Einundzwanzig

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Lucien

Leise betrete ich den Raum, in dem Snow untergebracht ist. Er ist schlicht und nur mit dem Nötigsten ausgestattet, wirkt aber dennoch behaglich. Jemand hat einen dicken Pullover vor den Fenstern befestigt, um das helle Tageslicht auszusperren, wodurch der Raum eine geheimnisvolle und mysteriöse Atmosphäre verströmt.

Cheri kniet neben ihrem Bett und flüstert ihr etwas zu, dann steht sie auf und schüttelt auf meinen fragenden Blick hin den Kopf, während sie den Raum durchquert. Es gibt nichts neues über Snows Zustand zu berichten, sie ist nach wie vor Bewusstlos.

Cheri schließt leise die Tür hinter sich und ich lausche ihren sich entfernenden Schritten. Sobald ich sicher bin, dass niemand mehr in der Nähe ist, schlucke ich schwer.

"Weißt du, Snow", beginne ich trotz des Kloßes in meinem Hals zu flüstern, "Es tut mir leid, dass ich dich erst jetzt wieder besuche. Ich hatte Angst vor-", ich atme tief durch, "Es tut mir weh, dich so zu sehen. Leblos. Schwach. Weggetreten." Ich lache leise. "Ich bin wirklich ein Feigling."

Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet habe, wage ich mich einen Schritt von der Tür weg und in Richtung Snows Bett. "Mir ist bewusst, dass du mich vermutlich nicht hören kannst, aber ich muss... ich muss mir diese Dinge einfach von der Seele reden. Und wer weiß, vielleicht hörst du mich ja doch. Vielleicht ist es genau das, was dich wieder zurückkehren lässt."

Ich schnaube leise. "Hätte ich nicht gerade eben ein schwieriges Gespräch mit Fire, meiner kleinen Schwester geführt, würde ich jetzt nicht hier stehen. Wir alle vermissen dich, Snow. Und ich wünsche mir irgendwie...", ich reibe mir unsicher über den Nacken, "Ich will, dass du Fire kennenlernst. Dass ihr beide euch begegnet, euch... austauscht. Eure Weltansichten, Ideale und Träume. Und außerdem ist da noch Ann. Annrhia, deine kleine Schwester." Wieder entweicht mir ein leises Auflachen. "Sie ist dir so ähnlich, und dann doch wieder nicht. Sie wirkt auf den ersten Blick emotionslos und zurückhaltend, aber wenn man sie länger kennt, lernt man durchaus, unter ihre Maske zu blicken."

Wieder trete ich einen Schritt näher. Mittlerweile kann ich ihren Kopf sehen. "Was ich sagen will ist: Hier sind Menschen, die auf dich warten, Snow. Die darauf warten, dass du endlich wieder zu dir findest und deine Augen öffnest. Wir, deine Platineinheit, managen alles so gut es eben geht, aber wir brauchen dich. Ich brauche dich." Meine Stimme versagt kurzzeitig. "Ich bin mir nicht sicher, ob all meine Entscheidungen richtig sind. Manchmal bin ich mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt eine richtige Entscheidung gibt", seufze ich. "Und in solchen Momenten... Da wünschte ich, du wärst da, damit ich mich mit dir austauschen kann, mit dir diskutieren kann. Mit dir regieren kann. Seite an Seite."

Noch ein Schritt vorwärts. Ihre Schultern und Arme sind für mich erkennbar. Ihre Haut ist kränklich blass - noch blasser als sie es sonst schon immer gewesen ist, ihre Arme dünn und abgemagert. Ich weiß, dass Ann und Cheri ihr drei Mal täglich eine Brühe einflößen, aber es ist eben doch etwas anderes, als sich wirklich aktiv zu ernähren. Mein Herz wird schwer.

"Ich weiß, du machst viel durch derzeit", fahre ich fort, "Ich weiß es nicht nur durch Anns knappe Berichte, sondern auch... Ich weiß nicht, ich fühle es einfach. Ich weiß es einfach. Aber ich bin mir sicher, du wirst es überstehen. Du hast alles bisherige überstanden - und da warst du noch alleine. Jetzt bist du es nicht mehr. Du hast Freunde, eigentlich schon eher so etwas wie eine... kleine Familie." Ich muss lächeln. "Eine Familie, in der Cheri die Mutter ist, ich dein Lebenspartner, Ann deine Schwester und Freya deine Tochter."

Diesmal wage ich mich die letzten Schritte näher heran und halte neben ihrem Bett inne. "Du hast ein eigenes Zuhause geschaffen. So beschissen deine Kindheit und die Hälfte deiner blutsverwandten Familie auch sein mag - du hast ein selbst ausgesuchtes Zuhause geschaffen. Wir alle vermissen und lieben dich, Snow. Und... Und ich vermisse dich vielleicht am Meisten von allen."

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt