Zweiundzwanzig

41 5 0
                                    

Linus

Als ich zu der bedeckten, moosbehangenen Höhle zurückkehre, in der ich meine Partnerin zurückgelassen habe, ist es bereits später Nachmittag.

Zu meiner Überraschung ist sie in der Zwischenzeit aufgewacht, hat den Mantel angezogen und sitzt aufrecht in der Höhle, während sie hinaus späht, als würde sie auf jemanden warten.

"Da hatte wohl jemand Glück", sind ihre ersten Worte an mich, während sie auf die Fische deutet, die ich mitgebracht habe.

Stirnrunzelnd betrachte ich sie. "Könnte man so sagen. Sicher, dass du schon wieder sitzen solltest?"

"Sicher, dass du ohne Oberteil bei den Temperaturen klarkommst?", stellt sie eine Gegenfrage und reckt das Kinn vor. Offenbar mag sie es nicht, schwach zu wirken.

"Ich bin ein Mischling. Ich komme klar", grinse ich wölfisch.

Fragend legt sie den Kopf schief. "Was ist ein Mischling?"

Für einen Augenblick starre ich sie überrascht an. "Ich wusste gar nicht, dass es tatsächlich triviale Dinge gibt, die du nicht weißt", schüttele ich den Kopf, wobei mein Schock nur zum Teil gespielt ist.

Sie verdreht die Augen. "Bist du fertig damit, dich über mich lustig zu machen?"

"Niemals", entgegen ich zwinkernd und lasse das Feuerholz zu Boden fallen, das ich unterwegs gesammelt habe.

"Also?"

"Also was?", frage ich zurück.

"Du weißt genau was ich meine. Was ist ein Mischling?", wiederholt sie ihre Frage von vorhin, die mir schon wieder entglitten ist.

"Ah. Als Mischling wird das Kind zweier Elementgeborener bezeichnet - in meinem Fall Eis und Feuer", erkläre ich.

Als sie schweigt, blicke ich ein wenig nervös zu ihr herüber. Sie starrt mich an. "Faszinierend", entgegnet sie nach einer Weile.

"Aber eine andere Sache", runzle ich die Stirn und beginne damit, den Fisch herzurichten, "du solltest wirklich nicht so nah am Höhleneingang sitzen. Was, wenn dich jemand sieht? In deinem Zustand hättest du dich nicht alleine verteidigen können."

"Ich wusste, dass du zurückkommen würdest", entgegnet sie ohne mit der Wimper zu zucken. Ihr intensiver Blick macht mich irgendwie unruhig.

"Das klingt ganz schön leichtsinnig und naiv. Sicher, dass es dir wieder mehr oder weniger gut geht?", versuche ich meine Nervosität mit einem Witz zu überspielen.

Sie verdreht die Augen. "Dann eben: Ich habe für dich gehofft, dass du zurückkommen würdest, weil ich dich sonst bis ans Ende der Welt verfolgt hätte, sobald meine Wunden verheilt wären, um dafür zu sorgen, dass es dir leidtut. Ist das besser so?"

Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken und das unbehagliche Gefühl schwindet. "Das klingt schon eher nach dir."

Leise schnaubt sie und macht sich daran, ein Feuer zu entzünden.

"Lass, ich mach das sch-", beginne ich und will ihr die Stöcke aus der Hand nehmen, aber sie verpasst mir kurzerhand einen Klaps auf die Hände.

Sie funkelt mich aus schmalen Augen an. "Mir geht es nicht so schlecht, als dass du mich jetzt bemuttern müsstest - oder als dass ich mich von dir bemuttern lassen würde. Lass mich helfen."

Dank einiger anderer Erfahrungen aus der Vergangenheit, hebe ich entschuldigend die Hände und wende mich wieder dem Fisch zu. Ich musste ja nicht noch eine Person durch das selbe Verhalten vergraulen.

Wir arbeiten eine Weile schweigend vor uns hin, bis ein Funke aufspringt, sich durch das Holz frisst und ein Feuer entfacht. "Danke fürs Saubermachen", ergreift sie dann irgendwann das Wort ohne aufzublicken.

Ich nicke einfach nur schweigend und stelle die Stöcke, an deren Ende ich die Fische befestigt habe, in angemessener Entfernung zum Feuer auf.

"Wie heißt du eigentlich?", durchbreche ich nach einigen stillen Sekunden wieder die Ruhe.

Argwöhnisch hebt sie den Blick vom Feuer zu meinem Gesicht. "Warum fragst du?"

Da ist es wieder, dieses unbehagliche Gefühl ihres intensiven Blickes. Unruhig rutsche ich ein wenig auf dem harten Steinboden herum, den ich in geringer Entfernung von unserem Versteck als geeigneten Lagerplatz für das Feuer erachtet habe. "Naja, wir haben uns gegenseitig das Leben gerettet und sind zusammen auf der Flucht", versuche ich mich zu erklären, "Ist es da nicht ein wenig seltsam, dass wir die Namen des jeweils anderen gar nicht kennen?"

Ihr Blick ist nach wie vor sehr intensiv auf mich gerichtet, aber der Argwohn schwindet daraus. "Ich verstehe." Ihr Blick wandert wieder zum Feuer.

Mehr sagt sie nicht. Die darauffolgende Stille ist unangenehm und fühlt sich irgendwie peinlich an.

Leise räuspere ich mich. "Mein Name ist Linus", mache ich den Anfang und hoffe, das sie das als diskreten Hinweis sieht, mir ihren zu verraten.

"Interessant." Weder fügt sie etwas hinzu, noch hebt sie den Blick vom Feuer.

Wieder baut sich diese komische Stille auf. Ich komme nicht umhin, zu erröten, ohne zu wissen, warum eigentlich.

"Ich glaube, der Fisch ist fertig", ergreife ich nach einer Weile wieder das Wort und reiche ihr einen der Stöcke. Die Luft ist erfüllt vom Geruch nach Bratfisch.

Das Mahl verläuft genauso stumm wie die Zeit davor. Nachdem wir fertig sind treten wir das Feuer aus und begeben uns in Richtung Fluss, um unsere Hände zu waschen. Auch diese Tätigkeit verläuft schweigend, ebenso wie der Rückweg zurück zum Versteck.

Mittlerweile bin ich ein wenig verletzt und eingeschnappt wegen ihrer stummen Abweisung, ein Gespräch mit mir zu starten.

Erst, als wir wieder bei der Höhle angekommen sind, ergreift sie wieder das Wort. "Ich übernehme die erste Wache, damit du dich diesmal ausruhen kannst", wendet sie sich an mich.

Aufgrund dessen, dass sie erst so wortkarg geworden ist, nachdem ich sie davon abhalten wollte, zu helfen, wage ich es diesmal nicht, Einwände zu erheben. Ich nicke einfach nur widerstrebend und lege mich an die Stelle, an der sie zuvor geruht hatte.

Ich bin schon fast eingeschlafen, als ich plötzlich ihre leisen Worte höre.

"Mein Name ist Lia."

Keine Sekunde später höre ich, wie sie aufsteht und geht, aber ich bin schon zu weit im Reich der Träume, als dass ich noch Kontrolle über meinen Körper hätte und die Erkenntnis entgleitet meinem Geist.

Mir fällt gar nicht mehr auf, dass ich sie nicht gefragt habe, ob sie an meiner Stelle zurückgekehrt wäre.


Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt