Achtunddreißig

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Snow

Mit einem Ruck schlage ich die Augen auf. Tränen laufen mir an den Wangen hinab, die ich mir schnell wegwische.

Es ist schön gewesen, Ice Stimme wieder zu hören. Schön, und gleichzeitig herzzerreißend.

Einerseits haben seine Wortwahl und seine Stimme all die schönen Erinnerungen wieder zutage gefördert. Andererseits haben sie mich schmerzlich daran erinnert, warum ich überhaupt diesen Krieg angezettelt habe.

Es ist nicht einfach Trotz, der mich antreibt. Ich will meinen Vater nicht stürzen, weil ich mich für all die Qualen rächen wollen würde, die er mir und meiner Mutter zugefügt hat.

Nein, ich will ihn töten und vernichten, weil er mir Ice auf eine derart grausame Weise geraubt hat.

Und dennoch ist es nicht nur Rache, die mich antreibt. Es ist auch Liebe - und Hoffnung.

Aber darüber will ich gerade nicht nachdenken. Zu tief und dunkel klafft noch die Wunde im Inneren meiner Seele - zu präsent sind noch die Bilder, die den tiefen meines Gedächtnisses entstiegen sind. Innerlich fluchend sperre ich sie in den hintersten Winkel meiner Gedanken.

Langsam und vorsichtig richte ich mich in meinem Bett auf. Die Fenster sind mit Kleidungsstücken provisorisch verhangen worden, wodurch es schwer ist abzuschätzen, welche Tageszeit gerade herrscht.

Mein Körper fühlt sich steif und schwach an, mir ist schlecht und alles dreht sich. Ich schließe die Augen, bis ich wieder einigermaßen zurecht komme, und schwinge dann die Beine aus dem Bett.

Als ich an mir herunterblicke, schneide ich eine Grimasse. Ich bin dünn geworden. Sehr dünn. Meine Haut ist fast durchscheinend und ich kann jeden Knochen mehr als deutlich erkennen. Ein Blick in den Spiegel hebt meine Laune auch nicht sonderlich: Meine Wangen sind eingefallen, meine Augen blutunterlaufen, und mein Kinn sieht besonders spitz aus. Die Bezeichnung wandelnde Leiche hat noch nie besser auf mich zugetroffen.

Ein goldenes Aufblitzen aus meinem Augenwinkel erregt meine Aufmerksamkeit, und mit einiger Verwunderung bemerke ich den Ring an meiner rechten Hand. Nachdenklich streiche ich über den kleinen Rubin und muss unwillkürlich lächeln.

Ich kann mir denken, wem ich dieses Geschenk zu verdanken habe. Und ich kann mir denken, wem ich es zu verdanken habe, aus den Klauen der negativen Seite von Mutter befreit worden zu sein.

Nachdem ich mich in Pullover und Hose gehüllt habe - die beide viel lockerer an meinem Körper sitzen als mir lieb ist - stehe ich vor der Tür, eine Hand an der Türklinke.

Bin ich mir sicher, dass ich das durchziehen will? Ich weiß es nicht. Aber früher oder später muss ich es ohnehin tun. Und wenn ich die Wahl habe, dann lieber früher als später.

Ich atme tief durch, straffe die Schultern, hebe das Kinn und öffne die Tür.

Freezing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt