Zweiundfünfzig

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Snow

Eine Hand auf den Bauch gelegt, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, blicke ich Cheri hinterher, die breit grinsend aus dem Raum tänzelt, als plötzlich ein vertrautes Gesicht im Türrahmen erscheint.

"Was hatte die denn?", fragt Ann mit hochgezogenen Augenbrauen nachdem Cheri außer Hörweite ist, während sie meinen inoffiziellen Empfangsraum betritt und die Tür hinter sich schließt.

"Wir mussten einige der Informationen besprechen, die sin den Kellergewölben zusammengetragen hat", winke ich ab, "Und dabei hat sie es sich nicht nehmen lassen, den ein oder anderen Kommentar hinterher zu schieben", füge ich mit missmutigen Blick in Richtung Tür hinzu. Ich bleibe absichtlich vage und gehe nicht auf die Details ein - nicht, dass Ann ein zerbrechliches Püppchen wäre, aber ich will ihr dennoch keine Angst machen. Immerhin ist sie noch immer meine kleine Schwester.

"Aha", antwortet sie und zieht den hinteren Vokal betont in die Länge um mir zusätzlich zu ihrem langen Blick ihre Neugierde zu verdeutlichen. Ihren Hunger auf Details.

"Was gibt es?", wechsle ich schnell das Thema. "Es kommt selten vor, dass du mich aufsuchst."

Gespielt vorwurfsvoll blickt sie mich an. "Das liegt daran, dass du andauernd an den Lippen deines Geliebten hängst", antwortet sie trocken.

"Du und Fire seid in dieser Hinsicht nicht besser", entgegne ich prompt. "Oder willst du mir weismachen, eure Pflichten wären verantwortlich dafür, dass euer Gestöhne jede zweite Nacht die Wände der Festung zum wackeln bringt?"

"Punkt für dich", kichert Ann und ihre Augen funkeln. Sie stützt ihre Arme auf die Tischplatte zwischen uns und lehnt sich leicht vor, während sie mir in die Augen blickt. "Tatsächlich bin ich gekommen, um dich für eine Nacht aus den Armen deines Geliebten zu entführen - Fire und ich würden gern einmal mit dir zusammen Abendessen und unter...", sie runzelt die Stirn und blinzelt, dann glättet sich ihr Ausdruck wieder, "...unter sechs Augen mit dir reden."

"Und ihr habt nicht zufällig vor mir eine Falle zu stellen und danach irgendwo meine Leiche zu verscharren?", hake ich skeptisch nach. Diese Einladung klingt mehr als dubios, besonders wenn sie so sehr betont, dass ich ohne Lucien erscheinen soll.

Für eine Sekunde starrt Ann mich mit kugelrunden Augen an, dann bricht sie in lautes Gelächter aus. Währenddessen springt mein Blick misstrauisch andauernd zwischen ihren beiden Augen hin und her, was sie nur noch mehr zum Lachen bringt. Das wird ja immer dubioser.

Kichernd wischt sie sich die Lachtränen aus den Augen und grinst mich an. "Nein, keine Sorge, wenn wir das vorhätten würden wir gar nicht erst so höflich fragen - wir hätten da viel einfachere, weitaus effektivere Methoden", antwortet sie mit einem verschmitzten Lächeln und einer hochgezogenen Augenbraue, was wiederum mich zum Schmunzeln bringt.

Plötzlich fliegt die Tür auf und der schöne Moment ist von einem Augenblick auf den nächsten zerstört. Mir bleibt bei dem lauten Knall das Lachen im Hals stecken, und auch Hugos gehetzte Miene trägt nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Als sein Blick meinen trifft, leuchtet etwas in seinen Augen auf, als hätte er nach mir gesucht.

"Wir haben eine Nachricht bekommen", verkündet er angespannt und die unausgesprochenen Worte scheinen sich über dem Raum wie eine Gewitterwolke auszubreiten. "Su'ul wird just in diesem Augenblick überrannt."

Mein Herz setzt einen Schlag aus und ich springe von meinem Stuhl auf, der lautstark vornüber kippt. "Wie viele?"

"Drei Dutzend Uman und eine Legion Soldaten", berichtet er knapp.

Anns und mein Blick treffen sich und in unseren Gesichtern spiegelt sich dieselbe Erkenntis wider: Das sind viel zu viele Feinde für so eine kleine Stadt wie Su'ul. Das bedeutet, wenn sie Su'ul überrannt hätten, würden sie weitermarschieren bis vor unsere Tore - oder Su'ul belagern und somit all unsere Verhandlungen über den Haufen werfen, alle von Freedoms Bemühungen zerstören.

Der Boden unter meinen Füßen scheint nachzugeben und mit weit aufgerissenen Augen lehne ich mich haltsuchend an den Tisch, während ich mir auf die Lippen beiße und mit dem Ring an meinem Finger spiele, als könne sich dadurch irgendwie ein Plan bilden, ein Ausweg finden lassen.

"Weiß Lucien schon bescheid?", frage ich nach einem kurzen Moment, der mir vorkommt wie eine halbe Ewigkeit, und richte eine andere Frage zeitgleich durch unsere Verbindung an ihn: Wo bist du?

Hugos Blick liegt auf meinem Gesicht, als wäre ich ein Rätsel das er irgendwie zu lösen versuche. "Ja. Er hat auf der Stelle ein Treffen einberufen", nickt er.

Im Ratssaal, ertönt Luciens Antwort in meinem Kopf. Komm schnell.

Ich presse die Lippen aufeinander und meine Finger verharren am Ring.

Wir müssen wieder kämpfen. Wir müssen uns der Realität wieder stellen. Blutvergießen, Schmerzensschreie, Panik, Angst und Verzweiflung, ein bitterer Überlebenskampf... Verluste, Gefahren, Paranoia...

Übelkeit macht sich in mir breit und vermischt sich mit Bauchschmerzen, denn mein Inneres verknotet sich vor Angst und Furcht. Aber ich muss meine Rolle spielen, meine Maskerade aufsetzen...

"Worauf warten wir noch?", frage ich kühl und ignoriere bewusst die besorgten Gesichter von Hugo und Ann, während ich an den beiden vorbei in die Flure stürme.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt