Vierzehn

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Annrhia

Keuchend knie ich auf dem Boden, in der einen Hand ein Dolch, die andere kraftlos herabhängend.

Ein Uman ist in das Zimmer eingedrungen. Ich habe es gerade einmal geschafft, einen kurzen Gedanken zu schicken, ehe meine Aufmerksamkeit schon anderswo benötigt wurde.

Leise tropft mein Blut auf den Boden und ich beiße die Zähne zusammen. Der Uman hat mich mit seinen Zähnen am Arm getroffen und eine tiefe, blutende Wunde hinterlassen. Die Haut um die Wunde herum wird bereits taub - das Gift seiner Zähne breitet sich gerade eben in meinem Körper aus. Lange halte ich das hier nicht mehr aus. Wenn ich nicht meinen gesamten Arm verlieren will, muss ich schnell behandelt werden...

Der Uman lacht krächzend. "Gibst du schon auf? Dabei habe ich doch gerade erst angefangen!"

Er ist der Erste, der mir je begegnet ist, der die Menschensprache beherrscht.

Er ist auch der Erste, der mir begegnet ist, der eine Rüstung trägt, die ihn wohl gegen das Licht von Lucien geschützt haben muss.

Mit einem Sturzflug wirft der Uman sich auf mich, sein Maul weit aufgerissen, und ich schaffe es nur knapp, zur Seite zur Rollen. Andernfalls hätte er mir jetzt wohl den verletzten Arm abgerissen. Sofort versuche ich ihn mit meinem Dolch am Flügel zu erwischen, aber ich bin zu langsam und er ist keine Sekunde später wieder außer Reichweite. Innerlich fluche ich. Ich kann mich kaum bewegen - das Gift lässt meinen Körper erlahmen.

Ich darf aber auch nicht aufgeben. Snow befindet sich im Raum hinter mir - hilflos und nicht bei Bewusstsein. Der Uman bemerkt meinen Blick und reißt sein Maul zu einem abscheulichen Grinsen auf. Er stürzt vorwärts, direkt auf die Tür zu, aber ich schneide ihm mit meinem Eis den Weg ab. Wenn ich mich nicht bewegen kann, dann kann ich mich zumindest mit meinem Eis verteidigen.

Das hat er nicht kommen sehen und einer seiner Flügel wird von den spitzen Kanten der Eismauer aufgeschlitzt. Kreischend knallt er zu Boden, während sein Blut die Mauer und den Boden besprenkelt. Durch den Aufprall hat sich sein verletzter Flügel unnatürlich verdreht und sieht gebrochen aus.

Obwohl mich das freuen sollte, empfinde ich nichts als Mitleid bei dem Anblick. Ich erschaffe Zapfen aus purem Eis und will ihm damit den Gnadenstoß verpassen, aber er ist schneller. Er rollte sich zur Seite - wobei sein anderer Flügel grauenhaft knackt und er aufschreit -, und wirft mir in der nächsten Sekunde mit seinen krallenbewehrten Füßen, die wie Klauen gekrümmt sind, eine Handvoll Pulver ins Gesicht.

Ich versuche mich wegzudrehen, aber mein Körper gehorcht mir nicht länger, und ich schlage fluchend und hustend auf dem Boden auf. Der Uman erhebt sich, beide Flügel verdreht, und ragt hoch über mir auf. Er bleckt die Zähne und ich weiß, er wird mir nicht dieselbe Gnade zuteilwerden lassen, die ich ihm gewähren wollte. Nein, er wird mich qualvoll sterben lassen.

"Mit den besten Grüßen meiner Herrin", faucht er und rammt mir einen seiner krallenbewehrten Füßen in die Schulter. Schmerz explodiert in meinem Inneren und ein lauter, schriller Schrei entsteigt meiner Kehle. Tränen sammeln sich entgegen meines Willens in meinen Augen. Ich versuche mich kraftlos mit meinem Eis zu befreien, aber allein schon bei dem Versuch habe ich das Gefühl, mein Bauch würde zerfetzt werden, und meine Macht läge in weiter Ferne.

Bei dem Anblick grinst der Uman höhnisch und tritt noch einmal nach. Meine Schulter knackst und das Geräusch geht mir durch Mark und Bein. Wieder löst sich ein Schrei und ich kann nicht mehr - ich mache mir in die Hosen.

Fires Gesicht erscheint vor meinem inneren Auge und mein Herz wird schwer. Ich werde sie nie wiedersehen - und es gibt niemanden, der mich gerade retten könnte. Sie ist zusammen mit den Anderen unten damit beschäftigt, die restlichen Uman zu töten.

Immerhin wird man sagen können, dass ich einen heldenhaften Tod gestorben wäre... Im Kampf gefallen, als sie ihre Schwester und Königin beschützen wollte. Das klingt doch gar nicht so schlecht, finde ich.

Gerade, als der Uman den Fuß hebt, um meinen Kopf zu zerschmettern, öffnet sich mit einem Knall die Tür hinter mir - und Snow steht im Türrahmen, die Augen ein wildes Lodern aus schwarz und eisblau. Ein grausames Lächeln erblüht auf ihren Lippen, als sie den Uman sieht - und was er mit mir gemacht hat. Eine eiskalte Aura umhüllt sie und ich kriege sofort Gänsehaut.

Auch der Uman scheint es zu spüren. Er weicht ängstlich zurück und hat mich offenbar sofort vergessen.

Aber bevor Snow sich den Uman vorknöpft, fällt ihr Blick auf mich. Sie erkennt meinen Zustand, und dass ich an dem Blutverlust sterben werde, wenn das so weitergeht - und keine Sekunde später spüre ich, dass meine Wunden von Eis umhüllt werden, das mein Blut im Inneren hält. Es ist kein kaltes Eis, das mein Blut erkalten lassen würde, sondern... eher wie Glas.

"Du arme, fehlgeleitete Kreatur", schnurrt Snow mit heiserer Stimme und nähert sich langsam dem Uman, der zurückweicht. "Lass mich dir etwas von meiner speziellen Liebe schenken", grinst sie, legt den Kopf schief und streckt einen Arm aus. Mit einem widerlichen Schmatzen fallen die Schwingen des Uman zu Boden, die er anstelle von Armen besitzt, und er schreit gequält auf. Es ging so schnell, dass ich es kaum erkennen konnte - aber ich meine, für einen Augenblick gesehen zu haben, wie die Schneide einer aus Eis geschaffenen Axt auf ihn zugeflogen ist.

Er verliert das Gleichgewicht, stolpert über seine Beine und fällt hart zu Boden, während Blut aus seinem Rücken spritzt. Er besitzt schließlich keine Arme oder Hände, mit denen er sich hätte abfangen können - und seine Schwingen liegen abgetrennt am Boden. "Bitte, bitte nicht... Ich habe doch nur Befehle befolgt!", krächzt er wimmernd und schiebt seinen blutbeschmierten Körper mithilfe seiner krallenartigen Füße weiter nach hinten, wobei er eine widerlich verschmierte Blutspur hinterlässt.

Snow unterdessen geht an mir vorbei weiter auf den Uman zu. Sie schnalzt mit der Zunge. "Natürlich hast du das", antwortet sie spöttisch, "und jetzt wirst du meine Befehle befolgen." Sie stemmt einen Arm lässig in die Hüfte, als würde sie gerade ein ganz normales Gespräch führen, und nicht ein unnatürliches Wesen herumkommandieren. "Das Pulver. Wo versteckst du es?", verlangt sie mit eiskaltem Unterton zu wissen.

Verwirrt sehe ich zu, wie der Uman ihr sofort antwortet - er hat es mit einer Schlaufe an seinem Fußgelenk auf eine Art und Weise befestigt, die es ihm ermöglicht, es mit einer kurzen Bewegung entweder in Reichweite seiner klauenartigen Füße zu bringen, oder aber es sicher um das Fußgelenk herum zu verstauen.

Aber trotzdem verstehe ich seine Reaktion nicht. In seiner Lage wäre es doch so viel klüger gewesen, das Pulver in ihr Gesicht zu werfen, damit sie ihm nicht länger schaden kann? Sicher, er kann mit seinen gebrochenen Flügeln schlecht fliehen und jeder Fluchtweg, der ihm bleibt, würde ihm früher oder später den Tod bringen - aber trotzdem...

Ich sehe Snow nur noch von hinten, aber ich kann das Grinsen aus ihrer Stimme heraushören, als sie befiehlt: "Und jetzt wirst du dir schön langsam die eigenen Füße mit deinen Beißerchen abreißen und mich dann anflehen, dich zu töten."

Verstört merke ich, wie der Uman ihr tatsächlich Folge leistet, und dabei kein einziges Mal schreit oder inne hält. Ich weiß nicht, ob ich fasziniert und neugierig oder abgestoßen und angewidert von der Grausamkeit sein soll, die Snow zur Schau stellt.

"Bitte... Bitte tötet mich, Euer Gnaden. Ein Tod von Eurer Hand ist die größte Ehre, die Sie einer von ihrem Geliebten erschaffenen Kreatur wie mir gewähren können", bettelt der Uman mit blutverschmiertem Maul.

Schnaubend schnippst Snow mit den Fingern und pechschwarzes Eis durchbohrt seinen verbliebenen, in Blut getränkten Körper. Er ist sofort tot, und sein Maul ist auf morbide Weise zu einem dankbaren Lächeln verzerrt.

Kaum wird die andere Tür, die zum Flur führt, aufgerissen, bricht Snow mit einem Keuchen über der Leiche zusammen - und fällt geradewegs in die Blutlache des Uman hinein. Lucien steht im Türrahmen und starrt geschockt und außer Atem auf das blutverschmierte Chaos im Raum.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt