tische und den Boden bedeckt. An einem der Tische ist eine Gestalt mit dunkelbrauner, runzeliger Haut angekettet, die Augenhöhlen leer, der faltige Mund zu einem Schrei verzerrt. Der Körper ist dürr, die Haare vom Alter grau, und der Gestank, der von der Leiche ausgeht, ist...
Der Schrank stößt einen weiteren Fluch aus, als ich mich übergebe.
"Wir sollten nicht hier sein", murmelt er mit belegter Stimme und wirft ein blutbeflecktes, steifes Tuch über die Leiche, um den Anblick nicht länger ertragen zu müssen.
Keuchend wische ich mir über den Mund und sehe mich um. "Nein, im Gegenteil. Es ist gut, dass wir hier sind. Wir müssen dringend erfahren, was das für Wesen dort draußen sind, warum sie da sind, und wieso zur Hölle das noch niemandem von uns aufgefallen ist. Wenn sich die nach oben in die Festung begeben, während wir alle schlafen..." Ich schaudere.
"Sieh dir das an", meint der Schrank und kommt mit einer Handvoll Papier in den Händen zu mir. In dunkler Tinte ziehen sich krumme und schiefe Buchstaben über das Blatt, das aussieht, als hätte man es aus einem Buch herausgerissen. Und in einer Ecke - das Abbild einer grausigen Gestalt die nur noch entfernt an einen Menschen erinnert, mit leuchtend grünen Augen, leuchtend türkisen, hervorstehenden Adern und langen, blauen Krallen. Der Mund ist zusammen genäht, die Haltung gekrümmt und auf allen vieren, die Beine wie bei einem Tier gekrümmt.
Ound steht groß und breit darüber.
Während ich die Dokumente angestarrt habe, hat der Schrank sich weiter umgesehen. "Es scheint, als hätte jemand hier versucht, diese Wesen zu erschaffen. Sie scheinen entfernt verwandt zu sein mit den... mit den Uman", murmelt er erstaunt und sieht einen weiteren Stapel Papier durch.
Langsam lasse ich die Hände sinken und betrachte den Raum. "Das hier sind nur die ersten Versuche gewesen", flüstere ich mit belegter Stimme. "Es sieht so aus, als hätte es noch so viele mehr davon gegeben - hinter der Tür habe ich zuvor unzählige Zellen gesehen, in die sie vermutlich eingesperrt wurden. Und wenn die hier Verbliebenen nur die als wertlos erachteten Versuchsobjekte sind, dann..." Meine Kehle schnürt sich zu. "Wir müssen dringend Snow und Lucien warnen."
"Aber wie? Wir können hier nicht heraus, ohne diesen Kreaturen in die Arme zu laufen", wendet der Schrank ein.
Nachdenklich beiße ich mir auf die Lippen. "Früher oder später werden sie kommen, um nach uns zu suchen. Ich habe eines der Kinder angewiesen Snow Bescheid zu geben, wenn wir nach einer Stunde nicht zurück wären..."
Ich straffe die Schultern und recke das Kinn ein wenig höher. Ich habe meinen Entschluss gefasst. "Wir können gerade nicht hinaus, aber anstatt Panik zu schieben und tatenlos herumzusitzen können wir genauso gut nach nützlichen Informationen Ausschau halten. Vielleicht steht irgendwo eine Schwachstelle, oder ein Hinweis darauf, wieso sich diese Wesen in all der Zeit, die wir nun schon hier sind, nicht haben blicken lassen."
"Hier steht sogar noch mehr", lässt sich der Schrank vernehmen, die Nase in einem Buch vergraben. "Die Rohstoffe, die wir in den oberen Stockwerken gefunden haben - die, die Lucien zum Schmieden nutzen wollte - lassen sich noch verstärken." Er zeigt mir die Seite und tippt mehrfach auf die Abbildung. "Wenn man diese beiden Dinge kombiniert und miteinander vermischt, dann..."
Langsam breitet sich ein grimmiges Lächeln auf meinem Gesicht aus. "Dann lässt sich daraus eine magieleitende, mystische Waffe herstellen", vollende ich seinen Satz. Mit funkelnden Augen und einem wilden Grinsen blicke ich den Schrank an. "Lass uns weitersuchen."
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Freezing Fire
Fantasía↬Wenn Wahrheit und Lüge sich leidenschaftlich umschlingen...↫ ...Ich sehe ihn. Klar und deutlich sehe ich ihn, sehe sie beide, sehe ihr Feuer, ihre Glut. Ich kenne mein Ziel. Ich weiß, wohin ich muss. Jedes Quäntchen ihres Lichts schreit mir ihre Ge...