Vierundsiebzig

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Lucien

"Das ist alles etwas schwer zu verdauen, nicht wahr?" Mit einer schiefen Grimasse blicke ich den Schrank von Mann neben mir an, der unverwandt in die Mitte des Lagers starrt.

Dorthin, wo Cheri und ihre Tochter sitzen und grinsen und nicht aufhören können zu reden. Sie befinden sich etwas abseits der anderen um sie bei den wichtigen Schlachtbesprechungen nicht zu stören, aber immerhin sitzen sie an der Kochstelle - und stehen nicht verloren und unsicher am Rande des Lagers so wie wir beide.

Das Treffen mit Lia scheint Snow irgendwie Kraft gegeben zu haben - sie hat darauf beharrt, die wichtige Besprechung zu übernehmen, in der wir unsere frischen Verbündeten auf den neuesten Stand der Dinge bringen und umgekehrt.

Ich dagegen habe immer noch mit der Tatsache zu kämpfen, dass wir nun Uman auf unserer Seite haben. Ich kann immer noch nicht richtig fassen, dass es Linus irgendwie gelungen sein soll, sie auf unsere Seite zu ziehen.

"Sie lacht endlich wieder", meint der Schrank von Mann unverbindlich. Seine Stimme klingt monoton und unverwandt, und doch zittert sie leicht. Sein Gesicht gibt nichts preis, doch in seinen glasigen Augen erkenne ich dasselbe Gefühl, das auch mich lange Zeit verfolgt hat:

Die Sehnsucht, das Verlangen ganz nah bei einer geliebten Person zu sein - kombiniert mit dem ernüchternden, ankettenden Gefühl der Beklemmung, es nicht zu dürfen, bis man nicht die Erlaubnis dazu bekommen hat.

"Ja", antworte ich mit rauer Stimme. Ich weiß genau, wie er sich fühlt. Immerhin habe ich mich selbst lange Zeit mit diesen Emotionen geplagt - in der Zeit, in der Snow mich von sich gestoßen hat, in der Zeit, in der Snow mich wirklich und wahrhaftig gehasst hat, in der Zeit, in der Snow mit Cheri und Freedom und ihrer Handvoll Verbündeter durch die eisige Weite Lunas gestapft ist, umgeben von anderen und dennoch mutterseelenallein.

Allein bei der Erinnerung daran wird mir die Brust eng. Ich habe unfassbares Glück, das weiß ich. Glück, dass Snow mich trotz allem liebt, Glück, dass Snow mich trotz allem will, Glück, dass Snow mich an ihrer Seite akzeptiert. Glück, dass Snow sich auf mich verlässt, sich mir öffnet und sich von mir helfen lässt.

Tröstend drücke ich die Schulter des Schranks von Mann neben mir. Ich wünsche mir für ihn, dass auch er dieses Glück erfährt - und Cheri ebenfalls.

"Wieso schmollt ihr denn hier hinten?", schnaubt Hugo und klopft mir mit Wucht auf den Rücken, wodurch ich mich beinahe verschlucke. "Kommt ihr nicht drüber hinweg, dass die Frauen dieses Lager am Laufen halten?" Sein breites Grinsen ist so ziemlich das genaue Gegenteil von unserer Stimmung.

Überrascht hebe ich die Augenbrauen. "Wieso? Was macht Freedom?"

Hugo verschränkt geheimnisvoll lächelnd die Arme. "Sie blüht völlig in ihrer neuen Arbeit auf und rettet uns den Hintern", zwinkert er.

Mein Blick schießt zu der Kochstelle, wo Snow sich mit Lia, Linus, Fire, Tray, Rose und den anderen berät. Keine Freedom in Sichtweite.

Fragend blicke ich Hugo an, aber der zuckt nur mit den Achseln und gluckst vor sich hin.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt