Zwanzig

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Linus

Nachdenklich reibe ich mit einem Stofffetzen meiner Kleidung über die blutbeschmierte Klinge eines Dolches. Durch die vergangene Zeit ist das Blut eingetrocknet und schwer zu lösen, aber ich gebe mein Bestes.

Als ich ein Keuchen höre, fliegt mein Kopf sofort zu meiner Partnerin herum. Sie hat die Stirn gerunzelt und ich kann sehen, wie ihre Augen sich unter ihren Lidern bewegen. Ihre Haut ist immer noch beängstigend blass, hat jedoch etwas mehr Farbe erlangt als direkt nach dem Gefecht.

Ich lege den Dolch zur Seite, lege ihren verletzten Arm unter meinem Mantel frei und überprüfe den Druckverband, den ich aus einem anderen Fetzen meines Oberteils hergestellt habe.

Nachdem ich sicher gestellt habe, dass alles in Ordnung ist, decke ich den schlafenden Körper meiner Begleiterin wieder mit meinem Mantel zu und widme mich erneut dem Dolch. Das quietschende Geräusch, das entsteht, wenn ich mit dem Tuch über die Klinge reibe, beruhigt meine Gedanken und hält mich zeitgleich wach.

Kurz nachdem wir gemeinsam mit dem Uman von der Mauer gefallen waren, habe ich die Dolche aus dem Körper des Wesens entfernt, damit das Seil durchtrennt, das meine Partnerin und mich aneinander gebunden hat, und sie, genauso wie sie es zuvor getan hat, auf meinen Rücken geladen. Ich habe mich beeilt, schnellstmöglich zum Waldrand zu gelangen, obwohl es mir nur mit Mühe gelangen ist, sie auf diesem Wege zu transportieren - ehrlich, wie zur Hölle konnte sie mich so leicht schleppen, wenn ich bei jedem Schritt das Gefühl hatte, dass meine Beine unter mir nachgeben? - und obwohl mir bewusst war, dass die wachhabenden Soldaten unsere Fußspuren im Lichte des Tages ohne Probleme ausfindig machen und bis zum Wald lokalisieren konnten, habe ich darauf gepokert, dass sie uns nicht weiter verfolgen.

Nun, es stellt sich heraus, ich hatte Recht. In den vielen Stunden, die wir uns nun schon in einer kleinen, bedeckten Höhle versteckt halten, ist keine Menschenseele an uns vorbeispaziert.

Natürlich wusste ich auch, dass man sofort wissen würde, dass wir die Mörder des Uman waren, wenn wir seine Leiche dort liegen ließen. Ich habe wirklich für eine Sekunde überlegt, ob ich den Leichnam nicht auch mitschleppen sollte - einerseits um die Spuren ein wenig mehr zu verwischen, andererseits um ihn als potenzielle Nahrungsquelle zu besitzen.

Aber so leicht es auch fällt, die Uman als Kreaturen auf einer Ebene mit Tieren zu sehen, so nagend ist der Fakt dennoch, dass sie nichts anderes als misshandelte Menschen sind. Sie zu essen wäre Kannibalismus - und so arm sind wir nun auch wieder nicht dran, als dass wir auf diese Stufe zu sinken hätten. Um von den Anstrengungen, den Leichnam zu transportieren, gar nicht zu sprechen. Allein meine Partnerin in den Wald zu schleppen hat mich schon all meine Kraft gekostet.

Nachdem wir in Sicherheit waren, hatte ich dann auch endlich genug Zeit, um mir über ihre Wunde Gedanken zu machen. Dank ihrer Exkursion über die Uman, während wir noch vergleichsweise gemütlich aus der Stadt geflohen sind, weiß ich, dass das Gift der Uman ausschließlich lähmt, und nicht im eigentlichen Sinne tödlich ist. Natürlich ist es dennoch so, dass die Lähmung unter Umständen zum Herzstillstand führen kann - was in diesem Fall glücklicherweise nicht vorgekommen ist.

Somit blieb nur noch ein Problem: Der Blutverlust. Und was hilft dagegen besser als ein Druckverband? Ich habe also kurzerhand mein Hemd in Fetzen gerissen - einerseits kann ich nun die Dolche auf Hochglanz polieren und mir damit die Zeit vertreiben, um nicht einzuschlafen, und andererseits habe ich auf diese Weise ihre Wunde behandeln können. 

Selbstverständlich könnte es sein, dass sich ihr Zustand verschlechtert, und dass ich mir dann etwas neues werde einfallen lassen müssen - aber darüber werde ich mir Gedanken machen, wenn es so weit ist. Bisher scheint es bergauf zu gehen, daher klammere ich mich einfach an die Hoffnung, dass es so bleibt. Und um sicher zu gehen, habe ich sie mit meinem Mantel zugedeckt - die Wärme könnte den Heilungsprozess mehr beschleunigen, als wenn sie weiterhin in ihrem freizügigen Gewand, das sie als Kurtisane auszeichnet, in der eiskalten Luft verharrt.

Wieder halte ich inne. Mein Blick gleitet hinaus, hinter das Moos, das die Höhle bedeckt hält, und in weite Ferne. Dies ist derselbe Wald, in dem ich Snow kennengelernt habe - es handelt sich lediglich um einen anderen Abschnitt. Aber wenn ich für einige Stunden gen Norden gehen würde... dann könnte ich vermutlich ohne große Probleme die Stelle wiederfinden, an der ich jede Nacht Fisch gebraten und auf ihren nächtlichen Besuch gewartet habe.

Ich schüttle den Kopf. Diese Zeiten sind längst vorbei, und ich täte besser daran, diese schnellstmöglich in der Vergangenheit ruhen zu lassen. Immerhin ist mein Körper nur wegen meines Kummers über ihre Zurückweisung verkommen.

Leise seufze ich. Ich weiß, dass sie mit Lucien glücklich sein wird, und dass ich endlich loslassen und voranschreiten sollte, aber trotzdem lässt der Schmerz nicht nach.

Ich brauche Ablenkung, beschließe ich kurzerhand. Die beiden Dolche sind ohnehin schon wieder vollkommen rein. Ich stecke sie zurück in ihre Scheiden - die habe ich meiner Partnerin abgenommen, nachdem ich ihre Wunden behandelt habe, genauso wie diverse andere Waffen, mit denen sie sich in ihrer Bewusstlosigkeit selbst verletzen könnte (wie zum Teufel hat sie es überhaupt hingekriegt, so viel Stahl an ihrem Körper zu verstecken, obwohl sie doch der Männerwelt andauernd zu Diensten war?) -, lege sie auf den Haufen an anderen Waffen - Messer, Dolche, und gefährlich spitze Haarnadeln -, stecke das nun mehr blutbefleckte Putztuch ein und verlasse vorsichtig das Versteck.

Der Wind ist beißend kalt und ich fröstele, aber ich weiß, dass ich mich schon nicht erkälten oder mir eine andere Krankheit einfangen werde. Durch meine Abstammung - ein Mischling, das Kind von Eis- und Feuergeborenen - habe ich dieselben natürlichen Vorteile meiner Eltern geerbt, was so viel heißen soll, wie: Ich kann mich weder verbrennen noch an Hitze oder Kälte sterben.

Einige Mischlinge haben auch Bruchteile der Mächte ihrer Eltern geerbt - das habe ich zumindest irgendwo mal aufgeschnappt. Ich selbst bin außer mir keinem anderen begegnet.

Ich nutze die Freiheit außerhalb des Verstecks um mich zu strecken, ehe ich mich auf den Weg zu einem Fluss in der Nähe mache.

Ich sterbe vor Hunger.


Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt